Klingeln hilft
Der Wahlsieg gegen jeden Trend
- Robert Maruschke
- Kreisverband Rostock
Eva Maria Kröger ist Oberbürgermeisterin der Hanse- und Universitätsstadt Rostock. Mit über 58% hat sie in der Stichwahl ein fantastisches Ergebnis erzielt, obwohl die politischen Rahmenbedingungen alles andere als vorteilhaft waren. Eva ist seit 13 Jahren kommunalpolitisch aktiv, sitzt im Landtag und führt in diesen Funktionen seit 2 ½ Jahren Haustürgespräche in Rostock. Im Wahlkampf waren sie und zahlreiche Genoss*innen an 11.000 Haustüren. Die Gespräche haben das Ergebnis nachweislich stark beeinflusst und die Partei aktiviert. Ein Bericht.
„Ich glaube fest daran, dass Haustürgespräche DAS Mittel sind, um als LINKE durchzudringen, anzukommen und Wahlkreise zu gewinnen. Facebook, Instagram, Pressearbeit – wichtig, wichtig, wichtig. Aber ich weiß jetzt am Ende des Tages genau, wie viele Menschen ich erreicht habe. Jedes gute Gespräch bleibt länger in Erinnerung, wirkt nachhaltiger und verbreitet sich wirkungsvoller als ein Artikel von gestern“ (Eva Maria Kröger, 2020)[1].
Haustürgespräche setzen eine im Politikbetrieb ungewohnte Euphorie frei, die es uns erlaubt, an das scheinbar Unmögliche zu glauben. Im Sommer 2020 witzelte Eva in einem solchen Moment nach einem Haustüreinsatz, dass DIE LINKE bei den Oberbürgermeisterwahlen 2026 in Rostock gute Chancen haben wird, wenn wir bis dahin Haustürgespräche in der Partei verbreitern: „Stell‘ dir vor, wir gewinnen diese Wahl!“
Evas Landtagswahlkreis liegt ebenfalls in Rostock. Sie war damals 11 Jahre in der Rostocker Bürgerschaft kommunalpolitisch aktiv. In ihrer Nachbarschaft geht sie seit 2020 kontinuierlich an die Tür und suchte auch abseits der Haustüren weiterhin das Gespräch mit der Stadt, mit Verwaltungen, Vereinen und Unternehmen. Sie ist – wie auch an der Haustür – in all diesen Feldern nahbar, freundlich, authentisch, aber eben auch immer bestrebt Lösungen im Interesse der Rostocker*innen gemeinsam zu entwickeln und Verbindlichkeit herzustellen.
Zuhören und Vertrauen aufbauen
Als im Sommer 2022 der Rostocker Bürgermeister überraschend zurücktrat, stampfte der Kreisverband eine ambitionierte Haustürkampagne aus dem Boden. Gegen jeden Trend wollten wir an tausenden Haustüren klingeln, um von den Nachbar*innen wichtige Themen zu erfahren und Vertrauen aufzubauen. Vertrauen, dass Eva zuhört, dass sie die Rostocker*innen ernst nimmt und dass mit ihr in Verantwortung die Hansestadt Rostock eine so schöne Stadt bleibt, in der wichtige Projekte endlich umgesetzt werden. Und natürlich wollten wir das zu erwartende knappe Ergebnis mit Haustürgesprächen für uns entscheiden. Von nichts kommt nichts. Wir stützten uns dabei auf die Erfahrungen und die empirischen Hinweise aus den Landtagswahlen in Thüringen (2019), Hamburg (2020), Berlin und MV (2021), in denen wir in den mit Haustürgesprächen bearbeiteten Wahllokalen deutlich besser abschnitten.
Testlauf, Juli 2022. Zu viert sprachen wir in einem Neubauviertel über die steigenden Preise und darüber, was sie sich die Nachbar*innen dort von einer Oberbürgermeisterin wünschen würden. Für ihr Wohngebiet, für den Stadtteil, für Rostock. DIE LINKE bei den Leuten – ach was war das für eine gute Erfahrung in ansonsten ungemütlichen Zeiten.
Wahlkampf mit Struktur
Nach den Sommerferien entschieden wir, weiter zu machen und trafen für die nächsten Monate vier wichtige Entscheidungen:
- Verbindlichkeit: Wir legten zwei wöchentliche Termine für Haustürgespräche als Minimalprogramm fest und fanden zwei Verantwortliche für diese Termine. Wir beschlossen, dass die Termine immer stattfinden würden, auch wenn das heißt, alleine an die Türen zu gehen. Haustürgespräche wurden zu der Gelegenheit, Teil des Erfolges zu werden.
- Aktivierung: Wir riefen einen Teil der Mitgliedschaft (110 Genoss*innen) persönlich an und luden sie zu den Gesprächen ein. In den ersten 43 Anrufen erreichten wir 13 Genoss*innen, die sich alle freuten, von ihrer Partei zu hören. Sieben konnten sich vorstellen im Laufe des Wahlkampfs aktiv zu werden, zwei kamen direkt zu den Gesprächen dazu.
