Erfolgreicher Kampf gegen Heizkostenabzocke bei Vonovia
2.000, 4.000 oder 8.000 Euro. In den letzten Monaten häufen sich Berichte über extreme Heizkostennachzahlungen für 2022. Das liegt nur zum Teil an den hohen Gaspreisen. In vielen Fällen sind es Immobilien- und Energiekonzerne, die für ihre Mietenden sehr nachteilige Lieferverträge abschließen.
Die Betroffenen sind dagegen aber nicht machtlos, wie unser Beispiel bei Vonovia in München zeigt. Durch ein offenes Ohr für die Probleme vor Ort, kollektive Organisation und öffentlichen Druck haben die über 400 Mietparteien mehr als eine halbe Million Euro zurückgezahlt bekommen. Ähnliche Fälle von überhöhten Heizkosten finden sich in ganz Deutschland. Widerstand lohnt sich überall. Unser Bericht soll dafür einen möglichen Weg aufzeigen.
Abzocke mit Heizkosten findet in der Regel dort statt, wo sie die Menschen am härtesten trifft: Meist in politisch schwach organisierten Stadtteilen oder im „sozialen“ Wohnungsbau. Um die Betroffenen zu mobilisieren und ihre Rechte einzufordern, braucht es zuerst einmal Präsenz vor Ort und ein offenes Ohr für ihre Probleme. Über den Vonovia-Fall wurden wir informiert, weil Freunde von Betroffenen von unserem Kampf gegen hohe Heizkosten an anderer Stelle gehört hatten.
Nach einem ersten Gespräch sind wir mit einer handvoll Genossinnen und Genossen an die Haustüren gegangen, um weitere Kontakte herzustellen. Unser Vorteil war, dass wir mit dem von uns im Stadtrat durchgesetzten kommunalen Heizkostenzuschuss („Wärmefonds“) einen sprichwörtlichen Türöffner dabei hatten. Viele waren sehr froh über unsere Initiative und dementsprechend gesprächig. Der Kontakt mit uns war – nach unserer Einschätzung – nicht selten die erste positive politische Erfahrung seit langem.
Während der Gespräche wurde auch der Grund für die hohen Heizkosten klar. Vonovia hatte es „versäumt“, Ende 2021 einen neuen Gasvertrag abzuschließen. So rutschten die Mietenden automatisch (und ohne es zu wissen) in die Ersatzversorgung der Stadtwerke München – mit viermal so hohen Preisen wie vorher.
Der Schock kam für viele dann Monate später mit der Heizkostenabrechnung. So gut wie jeder Haushalt hatte Nachzahlungen von mehreren tausend Euro! Versuche der Mieter, sich einzeln an Vonovia zu wenden, scheiterten. Statt den Fehler einzugestehen, wiegelte Vonovia die Beschwerden ab, mit der Begründung, dass der Ukraine-Krieg schuld sei. Das sollte sich ändern.
Vernetzungstreffen
Mit einer kleinen Gruppe von entschlossenen Mietern wurde das erste Treffen organisiert. Das Ziel: Die Nachbarn untereinander zu vernetzen und alle auf den gleichen Wissensstand bringen. Oder wie Manuel, einer der Betroffenen, berichtet: „Als einzelner Mieter sieht man sich seinem Vermieter gegenüber oft in einem ungleichen Kräfteverhältnis gefangen. Kommt es zu ungerechtfertigten Forderungen, wird der Widerstand dagegen eher gescheut. Die Abrechnungen genauer zu prüfen, erscheint als eine Mammutaufgabe. Es mangelt an Wissen, an Zeit, an Energie. Diesen Mangel können wir eliminieren, in dem wir unsere Kräfte bündeln.“ (Das ganze Interview mit Manuel findest Du unten).
Der Termin für das Mietertreffen war recht kurzfristig angesetzt, was die Suche nach einem Veranstaltungsort erschwerte. Außerdem war vollkommen unklar, wie viele Betroffene wirklich kommen würden. Unter Absprache mit dem Inhaber haben wir uns daher für ein Treffen in einem Imbiss vor Ort entschieden. Zusätzlich konnten wir, zusammen mit den Mietern, den Bayerischen Rundfunk dafür gewinnen, einen Beitrag für das Format „Quer“ zum Thema produzieren. Die Teilnahme übertraf schließlich alle Erwartungen. Mit rund 50 Personen war der Raum völlig überfüllt.
