Patentrezepte aus Österreich?
Es grenzt fast an ein Wunder, „wie Salzburg dunkelrot wurde“. Es ist kaum nachvollziehbar, wie es gelungen ist, die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) in Salzburg, in der die Landtagsabgeordnete Sarah Pansy bei ihrem Eintritt 2017 nur „fünf bis sieben ältere Genossen“ antraf, auf 70 aktive Mitglieder anwachsen zu lassen und Wahlergebnisse von 21 Prozent bis 28 Prozent zu erreichen. Und das in einer Stadt, in der die KPÖ noch nie viel zu melden hatte.
Der Artikel von Julian Alexander Hitschler in Links bewegt vom 11.04.2024 ist einer von wenigen, die wirklich versuchen, den Geheimnissen der KPÖ auf den Grund zu gehen, auch indem er die Protagonist*innen zu Wort kommen lässt.
Dennoch bleiben viele Fragen offen, vermutlich auch, weil man seitens der Salzburger Kommunist*innen nicht alle Interna in der Öffentlichkeit ausbreiten will. Es wird zum Beispiel nicht deutlich, wie es gelungen ist, die seit zwei Jahrzehnten gespaltene KPÖ zu einen.[1] Der Landesverband Steiermark nahm seit 2004 nicht mehr an den Aktivitäten der Bundespartei teil. Er trat zwar nicht aus der KPÖ aus – wie 2005 eine kleine Minderheit, die 2013 die Partei der Arbeit (PdA) gründete –, führte aber in jeder Hinsicht ein Eigenleben.
Während die Bundespartei der KPÖ einen linkspluralistischen Kurs ähnlich dem der deutschen Linken einschlug und sich auch feministischen, queeren, migrantischen und ökologischen Themen stärker zuwandte, blieb die Grazer Organisation eine – wenn auch selbstkritische – kommunistische Partei, die sich auf Marx, Engels und Lenin beruft. Die Jugend- und Studierendenorganisationen der Bundespartei stehen ihr darin nahe.
Weitgehend unabhängig von diesen ideologischen Auseinandersetzungen, hatten die Grazer Kommunist*innen – durch langjähriges Experimentieren nach dem Prinzip Trial and Error – herausgefunden, wie man kommunalpolitisch wirksam agieren kann.
Die fünf Zutaten für ihr Erfolgsrezept scheinen die folgenden sein: Erstens: Konzentration und langfristiges Festhalten an einem drängenden sozialen Thema wie der Wohnsituation. Zweitens: Verzicht auf die Befassung mit Themen, die im eigenen Wahlpotential umstritten sind. Drittens: direkter Kontakt zu den Menschen durch Befragung, Unterschriftensammlung, Beratung und finanzielle Hilfe. Viertens: Begrenzung der Diäten von Mandatsträger*innen auf die Höhe eines Facharbeitergehalts sowie fünftens eine starke Personalisierung der Politik.
Dass dieses Rezept auch anderswo in Österreich Schule macht, hängt wohl nicht nur mit seinem Erfolg in Graz, sondern auch mit dem Anschluss der Jungen Grünen an die KPÖ zusammen. Auch dieser Vorgang ist schwer verständlich. Bei Mitgliedern einer grünen Jugendorganisation hätte man eher erwartet, dass sie für mehr Engagement bei Themen wie Umweltschutz, Migration oder LGBT-Rechte in der KPÖ plädieren würden, als bei sozialen Fragen. Doch haben sie mit dafür gesorgt, dass die Methoden der dissidenten Kommunist*innen aus der Steiermark in der gesamten KPÖ zum Allgemeingut werden. Denn es war nicht die „Strategie auf nationaler Ebene der KPÖ“, die die in Junge Linke umbenannte Organisation übernommen hat, sondern die der steirischen Partei. Die Jungen Linken waren anscheinend dabei behilflich, dass der Riss zwischen Graz und Wien gekittet und die Grazer Rezepte sich in der ganzen Partei durchgesetzt haben.
Schlüsselfaktor „thematische Disziplin“
Die „thematische Disziplin“ scheint ein Schlüssel zum Erfolg der KPÖ zu sein. Allerdings geht es nicht nur darum, Schwerpunkte zu setzen, wie es auch andere Parteien tun. „Wir reden im Wahlkampf nicht so viel über klassisch linke Themen wie Klimaschutz, übers Gendern und über Migration,“ so Pansy. „Wenn wir im Parlament oder auf der Straße dazu gefragt werden, sagen wir aber unsere Meinung dazu.“ Wobei das „klassisch links“ sich wohl eher auf das Selbstverständnis der Grünen bezieht als auf das der KPÖ, denn sozio-ökonomische Fragen sind hier nicht gemeint.