- App: Wir führten zur Planung und Erfassung der Gespräche DIE LINKE APP ein und arbeiteten fortwährend mit ihr. Für die Kommunikation im Team und inhaltliche Auswertung nutzten wir den Messenger Telegram.
- Schwerpunkte: Wir konnten unmöglich das ganze Stadtgebiet bearbeiten und konzentrierten uns auf zwei Hochburgen, in denen wir die Wahlbeteiligung unserer Wähler*innen erhöhen wollten.
Bis zur Wahl am 13.11.2022 klingelten wir an 4.000 Türen. Eva war so oft es ging dabei, sagte für die Gespräche andere Termine ab und konnte ihre Erlebnisse für andere Wahlkampfveranstaltungen nutzen. Weitere fünf Abgeordnete der Landtagsfraktion nutzten die Gelegenheit, an die Türen zu gehen. Sie klopften an knapp 600 Türen, hörten den Nachbar*innen zu und warben für Eva.
Wir steigerten die Beteiligung an den Haustürgesprächen von anfangs vier auf über zwanzig Genoss*innen. Immer dabei waren rund 10 Genoss*innen, die den Großteil der Gespräche führten. Hätten wir die Zeit gehabt, die Mitgliedschaft weiter anzurufen, hätten wir die Beteiligung noch deutlich stärker steigern können.
Die Reaktionen an den Türen waren positiv und mitunter von aufrichtiger Dankbarkeit geprägt. Eine junge Frau sagte uns, dass wir die ersten seien, die interessiert, was die Menschen denken. Andere erzählten uns von jahrelanger Wohnungssuche, von Wünschen nach besseren Spielplätzen, Grünanlagen oder einer netten Gastronomie im Wohngebiet. Sie redeten über den Nahverkehr, Kitaöffnungszeiten, Kultur und Barrierefreiheit. Wir sammelten die Themen in unserer Telegramgruppe, in der wir auch kurzfristige Absprachen trafen oder uns zu den Gesprächen verabredeten.
„Das kriegen wir doch in’n Griff!“
Als die Wahl näher rückte, berichteten uns unbeteiligte Genoss:innen, dass sie in ihren Wohngebieten auf die Haustürgespräche angesprochen werden und das die sehr gut ankommen. Nun wussten wir: wir haben es geschafft, Eva zum Thema zu machen und Vertrauen in sie weiter auszubauen. Eva gewann die erste Wahl am 13. November mit über 25% und zog gegen den von der CDU und FDP unterstützten Chef der Bereitschaftspolizei in Rostock, Michael Ebert, in die Stichwahl ein. In den von uns besuchten Gebieten schnitten wir besser ab als in vergleichbaren Stadtteilen. Wir hatten nun 10 Tage Zeit, um die Stichwahl für Eva, für DIE LINKE, zu entscheiden.
Wir entschieden uns teilweise für neue Gebiete, weil wir nun die Daten der ersten Wahl hatten. Wir führten nun kürzere und zugespitzte Gespräche und baten die Nachbar*innen, Eva zu wählen und mit ihren Freund*innen und ihrer Familie über Eva zu sprechen. Am Tag vor der Wahl klopften wir mit fleißiger Unterstützung des Landesvorstandes und von drei Kieler Genossen an über 2000 Türen – einmalig in der Geschichte unserer Partei. Damit waren wir an insgesamt 11.000 Türen und konnten dem Wahltag entspannt entgegenblicken. Wir hatten alles getan.
Der Jubel am Wahlabend war ausgelassen. Eva Maria Kröger ist die neue Chefin, die erste linke Oberbürgermeisterin einer Großstadt und die erste gewählte Bürgermeisterin Rostocks. Gegen jeden Trend hatte sie sich durchgesetzt. Sie wies im NDR-Interview darauf hin, dass ihr Wahlkampf-Team bis zum letzten Tag alles gegeben hat und dass ihr an den Haustüren viele Frauen Glück gewünscht hätten. Und es stimmt: Jede*r Einzelne, die*der für Eva an der Tür war, hat es erlebt, dass Nachbar*innen „Glück wünschen“, uns gegenüber „Hochachtung für die Arbeit“ ausdrücken, beiden Daumen hoch zeigen oder im Hansa-Trikot feststellen: „Na das kriegen wir doch in’n Griff“. Und wie wir es in den Griff gekriegt haben.
Bessere Ergebnisse durch Haustürgespräche
Es liegt auf der Hand, dass beide Kandidat*innen ihr Ergebnis in der Stichwahl steigern würden. Die Frage war nur, wie erfolgreich ihnen die Mobilisierung der Wähler*innen gelingen und wie hoch die Steigerung ihres Ergebnisses ausfallen würde.