Begonnen haben wir das Mietertreffen mit einer Vorstellungsrunde. Jede Person stellte sich mit Namen, Straße und Hausnummer sowie der Höhe der von ihr geforderten Nachzahlungen vor. Die Höhe der Nachzahlungen und die Anwesenheit haben wir zur Übersicht auf einer ausgedruckten Karte notiert. Die Kontaktdaten wurden in einer Liste gesammelt. Bei vielen Anwesenden blieb es aber nicht nur bei den drei Punkten. Vielen brannten so viele Themen unter den Nägeln, dass es herausfordernd wurde, die Veranstaltung zu moderieren. Auch hier wurde klar, wie weit entfernt die Politik sonst ist, und wie viele Probleme mit Vonovia sich aufgestaut hatten.
Anschließend haben wir den Anwesenden die Ursache für die hohen Heizkosten erläutert und sie auf ihr Recht zur Einsicht aller Belege der Nebenkosten hingewiesen. Grundsätzlich gilt: Werden die Belege auf Anfrage nicht vollständig zur Verfügung gestellt, können Mieter Nebenkosten, beziehungsweise laufende Betriebskosten, zurückzuhalten (Zurückbehaltungsrecht). Einige Personen erklärten sich bereit, die Belegeinsicht federführend zu übernehmen. Alle Anwesenden waren extrem dankbar für die Sichtbarkeit und die Unterstützung! Zum Erfolg der Veranstaltung trug dabei nicht zuletzt eine Anwohnerin bei, die ins Serbokroatische übersetzte und damit half, Sprachbarrieren zu überwinden.
Gründung einer Mietergemeinschaft
Bei einem zweiten Treffen ging es darum, mit den Mietenden Strukturen zur Selbstorganisation aufzubauen. Unterstützung gab es dabei von der Mieterbeauftragten aus dem lokalen Stadtteilgremium. Bei dem Treffen wurde dann eine Mietergemeinschaft gegründet, deren Ziel es ist, die Mietenden nach außen mit einer Stimme zu vertreten. Für die Organisation der „Mietergemeinschaft Alte Heide“ fanden sich problemlos einige Freiwillige. Der gemeinsame und politische Kampf der Mietenden gegen die Nachzahlungen steht damit auch im Kontrast zur Vorgehensweise des Münchener Mietervereins. Dessen Sachbearbeiter hatten Betroffenen in der Beratung empfohlen, die Rechnung einfach zu bezahlen, da sie formal richtig sei.
Hier liegt der Unterschied zwischen individueller juristischer Beratung und politischer (Selbst-)Organisation. Der gemeinsame Kampf hat dabei auch langfristige Auswirkungen für die Gemeinschaft vor Ort, wie Manuel berichtet: „Der Gedanke, dass wir alle zusammen für unser Recht einstehen, sei es auch nur mit einer Unterschrift und dem Beitritt in die Gemeinschaft, macht aus unbekannten Nachbarn nun Partner im Kampf für Gerechtigkeit und fördert den Gemeinschaftssinn und somit schließlich ein wohlwollendes Miteinander.“
Vonovia knickt ein
Noch bevor die Mietergemeinschaft ihre erste Anfrage tätigen konnte, knickte Vonovia unter dem wachsenden Druck der öffentlichen Berichterstattung ein und kürzte die Nachzahlungen rückwirkend. Zu diesem Zeitpunkt hatten nicht nur der Bayerische Rundfunk, sondern auch die TZ und die Bild berichtet. Möglicherweise entschied man sich in der Vonovia-Zentrale daraufhin, die Kuh schnell vom Eis zu holen, um weitere Berichterstattung (und Nachahmer) zu vermeiden. Für viele Betroffene bedeutet das Rückzahlungen in der Höhe von mehreren tausend Euro. Nebenbei wuchs die Mietergemeinschaft von alleine auf über 130 Mitglieder.
Trotz des Erfolges plant die Mietergemeinschaft weiterhin eine kollektive Belegeinsicht. Denn: Auch nach den versprochenen Rückzahlungen gibt es weiterhin Ungereimtheiten mit den Heizkostenabrechnungen. Bei einer Unterschriftensammlung für die gemeinsame Belegeinsicht kamen dabei nochmal knapp 200 Namen zusammen. Es bleibt also ungemütlich für Vonovia. Eine Mietergemeinschaft, die gemeinsam ihre Rechte einfordert, ist und bleibt der Albtraum jedes Immobilienkonzerns. Sie ist das beste Bollwerk gegen Abzocke und Profitgier.
