Nullrunde beim Bürgergeld: Kapitulation vor der Armut
Die rechten, konservativen Parteien können aufatmen: Beim Bürgergeld und bei der Grundsicherung gibt es im kommenden Jahr eine Nullrunde. Für die Bezieher:innen ist das hart. Bis heute sind die Sozialleistungen zu gering. Wie kommt es dazu? Im Rahmen der Bürgergeldreform hat sich auch die Grundlage der Berechnung verändert. Die Preis- und Lohnentwicklung bleibt weiterhin in der Berechnung bestehen; jedoch wird die aktuelle Inflation schneller berücksichtigt. Die Höhe wird jährlich überprüft. Aufgrund der extrem gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten durch den Ukrainekrieg gab es die etwas stärkeren Erhöhungen in den letzten zwei Jahren.
Nun ist das ja immer so eine Sache mit der Inflation und den Verbraucherpreisen. Zum einen sind gerade Preise regional unterschiedlich, zum anderen auch von den persönlichen Umständen abhängig. Laut dem Statistischen Bundesamt liegt die vorläufige Inflationsrate für August bei +1,9 Prozent. Die Verbraucherpreise bei den Nahrungsmitteln stiegen um 1,3 Prozent und die Energie sank um 1,7 Prozent. Das klingt wenig oder gar noch weniger bei der Energie. Allerdings muss man berücksichtigen, dass man in der Regel bei einem Energieanbieter erstmal gefangen ist. Und nicht jeder kann – aus was für Gründen auch immer – den Anbieter einfach so wechseln. So müssen viele gerade bei den ortsansässigen teureren Anbietern bleiben. Natürlich kostet die Butter keine 2,50 Euro mehr oder gar 3 Euro. Auch Nudeln und Mehl sind wieder günstiger. Aber wer will sich schon 30 Tage von Nudeln und Mehl ernähren? Die Verbraucherpreise sind en gros seit über zwei Jahren auf einem hohen Niveau geblieben. Es ist die Chance für die Einzelhändler: So können sie die erhöhten Preise mit gestiegenen Stromkosten und teureren Lieferketten begründen. Essen müssen die Menschen schließlich immer.
Und nun kommt der Haken der Nullrunde. Die Nullrunde ignoriert diese Dreistigkeit der Händler und die trotz allem bestehende Steigerung der Verbraucherpreise. Es ist ja schön, wenn das Bundesministerium für Soziales und Arbeit schreibt, dass „unsere Verfassung vorgibt, dass das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert sein muss.“ Damit ergibt sich die Frage, ob mit der jetzigen und der kommenden Bürgergeldhöhe die materiellen Voraussetzungen gesichert sind, „die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind“. So hat nämlich 2010 das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil entschieden. Wohl kaum, wenn bereits durchschnittlich jeden Monat 103 Euro vom eigentlichen Bürgergeld entzogen werden müssen, um die Miete bezahlen zu können. Oder durchschnittlich 55 Euro, um die Heizkosten zu stemmen.
Es ist gemeinhin nicht so, dass die Jobcenter einfach mal so alles bezahlen. Alles was über Alltägliches hinausgeht, spüren Sozialleistungsberechtigte in ihrem Budget für ihr Essen, Hygiene, Gesundheit oder eben in ihrer sozio-kulturelle Teilhabe, die dann nicht mehr möglich ist. Und hier beißt sich bekanntlich die Katze in den Schwanz. Jede Erhöhung ist nichts anderes als die Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteil, zeitnah auf die Inflation zu reagieren und anzupassen. Es ist kein Geschenk der Regierung. Allerdings waren die Sozialleistungen der Jobcenter und in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung von Beginn an zu niedrig bemessen. Das wird jedoch nicht erwähnt. Stattdessen verläuft die Diskussion über Arbeitsverweigerer, über verschärfte Sanktionen und über die Frage, ob sich Arbeiten noch lohne. Sie setzt auf Neid und auf die Gefühlsebene.
Es ist ein Trauerspiel, das Déjà-vu aus den 2000er Jahren zu Beginn der Agenda 2010 erneut mitansehen zu müssen. Damals prägten Misstrauen, Geiz und die selbige Neiddebatte das Bild gegenüber den Erwerbslosen. Manchmal lohnt sich ein Blick zurück in die Vergangenheit, um in die Zukunft zu schauen.