Spaß für Bürgergeldberechtigte auf der Fußball-EM?
Ich gebe es zu: Fußball ist nicht wirklich meine Sache. Und trotzdem habe ich mit Begeisterung die Fußball-Europameisterschaft geschaut. Gut, Deutschland ist erhobenen Hauptes ausgeschieden. Im Vergleich zu den letzten zehn Jahren hat die Nationalmannschaft in meinen Augen als Team wunderbar harmoniert und gespielt.
Was begeistert mich an der Fußball-EM? Es ist für mich eine persönliche Auszeit. Eine Auszeit von derzeit so vielen negativen Nachrichten über Krieg, Armut, Klima und dem vorherrschenden Populismus durch die rechten und konservativen Parteien. Das strengt an. Während der EM-Spiele beobachte ich, wie sich ein großer Teil des Landes auf Tore und auf Ausgelassenheit auf den Fanmeilen oder privat freut. Ja, auch ich schalte ab. Fiebere auf dem Sofa mit und wundere mich, wie eine Mannschaft mit Standfußball in ein Halbfinale gelangen kann. Aber Wunder gibt es immer wieder.
Parallel wird mir ein Artikel von Fokus per E-mail zugesandt, der sich darüber aufregt, dass eine Bürgergeldempfängerin „ihr letztes Geld für Bier auf der EM-Fanmeil verprasst“. „Na und“, denke ich. Es ist ihr gutes Recht und „typisch Fokus“. Darf sie als Bürgergeldberechtigte nicht ihr letztes Geld für ein bisschen Spaß ausgeben? Warum wird ihr daraus gleich ein medialer Vorwurf gemacht?
Statt zu hinterfragen, warum eine Sozialleistung nicht mal bis zum Ende des Monats für eine Fanmeile ausreicht, kommt Fokus mit Sozialchauvinismus gegen Bürgergeldberechtigte daher. Das ist infam, billig und reiner Populismus. Passt aber in die derzeitige Stimmung gegen Bürgergeldbezieher:innen und bringt vermutlich viele Klicks.
Spaß auf der Fanmeile verboten
Nun begleitet mich die Agenda 2010, angefangen von Hartz I, über Hartz IV bis zum Bürgergeld schon sehr lange. Eines hat sich allerdings bis heute nicht geändert. Ich nenne es den Paternalismus. Paternalismus bedeutet, einfach ausgedrückt, Andere zu bevormunden, zu lenken oder einzuschränken, weil man die eigene Ansicht vertritt, dass die Anderen die Verantwortung nicht selbst tragen können.
Das passiert täglich in den Jobcentern, indem kaum mehr eine freie Arbeitswahl möglich ist. Wer ablehnt, muss inzwischen wieder mit scharfen Sanktionen rechnen. Wer umziehen möchte, braucht die Genehmigung des Jobcenters. Wer in den Urlaub fahren möchte, ebenso. Man gibt sozusagen die Eigenverantwortung mit dem Antrag auf Bürgergeld beim Jobcenter ab.
Wenn nun jemand mit Bürgergeld quasi sein letztes Hemd für ein wenig Spaß ausgibt, wie andere Lohnabhängige eventuell auch, setzt sich dem Vorwurf aus, dass dieses Verhalten zu verurteilen ist. Es signalisiert, dass mit Bürgergeld weder Bier, noch Wurst gepaart mit Spaß gekauft werden dürfen. Bürgergeldberechtigte sollten gefälligst stumm sein, ihre Armut verstecken oder zuhause auf dem Sofa mitfiebern. Grundsätzlich sind sie es, die nichts Gutes verdient haben. Sie sind, auch dank der politischen und zum Teil medialen Hetze, faule Nichtsnutze, die sich der Arbeit verweigern und „die Leistung als grundlos ein bedingungsloses Grundeinkommen betrachten“, wenn es nach den ehemaligen Chefs der Bundesagentur für Arbeit Heinrich Alt und Frank-Jürgen Weise in ihrem aktuellen Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen geht.
Dabei müssten genau diese zwei Herren wissen, dass das Bürgergeld vom bedingungslosen Grundeinkommen so weit weg ist, wie wir vom Mond. Das Grundeinkommen ist existenz-, und teilhabesichernd, auf das ein individueller Rechtsanspruch besteht und ohne Bedürftigkeitsprüfung, ohne Zwang zur Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert wird. Es gibt jedem derzeitigen Bürgergeldberechtigten die Freiheit und die eigene Verantwortung wieder zurück, so dass ein Bier auf der Fanmeile keinen Klassenunterschied mehr macht.
Die Europameisterschaft ist demnächst vorbei. Natürlich verschwanden währenddessen weder die Kriege, die Armut und auch den Klimawandel gibt es weiterhin. Die Konservativen und die Rechten werden weiter gegen Arme hetzen und behaupten, dass nur wer arbeitet, für die Gesellschaft einen Wert erbringt. Das ist der Tenor, der unsere Gesellschaft prägt. Daran kann auch eine Fußball-EM leider nichts ändern.