In der Südstadt waren wir in den zehn Tagen vor der Stichwahl an 3800 Türen. In der Auswertung betrachten wir zwei Wahlbezirke, die direkt nebeneinander liegen. In dem Gebiet 262 waren wir an nahezu allen Haustüren, im Gebiet 263 haben wir keine Gespräche geführt. Die Ergebnisse in den beiden Gebieten zeigen einen klaren Unterschied, den wir auch in anderen Stadtteilen nachweisen können: In dem Gebiet 262, in dem wir an der Haustür waren, haben wir Evas Ergebnis stärker gesteigert als im nicht besuchten Gebiet 263. Der Unterschied beträgt 4%.
In Reutershagen waren wir in der letzten Woche viel unterwegs und hatten die von uns erwarteten eher schwierigen Gespräche. Michael Ebert hatte in der ersten Wahl einige Wahlbezirke im Stadtteil gewonnen. Bei 2 Grad und Regen besuchten wir Freitagabend noch einmal über fünfhundert Nachbar*innen und konnten diesen Wahlbezirk Michael Ebert abnehmen. Die Grafik zeigt einen weiteren interessanten Vergleich. In dem Wahlbezirk 146 (roter Balken) waren wir schon vor der ersten Wahl an fast allen Türen und besuchten diese dann vor der Stichwahl erneut. In diesem Wahlbezirk 146 konnten wir das Ergebnis in der Stichwahl um über 10% stärker steigern, als in dem vergleichbaren, von uns nicht besuchten Wahlbezirk 147.
Auch im Hansaviertel konnten wir unsere Ergebnisse durch die Haustürgespräche deutlich verbessern. Knapp 5 % Unterschied trennen den von uns besuchten von dem nicht besuchten Wahlbezirk. Es war eine schöne Erfahrung, dass ein Mitglied der Grünen uns in den Gesprächen unterstützte und sowohl die Grünen als auch die SPD für Eva plakatierten.
Wahlkämpfe, die einen Unterschied machen
Diese Ergebnisse sind ein klarer Beweis für die Wirksamkeit von Haustürgesprächen. Neben der nachweisbaren Wirkung vermuten wir weitere Effekte unserer Gespräche auf die Wahlkampfdynamik. Wir gehen davon aus, dass wir mit einer solch großen Anzahl an Gesprächen Eva und die Wahl zum Thema in unseren Wählermilieus machen konnten. Wir gehen auch davon aus, dass wir durch unsere Ansprache kurz vor der Wahl die Dringlichkeit aktiv zu werden bei denjenigen erhöhen konnten, die Eva wählen und/oder Ebert verhindern wollten. Die Dringlichkeit, selbst aktiv zu werden, entsteht am ehesten in persönlichen Gesprächen. Wir erhofften uns eine Art Schneeballeffekt der Wählermobilisierung durch weitere persönliche Gespräche der von uns angesprochenen Wähler*innen. Das klare Ergebnis bei gleichzeitig gesunkener Wahlbeteiligung spricht dafür, dass Evas Wähler*innen wesentlich disziplinierter zur Wahl gegangen sind. Das schreiben wir den Haustürgesprächen zu.
Am Ende dieses Wahlkampfs bleibt die Frage, was diese Wahl eigentlich von anderen Wahlen unterschieden hat? In dem eingangs zitierten Beitrag von 2020 deutet Eva uns in die richtige Richtung. Es geht um das Verhältnis von persönlichen Gesprächen, Printmaterial und online Kampagne. Wir denken, dass es in Direktwahlen eine authentische und nahbare Kandidatin braucht, die sich das Vertrauen in sich und in DIE LINKE systematisch erarbeitet und dafür auch abseits von Wahlen tausende Gesprächen an den Haustüren und in der Stadt führt. Vertrauen kommt nicht von alleine. Evas Flyer bezogen sich auf ihre Haustürgespräche – und umgekehrt. Der Claim „Die neue Chefin“, der zur Stichwahl auf den Großflächen das Stadtbild prägte, trafen den Nagel auf den Kopf und unterstützten unsere Zuspitzung in den Gesprächen. Alle Bereiche der Kampagne griffen ineinander.
Erfolgreiche Wahlkampagnen brauchen zudem eine Wahlkampfstruktur- und Leitung, die die Partei aktiviert und in der entscheidenden Phase so gut aufgestellt ist, dass sie den Unterschied machen kann. Und schließlich braucht es viele Genoss*innen, die nach der Arbeit, zwischen ihren Seminaren oder in ihrem Urlaub immer wieder an fremden Türen klingeln und das ehrliche Gespräch suchen. Sie waren in Rostock mit ihrer Motivation ein entscheidender Teil dieser Kampagne und ihnen gehört das letzte Wort: Danke!
[1] https://www.links-bewegt.de/de/article/142.klingeln-hilft.html