Anders als beim deutschen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das Wähler*innen gewinnen will, indem es sich bei bestimmten sozio-kulturellen Fragen an rechte Meinungen anpasst, statt sich mit diesen auseinanderzusetzen, vollzieht die KPÖ allerdings keine Wende nach rechts. Statt sich anzupassen, verzichtet sie darauf, Themen überhaupt anzusprechen, die im anvisierten Wählerpotenzial umstritten sind.
Dass im Salzburger Kommunal- und Landesprogramm kein Wort über Migration, Flucht und Asyl steht, ist kein Zufall. Dies war auch schon in Graz nicht der Fall, und auch im Programm für Innsbruck sucht man danach vergebens. Gleiches gilt für das Thema innere Sicherheit, das weder im steirischen noch im Salzburger Landesprogramm vorkam.
Beim Thema Klima wird akribisch darauf geachtet, keine Vorschläge zu machen, bei denen der Eindruck entstehen könnte, es würden Kosten für die Bürger*innen anfallen. Forderungen, die die potenziellen Wähler*innen in ihrem Verkehrsverhalten oder bei ihren Energie- oder Wasserverbrauch einschränken könnten, lassen sich im Programm nicht finden, auch nicht für den wohlhabenden Teil der Bevölkerung – mit einer Ausnahme: Es soll Schluss sein mit der „Privat-Jet-Flut der Reichen“.
Die Frage ist allerdings, ob dieses rigorose Herangehen auf Dauer zielführend ist, denn teilweise gehören die nicht angesprochenen Fragen zumindest in der Bundespolitik zu den wahlentscheidenden. Die Beschränkung auf „attraktive“ Themen könnte ein Grund dafür sein, warum bei den Wahlen zum Landtag, zum Nationalrat oder zum Europaparlament die Wahlergebnisse der KPÖ deutlich schlechter sind. Bei den Grazer Kommunalwahlen 2017 erreichte die KPÖ 20,3 Prozent und 28,8 Prozent vier Jahre später. Bei der Landtagswahl 2019 waren es in Graz „nur“12,8 Prozent. Hier scheint das Vertrauen, das man der KPÖ auf lokaler Ebene entgegenbringt, nicht in gleichem Ausmaß vorhanden zu sein.
Davon abgesehen, setzt eine Übernahme dieser Taktik der KPÖ in anderen Ländern voraus, dass eine dortige Partei überhaupt in der Lage ist, eine derartige „thematische Disziplin“ durchzuhalten. Bei der KPÖ in der Steiermark und erst recht in Salzburg und Innsbruck handelt es sich um kleine Organisationen, in denen es vergleichsweise einfach ist, sich auf eine bestimmte Linie zu einigen. In großen, pluralistischen Parteien dürfte das schwierig werden.
Kümmern mit Staatsgeldern
Die Regel, dass die Mandatsträger*innen der KPÖ ihre Bezüge auf einen Facharbeiterlohn beschränken und das überschüssige Geld in Sozialsprechstunden an Bedürftige weitergeben, ist zweifellos ein Grund für den Erfolg der Partei. „Wir halten Karrieristen aus der Partei fern und bleiben bodenständig,“ begründet Sarah Pansy diesen Ansatz.
Einmalig in Österreich ist allerdings, dass auf der kommunalen Ebene sehr viel mehr Geld im Spiel ist als in anderen Ländern. In der Stadt Salzburg erhalten die „ehrenamtlichen“ Gemeinderäte vierzehnmal im Jahr 2.758 Euro, Stadträt*innen 11.970 Euro, der stellvertretende Bürgermeister (mittlerweile Kay-Michael Dankl von der KPÖ) 13.352 Euro und die Fraktionsvorsitzenden („Klubvorsitzende“) 6.906 Euro. Ähnlich hoch sind die Zahlungen in Graz. Im Vergleich dazu bekommen Stadtverordnete (die den österreichischen Gemeinderäten entsprechen) in der etwas größeren nordhessischen Stadt Kassel 475 Euro, die Fraktionsvorsitzenden 776 Euro. Im mittelhessischen Marburg sind es nur 300 und 500 Euro – zu wenig für Karrierist*innen.
Deshalb sind die Möglichkeiten, mit den Grazer Rezepten Erfolge auf kommunaler Ebene zu erreichen, zumindest in Deutschland begrenzt. Hauptamtliche Mandatsträger*innen, die sich mit einem Facharbeiterlohn begnügen könnten, bekommt man nicht, wie in Österreich, ab einem bestimmten Wahlergebnis „geschenkt“, sondern erst, wenn man bereits so erfolgreich ist, dass man im Rahmen einer Koalition Dezernent*innenposten zugeteilt bekommt.
