Europäische Linke oder European Left Alliance – Spaltung oder Aufbruch?

Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel

Am 29. August hat eine neue linke Partei, die European Left Alliance for the People and the Planet, kurz ELA, ihre Anerkennung beim Europäischen Parlament beantragt.[1] Die bisherige europäische Linkspartei, die Europäische Linke (EL), ist damit massiv geschwächt. Schon jetzt sind erste Debatten darüber entbrannt, auf welche europäische Partei sich die Linke orientieren soll. Der Parteivorstand hat nun zum Parteitag im Oktober die Streichung der Mitgliedschaft bei der EL aus der Satzung beantragt. Im kommenden Jahr sollen dann die Delegierten des Parteitags über die Mitgliedschaft entscheiden. Aber schon jetzt gibt es einen entgegengesetzten Antrag, der den Verbleib in der EL fordert. Höchste Zeit also, etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Wohin soll die Linke sich orientieren?

Warum kam es zum Bruch? - die Krise der EL

Ausgerechnet zum 20-jährigen Jubiläum steckt die Europäische Linke in einer tiefen Krise. Aber nacheinander. Seit den 90ern gibt es in der EU die Möglichkeit aus den Reihen der jeweiligen Fraktionen im Europaparlament (EP) eine Partei zu gründen. Auf dieser Grundlage konstituierte sich (im Jahr soundso) auch die EL. Wichtige Gründungsmitglieder waren neben der Linken, den dänischen Enhedslisten und der KPÖ vor allem die lange starken kommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs und viele, viele mehr. Dabei waren unter anderem auch eine Reihe von linken Klein- und Kleinstparteien zum Beispiel aus Ungarn, Bulgarien und Finnland.[2]

Über die Jahre hat sich die jeweilige Stärke linker Parteien in den Ländern verändert. Viele der alten linken Parteien sind in die Krise geraten, während andere wichtiger wurden. Trotzdem ist die Zahl der Fraktionsmitglieder der linken Fraktion im EP seit 25 Jahren recht konstant (trotz einiger Schwankungen). Insofern ist es zu einfach, nur von einer allgemeinen Krise der europäischen Linken zu sprechen. Trotzdem haben vor allem die kommunistischen Parteien immer noch großen Einfluss in der EL, obwohl sie national schwächer wurden. Dazu kommt, das die EL auch viele kleine Parteien als Mitglieder und zusätzlich als Beobachterparteien aufnahm.[3] Viele dieser Parteien sind aber nie stark oder relevant geworden. Es gab in der EL jedoch nie Mindestkriterien für eine Mitgliedschaft, die regelmäßig überprüft werden, so das Parteien auch wieder ausscheiden oder im Status herab- bzw. wieder heraufgestuft werden.

Ein Gründungsmitglied der EL, die finnische kommunistische Partei mit 150 Mitgliedern, ist beispielsweise genauso Vollmitglied wie der finnische Linksbund Vasemistolitto, der bei der letzten Europawahl 17 Prozent holte. Dazu kommen Kleinstparteien, die teils nicht einmal zu Wahlen antreten. Alle Mitgliedsparteien können dank des in den Statuten verankerten Konsensprinzips sämtliche Entscheidungen blockieren. Ein wichtiger Auslöser der Spaltung war beispielsweise das Veto der PCF aus Frankreich gegen die Spitzenkandidatur von Martin Schirdewan und Manon Aubry von La France Insoumise. Statt den beiden wurden der sehr honorige Walter Baier als Präsident der Europäischen Linken Spitzenkandidat. Das war doppelt unglücklich – denn einerseits war die Chance seiner Partei, der KPÖ, auf einen Sitz im Europaparlament gering, und andrerseits stellte die KPÖ jemand anderen an die Spitze – was natürlich für die Außendarstellung der EL alles andere als optimal war.

