Eine Arbeitspflicht löst keine Probleme
Endlich ein neues Thema für die Stammtische: Die Einführung einer Arbeitspflicht für Bürgergeldberechtigte. Es ist ja nicht so, dass die Kneipengespräche ausgehen. Entweder sind die Bürgergeldberechtigten zu faul, zu ungebildet, Süchtige oder alle samt Arbeitsverweigerer. Der Hass auf die Erwerbslosen muss gefüttert werden, damit der Krug von Vorurteilen und mit Populismus gefüllt bleibt.
Schwindende geringe Zahl der sogenannten „Totalverweigerer“
Schaut man sich die Statistik der sogenannten „Totalverweigerer“ der Bundesagentur für Arbeit genauer an, waren es 2023 gerade mal rund 21.700. Oder umgerechnet ein halbes Prozent aller gemeldeten Erwerbslosen in den Jobcentern. Deren Gründe kommen natürlich in der Arbeitspflicht-Forderung nicht vor. Wer Kinder hat, kann nicht unbedingt eine tägliche Wegstrecke zur Arbeit von drei Stunden in Kauf nehmen. Auch Menschen mit geringer eigener Mobilität oder fehlendem ÖPNV werden nicht erwähnt.
Egal. Diese Menschen sollen künftig ihre Straßen im eigenen Ort säubern. Oder sie pflegen den Park. Dass es diese Maßnahmen bereits in Form der Ein-Euro-Jobs gibt, bleibt auch wissentlich unterschlagen. Die Arbeitspflicht kann natürlich gefordert werden und wie es als erste Stadt Schwerin bereits plant. Sie wollen die Bürgergeldberechtigten zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Die Vereine oder sonstige Institutionen werden sich bedanken. Statt Menschen, die mit Freude und freiwillig zur Arbeit erscheinen, kommen Zwangsverpflichtete. Das kann gut gehen, kann es aber auch nicht. Wer partout nicht will, flüchtet sich in die Krankmeldungen. Wer partout nicht kann, sei es aus körperlichen oder psychischen Gründen, kann auch mit diesen Tätigkeiten überfordert sein.
Druck erzeugt immer Gegendruck. Eine alte Weisheit, die bis heute im Bereich des Bürgergeldes und früher bei Hartz IV keine Beachtung findet. Statt Menschen zu zwingen, wäre es weitaus besser, die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ auszubauen und vor allem kräftig zu fördern. Bei diesem Instrument haben die Erwerbstätigen zumindest über eine Zeit lang pädagogische Begleitung. Auch ist es eine Tätigkeit, die eher zum Bewerber:in passt.
Falsche oder überfordernde und gefühlte langweilige Arbeit macht auf Dauer krank. Statt mit Zwang eine sogenannte gesellschaftliche und soziale Teilhabe zu installieren, sollte mit den Betroffenen gesprochen werden. Und, oh Schreck, kommen vermutlich die Gründe, die Stolpersteine einer sogenannten Totalverweigerung, ans Licht. Stattdessen sollte Hilfe zur Selbsthilfe an der Tagesordnung sein. Plötzlich werden aus den „Totalverweigerern“ Menschen mit Sorgen und Nöten oder Ängsten. Aber das alles ist kein Futter für den Populismus oder für den Stammtisch. Die Pauschalierung der „faulen Hartzern“ muss zementiert und ausgebaut werden. Oftmals noch immer mit dem falschen Narrativ, dass Bürgergeldberechtigte mehr Geld haben, als arbeitende Menschen. Dem ist aber nicht genug.
Verschärft: Essen im Ruhrpott
Der Sozialdezernent Renzel (CDU) aus Essen fordert gar in einem Papier, dass die nicht mehr erwerbsfähigen Bürgergeldberechtigten vom Grundsicherungsamt betreut und medizinisch oder psychologisch begutachtet werden. Sind sie gesundheitlich dazu in der Lage gemeinnützige Arbeit zu leisten, sollen sie dieses einige Stunden pro Woche verrichten. Wer dieses verweigert, bekommt die Leistungen gekürzt. Ja, weiß er denn nicht, dass in einem Jobcenter zumeist nur Erwerbsfähige gemeldet sind?
Ein erfahrener Beamter ignoriert in diesem Moment, dass nicht mehr Erwerbsfähige in der Grundsicherung voll erwerbsgemindert sind. Sie sind erwerbsgemindert, weil sie in ihrer Tätigkeit nicht mehr regelmäßig arbeiten können oder der Arbeitsmarkt für sie verschlossen ist. Wer trotzdem nebenbei arbeitet, hat sich die Arbeitet selbst gesucht; immer mit dem Wissen um die eigenen körperlichen oder psychischen Grenzen. Diese Grenzen werden in diesem Fall wissentlich durch Renzel überschritten, was fatale Folgen haben kann: Überforderung, psychosomatische Folgen, Depressionen durch mögliches Scheitern und ein Druck, die eigenen Grenzen nicht mehr wahrnehmen zu dürfen, da sonst Geldkürzungen erfolgen. Mehr Ignoranz und Verachtung gegenüber Erwerbsgeminderten kann man kaum zum Ausdruck bringen. Aber Zustimmung ist ihm zumindest vom Stammtisch sicher. Alles andere: egal.