Die KPÖ ist außerdem nicht auf die Abgaben ihrer Gewählten angewiesen. Laut eigenen Angaben werden nirgendwo in Europa Parteien großzügiger öffentlich finanziert als in Österreich. Geld bekommen nicht nur die Parteien und ihre Klubs, sondern es werden auch Wahlkämpfe, parteinahe Organisationen, Medien und politische Akademien bezuschusst. Und das nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landes- und meist auch auf kommunaler Ebene.
Da in vielen Ländern Politiker*innen durch Vetternwirtschaft und Korruption glänzen, ist ihr Ansehen stark gesunken. Bei Befragungen zum Vertrauen in verschiedene Berufsgruppen rangieren sie in Österreich und Deutschland auf den unteren Plätzen, knapp vor Werbefachleuten oder Versicherungsvertretern. Und auch das Ansehen der Parteien ist auf einem Tiefpunkt. Da hilft es enorm, wenn man Politiker*innen vorweisen kann, die nicht in die eigene Tasche wirtschaften.
Die Gewählten der KPÖ erzielen eine doppelte Wirkung, indem sie auf einen Großteil ihrer Diäten verzichten und in einen Sozialfonds einzahlen, mit dem die Partei Menschen in Notlagen hilft. Alljährlich legt die KPÖ öffentlichkeitswirksam Rechenschaft über die Spenden und ihre Verwendung ab.
Mit einem Facharbeitergehalt begnügen sich auch Abgeordnete von Linksparteien in anderen Ländern (zum Beispiel in den Niederlanden und Dänemark). In der dortigen Öffentlichkeit spielt dies aber nicht die gleiche Rolle wie bei der KPÖ, vermutlich, weil sie vorwiegend nicht für soziale Zwecke, sondern an ihre Partei spenden. Eine Ausnahme ist die ebenfalls erfolgreiche Partei der Arbeit Belgiens (PTB/PVDA), wo der gesamte harte Kern der Partei mit einem Facharbeitergehalt auskommt und ein beachtlicher Teil der Spenden an soziale Projekte wie die Praxen von „Medizin für das Volk“ fließt. Stärker als die KPÖ führt sie gleichzeitig eine Kampagne gehen die Selbstbedienungsmentalität in der Politik.[2]
Bei der KPÖ und der PTB handelt es sich um zwei Parteien, die, bevor sie erfolgreich waren, beschlossen haben, dass Mandatsträger*innen sich mit einem Durchschnittlohn begnügen müssen. Das Modell im Nachhinein durchzusetzen, dürfte ein schwieriges Unterfangen sein, zumal Fraktionen oft mehr Macht haben als ihre zugehörige Partei. Ob das der Grund ist, warum das hauptsächlich von zehn Bundestagsabgeordneten gegründete Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) mit hohen Diäten kein Problem hat, ist nicht bekannt. Laut BSW-Finanzordnung sollen nur 10 Prozent der Bezüge der Mandatsträger*innen an die Partei gespendet werden – so wenig wie bei der FDP. Dazu passt auch, dass Spenden von Millionär*innen erlaubt sind.
Sympathieträger*innen erforderlich
Sowohl Graz als auch Salzburg zeigen, dass die kommunistischen Wahlerfolge zu einem großen Teil auch von Sympathieträger*innen an der Spitze abhängen. Die Personalisierung hat sich in Graz durch die hervorgehobene Position von Ernst Kaltenegger als erstem KPÖ-Stadtrat und durch seine Beratungs- und Spendentätigkeit ergeben. Dass das nicht nur positive Folgen hat, zeigte sich 2008, als er nicht mehr kandidierte und die KPÖ von 21 Prozent auf 11 Prozent abstürzte.
Dennoch wurde an der Personalisierung festgehalten. Mit Elke Kahr in Graz und dann mit Kay-Michael Dankl in Salzburg als Aushängeschilder wurden neue Wahlerfolge eingefahren. Bei der Bürgermeisterwahl hat der Gemeinderat Dankl das Ergebnis der KPÖ noch um 6 Prozent überboten.
Befragt nach dem Hauptgrund für die Wahl der KPÖ, nannten Wähler*innen in Salzburg 2023 an erster Stelle mit 22 Prozent den Spitzenkandidaten. Weitere 14 Prozent gaben „Gaubwürdigkeit und Sympathie“ als Wahlgrund an, aber nur 12 Prozent die „inhaltlichen Standpunkte“ der KPÖ.