Wichtiger als dieses konkrete Ereignis ist aber der schlechte Zustand der EL. Viele der Arbeitsstrukturen der EL sind kaum noch genutzt worden. Es gab lange aktive Arbeitsgruppen etwa im Bereich Wohnen, Ökonomie, Frauen und Arbeit/Gewerkschaften. Vieles davon ist eingeschlafen. Stattdessen wird ein Gutteil der Gelder der EL für internationale Reisen zu Konferenzen oder Wahlbeobachtungen mit fraglichem Nutzen finanziert. Viele Mitgliedsparteien reduzierten ihre finanziellen Eigenbeiträge, die das EP vorschreibt, so dass heute die deutsche Linke fast die Hälfte der Finanzmittel der EL beiträgt (die dann vom EP verzehnfacht werden zum EL-Gesamtbudget). Trotzdem schöpft die EL aufgrund der niedrigen Beiträge nicht mal das ihr zustehende Budget aus. Davon profitieren schon jetzt alle anderen Parteienfamilien, einschließlich der rechten. 

Nur wenige Angebote, wie zum Beispiel die europäische Sommeruniversität der EL, wurden rege genutzt – auch von den Mitgliedern. Eine gemeinsame Arbeit kam zu selten zustande und viele Veranstaltungen der EL blieben rein national. Die interne Blockade und der fehlende Nutzen machten die EL zunehmend unattraktiver. Viele Parteien reduzierten ihre Mitarbeit in der EL. Auch die Runde der Vorsitzenden der EL wurde zusehends zu einer Runde der stellvertretenden Stellvertreterinnen.

Die neue Partei ELA ist auch nicht aus dem Nichts entstanden. Schon zur Europawahl 2019 traten die meisten der jetzt unter dem neuen Namen gruppierten Parteien mit einem eigenen Wahlaufruf auf. Dasselbe Schauspiel wiederholte sich in diesem Jahr. Die Linke stand meines Wissens pragmatisch unter beiden Aufrufen. Hinter diesem seltsam anmutenden Theater steckte real jedoch die jahrelange Abkopplung der Europafraktion von der EL (und andersrum). Hier ist es bis heute nicht gelungen, eine gemeinsame Arbeitsweise zu finden.

Die neue Partei – alle Probleme gelöst?

Im nd stand jüngst, dass die Außenpolitik der entscheidende Knackpunkt der Spaltung war, doch das ist nicht ganz richtig. Auch die neue European Left Alliance ist in punkto Ukraine-Krieg keineswegs einer Meinung. Während die nordischen Linken solidarisch mit der Ukraine sind und damit auch eine konditionierte militärische Unterstützung meinen, ist die Haltung von La France Insoumise und dem Bloco aus Portugal hier teils eine andere. Beide Parteien sind eher pazifistisch. Bei der Abstimmung über die Unterstützung der Ukraine bis zum Sieg stimmte die linke Fraktion im Europäischen Parlament jeweils zu einem Drittel zu, ein Drittel enthielt sich und ein weiteres Drittel lehnte die Beschlussvorlage ab. Die Diskussion um die Solidarität mit der Ukraine spaltet viele linke Parteien wie die Friedensbewegung auch.

Anders als hierzulande hin und wieder kolportiert, ist die schwedische und die finnische Linke nicht ins Pro-NATO-Lager gewechselt. Beide Parteien sind nach wie vor gegen Militärbasen der NATO, gegen die Stationierung von Atomraketen im Land sowie gegen jedwede Form der Militärinterventionen. Die finnische Linke hat in der Regierung mehrheitlich für den NATO-Beitritt gestimmt, ist aber nach wie vor der NATO gegenüber äußerst kritisch eingestellt. Die schwedische Linke hat gegen den NATO-Beitrag im Parlament gestimmt. Umstritten ist in der EL und der neuen ELA die Frage der friedlichen, finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine. Hierzu gab es in der EL einen Kompromiss mit gemeinsamen Minimalforderungen gegen den russischen Angriffskrieg und für Frieden. Eine öffentliche Position der ELA gibt es dazu bislang noch nicht – jedenfalls mir nicht bekannt.

