Als Hartz IV kam
"Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem einzelnen abfordern müssen."
Am 14. März 2003 ahnten die SPD und die Grünen noch nicht, dass diese Worte von Gerhard Schröder ihnen in Teilen das Genick brechen werden. Mitgliederschwund war die Folge, Wähler*innenstimmen gingen verloren und die daraus folgende Agenda 2010 klebt bis heute wie eine Schmeißfliege an ihren Fersen. Heute, 20 Jahre später, haben wir die höchste Armutsgefährdungsquote seit 2005. Menschen wurden in den Niedriglohnsektor gepresst und ihre Lebensläufe damit versaubeutelt.
Mit Hartz IV begann die Ära: Friss den Job oder hungere. Wer nicht fraß, wurde mit Vollsanktionen durch die Jobcenter bestraft. Das Schrödersche Reformpaket „Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung“ beschenkte Leihbuden, die kühn genug waren oder es noch immer sind, Lohnsubventionen über die Jobcenter abzugreifen. Die Leidtragenden sind die „Um-jeden-Preis-Arbeiter*innen“, die plötzlich so wenig verdienen, dass sie ihren Niedriglohn mit Hartz IV aufbessern müssen. Bezahlt von Steuerzahler*innen, die es oft nicht wissen. Und wenn sie es wissen, zahlen sie gerne. Für sie ist es scheinbar eine Berechtigung, um im boshaftesten Boulevard-Slang Erwerbslose als Arbeitsverweiger*innen in der sozialen Hängematte zu verunglimpfen. Dass sie sich selbst, möglicherweise vor lauter Hartz-IV-Angst, an ihre eigenen miesen Jobs krallen und sich damit komplett marktkonform verhalten, merken sie schon gar nicht mehr.
Aus Fördern wurde Fordern
Das Mantra nannte sich nun: „Fördern und Fordern“. Oder anders ausgedrückt: Fordern um jeden Preis. Jeden Job, um jeden Preis. Selbstverständlich verkünden die konservativen Ökonomen zum feierlichen Anlass auch prompt die sinkenden Arbeitslosenzahlen.
Darüber lässt sich streiten. Zum einen hatten wir seit Mitte der Nullerjahre eine gute konjunkturelle Entwicklung. Diese führte zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit. Zum anderen haben wir seit der Agenda 2010 einen Ausbau der Minijobs. Erwerbslose, die darin arbeiten, zählen nicht mehr in die offizielle Arbeitslosenstatistik hinein. Und weil Agenda-2010-Erfolgsgeschichten viel schöner klingen, versteckt man deren Fehler und Auswüchse lieber hinter diesen Zahlen. Selbst wenn die Erwerbslosen in teure und zum Teil sinnlose Programme gesteckt werden müssen, um die wahren Arbeitslosenzahlen dahinter zu verheimlichen. Ziel war nicht primär die Förderung von beruflicher Eingliederung, sondern es den Erwerbslosen so ungemütlich wie möglich zu machen. Für die Erwerbslosen, für die Lohnergänzer*innen und für ganze Familien ist 20 Jahre Agenda 2010 kein Grund zum Feiern. Sicherlich wurde auch gefördert. Sicherlich führten auch Qualifikationen zu Arbeitsplätzen und sicherlich wurde auch mal der gewünschte Job vermittelt. Es ist ja nie alles schwarz oder weiß. Allerdings sind die Pädagogik und die Rohrstockpolitik, in der jeder Schritt von Erwerbslosen überwacht und bestimmt wird, schwarz.
Ein infernales Gesetz für beide Seiten
Für diejenigen, die mit Hartz IV, und heute mit Bürgergeld leben müssen, ist das kein Zuckerschlecken. Es ist ein Leben mit einer Stigmatisierung, einer Ausgrenzung aus der Gesellschaft und deren Teilhabe. Ein Leben in Armut. Es ist ein infernales Gesetz, das die Schreibtischmacht dazu zwingt, Menschen zu dequalifizieren und deren Lebensleistung zu ignorieren. Es konnte jede*n kalt erwischen. Wer von Arbeitslosigkeit erwischt wurde, wurde von Hartz IV entmündigt.
Nach 20 Jahren Demütigung, in der die Möglichkeit sein gesamtes Arbeitslosengeld II entzogen zu bekommen, wie ein Damokles-Schwert über den Betroffenen hing, besinnt man sich nun auf etwas Neues. Das Bürgergeld verspricht mehr Augenhöhe und Respekt. Offene Vollsanktionen gibt es nicht mehr. Eine neue Ära soll beginnen. Ein wenig mehr Peanuts gab es bereits. Die derzeitigen Kostenexplosionen können diese jedoch nicht auffangen. Die Folgen von Hartz IV sind mittlerweile so fest in der Gesellschaft verankert, dass es mehr als einen Euphemismus für eine neue Sozialrevolution braucht.
Derzeit gibt es 5,4 Millionen Bürgergeld-Leistungsberechtigte, die mit der „Agenda-2010-Erfolgsgeschichte“ leben müssen. Diese brauchen zunächst Anerkennung ihrer Person und Lebensleistung. Das drückt sich mithin im Geld aus. Wer am 15. eines Monats nicht weiß, wie er den Monat überstehen soll, ist arm. Da gibt es nichts zu beschönigen. Wer als Staat nicht alles tut, um Menschen aus der Armut herauszuholen, ist sozial schwach. Mit einer existenzsichernden Grundsicherung in Höhe von monatlichen 725 Euro, einem ordentlichen Mindestlohn und einer Mindestrente, die aufstockende Grundsicherung entbehrlich macht, wäre Armut hinfällig. Sozial und Respekt gehören zusammen.