Interview mit Manuel Milde - Vorstandsmitglied der Mietergemeinschaft Alte Heide
Was motiviert dich, in der Mietergemeinschaft aktiv zu sein?
Ich finde es sehr motivierend, zu sehen, welche Energien sich freisetzen lassen, wenn Menschen sich mit einem gemeinsamen Ziel vereinen. Als einzelner Mieter sieht man sich seinem Vermieter gegenüber oft in einem ungleichen Kräfteverhältnis gefangen. Kommt es zu ungerechtfertigten Forderungen, wird der Widerstand dagegen eher gescheut. Die Abrechnungen genauer zu prüfen, erscheint als eine Mammutaufgabe. Es mangelt an Wissen, an Zeit, an Energie. Diesen Mangel können wir eliminieren, in dem wir unsere Kräfte bündeln. Mit diesem Bewusstsein habe ich mich bei einem Mietertreffen als Freiwilliger für die Mietergemeinschaft gemeldet. Ich glaube, dass der beste Weg, Missständen zu begegnen, darin besteht, mit gutem Beispiel voranzugehen. Wir Menschen sind Herdentiere. Viele gute Absichten werden erst in die Tat umgesetzt, wenn einer den ersten Schritt wagt.
Was würdest du anderen Mietern in anderen Vierteln raten, die sich noch nicht vernetzt haben?
Gibt es in der Siedlung Probleme mit dem Vermieter beziehungsweise dessen Abrechnungen, ist es sicher hilfreich, sich zunächst mit den unmittelbaren Nachbarn und Bekannten aus der Siedlung über die Problematik auszutauschen. So bekommt man ein Gefühl für die Gesamtsituation und kann das Ausmaß der Unstimmigkeiten besser einschätzen. Langjährige Mieter können die aktuelle Lage dabei mit ihren Erfahrungen der vergangenen Jahre abgleichen. Aus diesem Austausch wird sich ergeben, ob weitere Maßnahmen sinnvoll erscheinen.
Möchte man sich nun gegen ein erfahrenes oder drohendes Unrecht zu Wehr setzen, lohnt es sich in jedem Fall, möglichst viele Betroffene zusammenzubringen. In unserem Fall hat es mit einem spontanen Aufruf zum Treffen in einem örtlichen Lokal begonnen, der online veröffentlicht wurde.
Ist die Resonanz gut, kann ein solches Treffen auch bereits dazu dienen, eine Mietergemeinschaft aus freiwilligen Unterstützern zu bilden. Diese kann sich fortan um die Kommunikation und die Organisation der Themen kümmern und das gemeinsame Anliegen weiter vorantreiben.
Was bedeutet die Erfahrung für dich? Hat sich die Stimmung im Wohnblock geändert?
Auf der einen Seite hat es für mich ganz persönliche Effekte: Durch den Kontakt zu vielen Mietern fühlt sich unsere Nachbarschaft nun weniger anonym an, ich habe ein besseres Bild von den Menschen, die unsere Nachbarschaft bilden. Zudem konnte ich meinen Horizont in einigen Bereichen erweitern, insbesondere in Miet- und Heizungsthemen habe ich nützliches Wissen dazugewonnen. Nicht zuletzt durfte ich in meiner Tätigkeit für die Gemeinschaft viel Wertschätzung und Dankbarkeit erleben.
Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass auch die ganze Nachbarschaft vom Einsatz der Mietergemeinschaft profitiert. Auch wenn viele Mieter nur direkten Kontakt zu unserem Vorstandsteam hatten, ist durch unsere Kommunikation doch allen bewusst, dass wir letztlich eine Gemeinschaft hunderter Mieter bilden. Der Gedanke, dass wir alle zusammen für unser Recht einstehen, sei es auch nur mit einer Unterschrift und dem Beitritt in die Gemeinschaft, macht aus unbekannten Nachbarn nun Partner im Kampf für Gerechtigkeit und fördert den Gemeinschaftssinn und somit schließlich ein wohlwollendes Miteinander.