Schuldenbremse, Sondervermögen und der Krieg in der Ukraine – wofür die Linke wirklich steht
- Die Redaktion
In der Debatte um mögliche neue Sondervermögen oder eine Reform der Schuldenbremse geht gerade einiges durcheinander – vor allem in Bezug auf die Positionen der Linken. Wir beantworten hier die häufigsten Fragen.
Was ist das Problem an der Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse ist eine Investitionsbremse. Sie verhindert, dass der Staat die notwendigen Investitionen in die Zukunft dieses Landes tätigen kann. Die Schuldenbremse verbietet die „strukturelle“, nicht von Konjunkturschwankungen abhängige Neuverschuldung der Länder ganz und begrenzt sie für den Bund auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie gilt seit 2011 und ist im Grundgesetz verankert.
Die Schuldenbremse hat in dem Sinn „funktioniert“, dass Deutschland einen niedrigeren Schuldenstand hat als die meisten Industrieländer. Dafür haben wir aber auch: eine marode Infrastruktur, kollabierende Brücken und eine Bahn, die zum Gespött Europas geworden ist. Unser Bildungssystem wird weder den Herausforderungen der Zukunft noch den individuellen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen gerecht. Bei der wissenschaftlichen Forschung bleibt die Bundesrepublik hinter ihren Möglichkeiten zurück. Wir erleben inzwischen eine strukturelle Deindustrialisierung und stecken im dritten Jahr einer Rezession fest. Die Generationenaufgabe Klimaschutz bleibt in großen Teilen liegen. Sogar das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft schätzt den öffentlichen Investitionsbedarf für die nächsten sechs Jahre auf 600 Milliarden Euro.
Es ist eine gefährliche Illusion zu glauben, all diese Probleme würden sich von selbst oder rein durch Aktivitäten der Privatwirtschaft lösen lassen. Deutschland braucht massive öffentliche Investitionen, um die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu meistern.
Droht ohne die Schuldenbremse eine Überschuldung der Bundesrepublik?
Nein, davon sind wir sehr weit entfernt. Staatsschulden sind ein sinnvolles und notwendiges Instrument moderner Wirtschaftspolitik. Allein über Steuereinnahmen ist der öffentliche Investitionsbedarf nicht mehr zu decken. Die Linke will die Steuern für alle Menschen mit Bruttoeinkommen von bis zu 7000 Euro brutto pro Monat (als Single, Steuerklasse I) absenken, für kleine und mittlere Einkommen sogar sehr deutlich. Dafür wollen wir Steuern für Großverdiener*innen deutlich erhöhen, etwa durch eine Anhebung des Spitzensteuersatzes und der Wiedereinführung der Vermögensteuer ab einem Nettovermögen von einer Million Euro (also abzüglich von Schulden, wie etwa Hypotheken auf Immobilien). Obwohl unser Steuerkonzept als einziges der im Bundestag vertretenen Parteien deutliche Mehreinnahmen erzielen würde, machen wir uns keine Illusionen darüber, dass allein damit die Bundesrepublik saniert und zukunftsfest gemacht werden könnte. Ohne Kreditaufnahme wird das nicht gehen.
Eine moderate Neuverschuldung ist für Staaten wie die Bundesrepublik kein Problem. Genau wie Unternehmen kann es für Staaten sinnvoll sein, zukünftige Bedarfe und zukünftige Produktivität durch zukünftige Einnahmen zu finanzieren, indem auf Kredite zurückgegriffen wird. Staaten bekommen am Kapitalmarkt besonders günstige Zinsraten, vor allem, wenn sie politisch und wirtschaftlich stabil sind. Sie können Anleihen über viele Jahrzehnte zurückzahlen und damit Investitionen tätigen, zu denen private Unternehmen nicht in der Lage wären. Die Bundesrepublik gilt als einer der kreditwürdigsten Staaten der Welt. Und auch ohne die Schuldenbremse würden die (weniger strengen, aber ebenfalls sehr restriktiven) europäischen Fiskalregeln weiter gelten. Das Risiko einer Überschuldung besteht nicht. Umgekehrt besteht aber die sehr konkrete Gefahr, dass die langfristige wirtschaftliche Entwicklung des Landes durch zu niedrige öffentliche Investitionen aufs Spiel gesetzt wird.
Warum lehnt Die Linke weitere Sondervermögen ab?