Hinweise auf die Uneinigkeit in diesen Fragen bietet das Wahlprogramm der neuen Partei.[4] Dieses unterscheidet sich inhaltlich kaum von dem der EL[5] – belässt es bei vielen sehr knappen Bekenntnissen und Zielen, unter anderem zum Frieden. Das neue Statut dagegen ist so knapp und allgemein gehalten, dass sich inhaltlich daraus kaum etwas ableiten lässt. Leider schüttet die ELA im Statut das Kind mit dem Bade aus. Um Zustände wie in der EL zu vermeiden, können in der ELA nur Parteien Mitglied werden, die im nationalen Parlament sitzen oder einen EP-Abgeordneten haben. Das schließt Parteien wie die österreichische KPÖ aus und macht es auch kleineren hoffnungsvollen Parteien – etwa aus dem Osten Europas – schwerer Mitglied zu werden. Gerade für neue Parteien ist es wichtig, in den Erfahrungsaustausch mit größeren Parteien zu treten. Das wird durch das Statut der ELA verunmöglicht.

Was passiert derzeit?

Hier wird es kurz technisch: Nun sammeln beide Parteien Unterschriften in der linken Europafraktion. Die Abgeordneten der Parteien, die in der einer Mitgliedspartei sind, unterschreiben automatisch. Mitgliedsparteien sind – Stand jetzt – die finnische Vasmistolitto, die dänischen Enhedslisten, die schwedische Vänsterpartiet, Podemos aus Spanien, La France Insoumise, Razem aus Polen und der Bloco aus Portugal. In der ELA sind damit automatisch 18 Mitglieder des Europäischen Parlaments, in der EL dagegen nur noch 6 (DIE LINKE und Syriza). Die Unterschriften bei der EL dürften noch auf etwa 11-14 anwachsen.

Um die 16 ungebundenen Abgeordneten dürfte nun geworben werden. Die EL hatte beim letzten Mal 28 Unterschriften von vielen ungebundenen Parteien bekommen. Neben Sinistra Italiana und der belgischen PTB machen die Ungebundenen vor allem kommunistische Parteien aus. So oder so dürfte die EL – und mit ihr die an sie geknüpfte Stiftung transform!europe – nun nur noch mit der Hälfte des Geldes auskommen. Beide sind damit in ihrer Existenz gefährdet. Insgesamt ist diese Situation mit zwei konkurrierenden internationalen Parteien und vielen ungebundenen Parteien völlig absurd.

Was macht Die Linke?

Als Linke haben wir im Juni als Parteivorstand beschlossen, für eine geeinte europäische Linke einzutreten, praktisch und pragmatisch aber zweigleisig zu fahren. In der Europäischen Linken wollen wir um eine Reform ringen, aber gleichzeitig mit anderen Parteien in Kontakt zu bleiben und die Entwicklungen in der ELA im Auge zu behalten (ohne uns an der Gründung in irgendeiner Form zu beteiligen). Im EL-Vorstand werben wir unterdessen für Veränderungen: Für qualifizierte Mehrheiten, mehr praktische Relevanz und internationale Veranstaltungen sowie ein Mindestkriterium für Mitgliedsparteien, um wieder arbeitsfähig zu werden. Die Vereinigung der relevanten Parteien in einer Familie muss das Ziel sein – mit größeren Ressourcen und mehr Einfluss.

Auch gemeinsame Gespräche von Walter Baier und mir, zum Beispiel mit den dänischen Enhedslisten, waren nicht erfolgreich, und die Dänen sind kurze Zeit später mit einem knappen Votum in ihrem Vorstand der ELA beigetreten. Die einzige andere Mitgliedspartei mit EP-Abgeordneten, Syriza, kommt derweil nicht zur Ruhe und es ist noch nicht absehbar, wohin die Partei steuert nach einer Vielzahl von Abspaltungen des linken Parteiflügels (der mehrheitlich in der EL aktiv war). Andere linke Parteien in der EL, wie die KPÖ oder die slowenische Levica, werden wohl vorerst in der EL bleiben. Wie sich die EL weiterentwickelt und ob der Reformprozess in Gang kommt, bleibt abzuwarten. Zur kommenden EL-Vorstandssitzung werden wir voraussichtlich Reformvorschläge auf der Grundlage des Antrags oben unterbreiten.

