Bürgergeld: Was nun?
Mit mehr Respekt, Sicherheit, Augenhöhe und weniger Bürokratie möchte die Ampel-Koalition die letzten Wehen von Hartz IV abschütteln. Die Geknechteten in Hartz IV rutschen nun in den freundlicheren Begriff „Bürgergeld“. Ursprünglich leitet sich das Wort „Bürger“ von „burga“ ab, was so viel wie Schutz bedeutet. Nun ja. Möglicherweise gibt es zum Jahresbeginn ein Leckerli in Höhe von 53 Euro monatlich mehr. Mehr Schutz aber nicht unbedingt. Die schäbigen und leider ziemlich erfolgreichen Versuche der CDU/CSU, das neue Bürgergeld in seiner Form zu belassen, was es bisher ist, stinkt zum Himmel: schwarze Pädagogik in einem staatlichen Paternalismus.
Blick in die Tiefe des Bürgergeldes
Allerdings stellt sich ohnehin die Frage, ob das neue Bürgergeld wirklich eine neue, bessere Sozialpolitik einleitet. Bei all den Diskussionen um das Bürgergeld, geht der Blick in die Tiefe verloren. Die Politik, die Gesellschaft und die sozialen Netzwerke diskutieren und streiten um mehr Geld. Sie streiten um die Höhe eines Schonvermögens, welches Neuerwerbslose behalten dürfen. Und sie streiten um die Rohrstockmethodik der Sanktionen innerhalb der Jobcenter. Indem die CDU/CSU suggeriert, dass die drei Prozent Verweigerer typisch für alle Erwerbslosen seien, gelten plötzlich alle als potenzielle Faulpelze. Und hiermit bin ich beim eigentlichen Punkt: Das Bürgergeld behält dieses Strafrecht bei. Sanktionen sind weiterhin bis zu 30 Prozent möglich und die Ampel-Koalition trägt das mit. Irgendwie müsse ja der Gesellschaft verkauft werden, dass ihre Steuergelder gut angelegt seinen, so die Logik der Regierenden. Dass der größte Teil der Erwerbslosen um Anerkennung, um Arbeit und um das Überleben kämpft, das wird wohl wissentlich verschwiegen. Es wird nicht darüber aufgeklärt, dass in einem paternalistischen System oftmals alle Ressourcen aufgewendet werden müssen, um überhaupt als Mensch wahrgenommen zu werden. Das System Hartz IV bindet Kräfte und Zeit in Anträge, in Verständnisfragen, in wiederholten Behördengängen, weil Dokumente intern verloren gegangen sind oder weil man sich ständig rechtfertigen muss. Es raubt physische und psychische Kräfte, weil die Beweislast bei den Erwerbslosen liegt und sie in die Mühle der fehlenden Beratungspflicht der Jobcenter geraten sind. Es raubt notwendige Ressourcen, weil die Lebensleistung der Einzelnen missachtet wird. Möglicherweise mag es für neue Erwerbslose einfacher werden, wenn Qualifizierungen oder Ausbildungen statt Arbeit um jeden Preis im Vordergrund stehen.
Allein gelassen mit Hartz V
Wenn Wohnungen aber zu teuer werden und die Heiz- und Stromkosten explodieren, dann schlägt der Machtapparat der Gesetzgebung erneut zu. Die betroffenen Menschen müssen schauen, wie sie mit dieser Situation umgehen. Alleine. Kein Jobcenter stellt eine günstigere und bezahlbare Wohnung zur Verfügung. Kein Jobcenter übernimmt die explodieren Energiekosten. Die Existenzängste bleiben bei den Betroffenen. Die Entmündigung, seinen Schutzraum, nämlich die eigenen vier Wände zu verlassen, bleibt auch beim Bürgergeld bestehen. Mit dem möglicherweise einzigen Unterschied: Das passiert nun mit Respekt und auf Augenhöhe. Natürlich müssen wir auch über mehr Geld sprechen. Sozialverbände und Die Linke zentrieren sich allerdings mehrheitlich auf mehr Geld. Dabei werden die Stimmen überhört, die vom System psychisch und nervlich an das Ende ihrer Kräfte gebracht wurden, aber genau die Entrechtung und die schwarze Pädagogik kritisieren. Deshalb müssen wir über den stagnierenden Paternalismus beim Bürgergeld sprechen. Es wirkt, als läge ein Mantel des Schweigens darüber. Über 17 Jahre Hartz IV lässt die Erwerbslosen vielfach schweigen. Sie verstummen. Und wir müssen bedenken: Da auch die Macht beim Bürgergeld auf der Seite der Jobcenter bestehen bleibt, können mit Worten Drohungen ausgesprochen und mit nicht bearbeiteten Anträgen berechtigte Gelder hinausgezögert werden. Aus diesem Grund braucht es weitere Lösungsansätze: Respekt und Augenhöhe können nur dann entstehen, wenn ein Sozialsystem von Grund auf erneuert wird. Wenn verstanden wird, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und dass eine Gesetzgebung immer mit dem Einzelnen verflochten ist. Ein Paternalismus und ein Wording, welches sich 17 Jahre eingebrannt haben, lassen sich kaum innerhalb von wenigen Wochen auflösen. Und solange das Machtgefälle, aufgrund der kaum veränderten Sozialgesetzgebung, im Bürgergeld bestehen bleibt, wie es war, ist es nicht mal ein „Bürgerhartz“, weil es für die Bürger:innen kein Schutz ist. Es ist Hartz V im neuen Mantel.