Weder die Ampel-Regierung noch der vermutliche zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz trauen sich an eine Reform der Schuldenbremse heran. Die Parteien, die die Schuldenbremse damals gegen den Willen der Linken eingeführt haben, können sich nun nicht eingestehen, dass dies ein wirtschaftspolitischer Irrweg war.
Die Ampel-Regierung hat bereits ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro nur für die Aufrüstung aufgelegt. Solche Sondervermögen stellen Ausnahmen von der im Grundgesetz festgeschriebenen Schuldenbremse dar und müssen deshalb mit verfassungsändernder Zweitdrittelmehrheit im Bundestag beschlossen werden. Friedrich Merz will sich diesen Trick von der Ampel nun abschauen und nochmals Sondervermögen in hoher dreistelliger Milliardenhöhe beschließen lassen – möglicherweise sogar noch vom alten Bundestag, da SPD, CDU/CSU und Grüne dort noch eine verfassungsändernde Mehrheit haben und somit noch nicht auf die Stimmen der Linken angewiesen sind (der alte Bundestag ist rein formal noch so lange beschlussfähig, bis sich der neue Bundestag konstituiert hat). Damit würde er den Willen der Wähler*innen ignorieren und verfassungsrechtliches Neuland betreten. Die Linke behält sich deshalb eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vor, sollte Merz diesen Schritt unternehmen.
Die Linke lehnt Taschenspielertricks wie „Sondervermögen“ ab, denn damit wird das Grundproblem nicht gelöst: Erstens benötigt das Land in erster Linie zivile Investitionen statt Aufrüstung, und zweitens wird man in wenigen Jahren wieder von dem Problem stehen, dass die Schuldenbremse diese verhindert. Für die Linke steht fest, dass die Schuldenbremse abgeschafft oder zumindest grundlegend reformiert werden muss, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.
Brauchen wir weitere Aufrüstung, um sicher leben zu können?
Nein. Insgesamt geben die europäischen NATO-Staaten (die USA also nicht mit einbezogen) umgerechnet etwa 430 Milliarden Euro pro Jahr für Rüstung aus, Russland umgerechnet hingegen nur 300 Milliarden US-Dollar. Hierbei ist die unterschiedliche Kaufkraft bereits berücksichtigt. Auch sind die europäischen Streitkräfte in vielen Kategorien bereits deutlich besser ausgerüstet als etwa die russischen. So verfügt die NATO in Europa über etwa 2000 Kampfflugzeuge, die russischen Streitkräfte nur über etwa 1000.
Schon heute wird viel zu viel Geld, was in die Rüstung fließt, einfach verschwendet, weil das militärische Beschaffungswesen sehr undurchsichtig ist. Aber auch darüber hinaus muss bezweifelt werden, dass zusätzliches Geld fürs Militär sinnvoll eingesetzt werden würde. Große Summen aus dem ersten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das die Ampel-Regierung für die Aufrüstung aufgelegt hat, werden etwa dafür verwendet, Rüstungsgüter aus den USA zu kaufen, wie etwa 8,3 Milliarden Euro für F-35 Kampfflugzeuge, die als technisch unzuverlässig gelten. Dies schafft neue Abhängigkeiten, statt Europa zu eigenständiger Verteidigung zu befähigen – denn die US-Regierung muss dem Einsatz von dort hergestellten Waffen zustimmen. In Zukunft entscheidet im Zweifel also US-Präsident Donald Trump über Einsätze der Bundeswehr. Darüber hinaus besteht zumindest das Risiko, dass die US-Rüstungskonzerne ihre Systeme durch digitale Schnittstellen im Nachhinein unbrauchbar machen, sollte die US-Regierung dies fordern.
Doch selbst dann, wenn neue Waffensysteme aus europäischer Produktion angeschafft werden, droht die Gefahr, dass ein hochgerüstetes Europa sie früher oder später auch einsetzt, und zwar nicht gegen einen Angriff eines anderen Staates, sondern für nutzlose und völkerrechtswidrige „Antiterror“-Missionen oder zur gewaltsamen Verhinderung von Flucht. Mittel, die die europäischen Staaten – inklusive Deutschland – heute in die Rüstung investieren, fehlen im Zweifel bei der Sanierung der Infrastruktur, beim Umbau der Industrie, bei Bildung und Forschung oder für die soziale Fürsorge. Als Linke sind wir überzeugt: Aufrüstung in Deutschland und Europa ist nicht notwendig, sondern birgt viele Gefahren.
Würde Die Linke ein Sondervermögen für die zivile Infrastruktur unterstützen?