Für die neue Partei ELA spricht, dass sich in ihr die größeren und relevanten Linksparteien versammeln und es nicht gut wäre, wenn die Linke dabei außen vor bleibt. Gegen die ELA spricht das auschließende und vage Statut. Es ist noch völlig unklar, welche Positionen sie entwickelt und was sie praktisch tun wird. Da ELA nun auch die Gründungsunterlagen schon eingereicht hat, über die das EP zum 1. Januar 2025 entscheidet, besteht erst einmal kein Zeitdruck für eine Entscheidung. Das gilt umgekehrt auch für den Antrag, für die Legislaturperiode 2024-2029 in der EL zu bleiben. Im schlechtesten Fall bindet sich die Linke an eine Partei, in der sie die einzigen Europaabgeordneten stellt und isoliert sich international völlig.

Wie sich andere Parteien wie die PTB und die Sinistra Italiana entscheiden, ist derzeit noch offen. Klar ist nur, dass trotz unserer Schwäche die deutsche Linke ein wichtiger Bezugspunkt bleibt. Was in Deutschland passiert, hat immer auch Folgen für die gesamte EU. Das BSW war nicht in der Lage, eine Fraktion im EP zu bilden und ist nun isoliert. International hat die Partei aufgrund ihrer Positionen zu Migration sowie ihrer Absage an linkes Denken und Klimaschutz bislang kein gutes Ansehen unter Linken.

Ziel unseres Agierens als Vorstand war und ist jedoch eine gemeinsame europäische Linkspartei, die attraktiv ist. Dazu braucht es inhaltliche Arbeitsgruppen mit Mehrwert vom Kommunalvertreter bis zur EP-Abgeordneten sowie eine Verstärkung internationaler Veranstaltungsformate wie der Sommeruniversität und den gegenseitigen Austausch –  insbesondere zwischen den Jugendorganisationen. Gerade auf diesen Treffen lernen Mitglieder viel mehr voneinander als bei formalen Bildungsformaten. Darüber hinaus ist der internationale strategische Austausch in Zeiten des Rechtsrucks immens wichtig – zu Klasse, Miete, Klimawandel, Krieg und Frieden sowie zu praktischem Antifaschismus.

Viele linke Parteien haben mittlerweile Erfahrungen mit rechten Regierungen und sind schon weiter, was die Entwicklung von Gegenstrategien anbelangt. Auch die soziale Entwicklung in Europa bildet sich ganz unterschiedlich aus und die linken Parteien reagieren darauf mit organisatorischen und politischen Neuerungen, die wir in Deutschland nur sehr begrenzt wahrnehmen. Internationale Kampagnen bleiben hingegen bis auf weiteres erst einmal Zukunftsmusik. Die nationale Bühne bestimmt die öffentlich wahrgenommene Politik in allen Ländern. Nichtsdestotrotz wird ein immer größerer Teil der Politik von der EU bestimmt und der Rückzug ins Nationale ist unzureichend. Dies bleibt ein Dilemma linker Europapolitik.

Statt sich jetzt voreilig auf die neue Partei ELA festzulegen oder womöglich in einer EL zu bleiben, deren reale Relevanz gegen null geht, sollten wir uns als Partei Zeit zur Diskussion nehmen und die Entwicklung beider Parteien genau beobachten. Zum kommenden Parteitag haben wir daher die Streichung des Passus zur Mitgliedschaft in der Europäischen Linken beantragt. Im kommenden Jahr sollten wir dann mit Ruhe auf einem Parteitag die Mitgliedschaft der LINKEN in einer der beiden europäischen Linksparteien klären und auf eine Einheit drängen. Bis dahin dürfte absehbarer sein, wofür die neue ELA inhaltlich wirklich steht und ob der Reformprozess der EL Erfolg hat oder nicht.

 

 

[1]Alles Dokumente, die die neue Partei eingereicht hat, finden sich hier: https://www.appf.europa.eu/appf/en/applications/applications-not-approved

[2]Eine Übersicht über die Mitglieds- und Beobachterparteien gibt es bei wikipedia oder hier: EL Map – Party of the European Left (european-left.org)

[3]Beobachterparteien können an Sitzungen des Vorstands teilnehmen und sind präsent etwa auf der Sommeruniversität, haben Rede-, aber kein Stimmrecht.

[4]Nachlesbar hier NOW-THE-PEOPLE-10-POINTS-PROGRAMME.pdf (nowthepeople.eu)

[5]Das Wahlprogramm der EL auf englisch ist hier zu finden: European Elections Manifesto 2024 – Party of the European Left (european-left.org)