Die Linke ist grundsätzlich bereit, sinnvolle Maßnahmen mitzutragen, um höhere zivile Investitionen zu ermöglichen. Das Instrument der Sondervermögen sehen wir sehr skeptisch, weil es das Grundproblem nicht löst. Deshalb sind wir der Auffassung, dass eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse unerlässlich ist. Eine genaue Ausgestaltung dieser Reform wäre Verhandlungssache.
Wir steht Die Linke zum Ukrainekrieg?
Russland führt in der Ukraine einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Wir verurteilen dies aufs Schärfste. Der Aggressor in diesem Konflikt heißt einzig und alleine Russland. Als Linke und Internationalist*innen stehen wir auf der Seite von Angegriffenen und Kriegsopfern weltweit.
Die Linke lehnt alle Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete ab, auch in die Ukraine. Als angegriffener Staat hat die Ukraine selbstverständlich ein Recht auch Selbstverteidigung, das wir natürlich anerkennen. Unserer Einschätzung nach kann die Ukraine ihre militärischen Maximalziele in diesem Konflikt nicht mehr erfüllen und würde dazu auch durch weitere Waffenlieferungen nicht befähigt werden. Eine Verhandlungslösung ist deshalb unausweichlich.
Der Krieg in der Ukraine muss durch einen Waffenstillstand und eine gerechte Friedenslösung beendet werden. Ein Diktatfrieden würde diese Bedingungen nicht erfüllen und den Konflikt nicht langfristig beilegen. Eine neokoloniale Ausplünderung der Ukraine – ob durch die USA oder durch Russland – lehnen wir strikt ab. Selbstbestimmungsrecht, Souveränität und Sicherheit der Ukraine müssen durch einen Friedensschluss gewahrt bleiben. Deshalb ist es so wichtig, globale Partner für eine tragfähige Friedenslösung zu gewinnen. Europa oder die NATO kann sie nicht eigenständig herbeiführen. Hierfür müssen internationale Partner wie China und Brasilien gewonnen werden, die bereits eigene Friedensinitiativen vorgelegt haben.
Befürwortet die Linke eine finanzielle Unterstützung der Ukraine?
Ja, unbedingt. Die Ukraine braucht Wiederaufbauhilfen in großen Umfang für die Zeit nach dem Krieg. Als wohlhabendes Land steht Deutschland hier gemeinsam mit anderen EU-Mitgliedsstaaten in der Verantwortung. Als Linke befürworten wir auch einen Schuldenschnitt für die Ukraine und mehr humanitäre Hilfe, um den Menschen im Land jetzt beizustehen.
In diesem Zusammenhang ist aber wichtig zu betonen, dass es bei Diskussion um weitere Sondervermögen explizit nicht um Gelder für die Ukraine geht, sondern um Mittel für Aufrüstung bzw. zivile Investitionen in Deutschland. Die beiden Punkte sollten deshalb nicht miteinander vermischt werden. Wir lehnen weitere Sondervermögen ab, weil wir die Schuldenbremse ablehnen und sie grundsätzlich abschaffen oder reformieren wollen, nicht, weil wir die Ukraine nicht humanitär und finanziell unterstützen wollen.
Macht die Linke gemeinsame Sache mit der AfD, wenn sie weitere Sondervermögen ablehnt?
Nein. Die Linke arbeitet auf keiner Ebene mit der AfD zusammen und trifft keinerlei formale oder informelle Absprachen mit der Partei oder der Fraktion. Wir werden als Oppositionsfraktion im neuen Bundestag Regierungsvorhaben, die wir nicht sinnvoll finden, selbstverständlich auch nicht unterstützen, und zwar völlig unabhängig von der Positionierung der AfD, genauso, wie wir es bereits im alten Bundestag getan haben. Die Linke, ebenso wie die Grünen, ist auch bereits genau so verfahren, als sie von 2017 bis 2021 als Oppositionsfraktionen im Bundestag vertreten war, in dem auch die AfD als weitere Oppositionsfraktion präsent war. An unserer klaren antifaschistischen Haltung hat sich nichts geändert und wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Anders als CDU/CSU werden wir niemals gemeinsame Mehrheiten mit der AfD für eigene Vorhaben suchen und anders als die FDP und das BSW niemals Beschlussvorlagen zustimmen, die nur durch eine Zustimmung der AfD angenommen werden könnten.
Zum Beschluss des Parteivorstands: „Ukraine unterstützen – China einbinden – Schuldenbremse abschaffen – UNO statt Trump“