Auf Landes- oder Bundesebene dürfte die Personalisierung schwerer fallen, weil der Anteil der Menschen, der die Spitzenkandidat*innen persönlich kennt oder von ihnen beraten wurde, wesentlich geringer ist. Auch das kann ein Grund für die niedrigeren Wahlergebnisse der KPÖ abseits von kommunalen Wahlen sein.
Zurück bei der Arbeiterklasse?
Angesichts der überraschend guten Wahlergebnisse der KPÖ ist die Frage, wer sie eigentlich wählt, etwas in den Hintergrund geraten.[3] Ist es in Österreich gelungen, die Abwendung der Arbeiter*innen, des Prekariats und der unteren Mittelklasse von den Linksparteien und ihre Hinwendung zur Wahlenthaltung oder zu den Rechtspopulist*innen zu stoppen oder gar umzukehren? Sind die verlorenen Anhänger*innen der Sozialdemokratie nach links gewandert?
Das ist nicht so einfach zu erfahren, da Untersuchungen über die Zusammensetzung des Wahlvolkes in Österreich eher rar und kleine Linksparteien ohnehin nicht im Visier der Wissenschaft sind. Das liegt auch daran, dass der Durchbruch bei der KPÖ vor kurzem stattfand. In einer jüngst erschienenen Untersuchung von Raul Gomez und Luis Ramiro über „Radical Left Voters in Western Europe“, die sich auf die Erhebungen der „European Social Survey“ von 2002 bis 2018 stützt, kommt Österreich ebenso wenig vor wie im „Palgrave Handbook of Radical Left Parties in Europe“ von Fabien Escalona, Daniel Keith und Luke March.
In Österreich ist man auf die Erhebungen des sozialwissenschaftlichen SORA-Instituts zu den Landtagswahlen angewiesen, die wegen der geringen Zahl der Befragten kaum belastbare Aussagen für kleinere Parteien zulassen.[4] In der Steiermark, wo sich die KPÖ bei Landtagswahlen zwischen 4 Prozent und 6 Prozent bewegte, sind die Daten deshalb widersprüchlich. Die Angaben zur Kommunalwahl in Salzburg sind aufgrund des höheren KPÖ-Ergebnisses vertrauenswürdiger. Wählerstromanalysen liefert auch Prof. Erich Neuwirth, ein pensionierter Statistiker und Wahlexperte.[5]
Wer wählt die KPÖ?
Gemeindegröße
Der Stimmenanteil der KPÖ wächst mit der Ortsgröße. 2019 wählten bei der Landtagswahl in der Steiermark in Orten unter 2.000 Einwohner*innen 2,8 Prozent die KPÖ, in Städten von 10.000 bis 100.000 waren es 7,0 Prozent, und in Graz 13,2 Prozent. Bei der Landtagswahl in Salzburg war der Abstand mit 5,0 Prozent bis 20,3 Prozent etwas geringer. Dieses starke Stadt-Land-Gefälle ist typisch für die meisten radikal linken Parteien, etwa La France Insoumise (LFI) in Frankreich oder auch Die Linke in Deutschland.
Alter
Ebenso typisch für die meisten vergleichbaren Parteien sind mit dem Alter abnehmende Wahlresultate. In den Gemeinden wo 2019 in der Steiermark der Anteil der 15-30-jährigen besonders hoch ist, erreichte die KPÖ ihre besten Ergebnisse. Das wird auch in Graz deutlich. In allen Stadtvierteln, in denen der Anteil der 18-30-Jährigen mehr als 30 Prozent beträgt, liegt das KPÖ-Ergebnis über 30 Prozent.
Auch in Salzburg waren sowohl bei der Landtagswahl als auch bei der Kommunalwahl die Ergebnisse in Viertel mit einem hohen Anteil von 20-30-jährigen überdurchschnittlich hoch.
In Innsbruck, wo die KPÖ bei der Kommunalwahl im April 2024 6,7 Prozent und ihre Bürgermeisterkandidatin Pia Tomedi 4,2 Prozent erzielte, erreichte die Partei in der Wahlauswertung der Stadt in Gebieten mit überdurchschnittlichem Studierendenanteil 10,3 Prozent. Die vier Stadtviertel mit einem Anteil der 20-29-jährigen von über 20 Prozent sind auch die mit den höchsten KPÖ-Ergebnissen.
Tomedi kam in Vierteln mit einem Wähler*innenanteil der unter 30-jährigen von über 33 Prozent auf 6,2 Prozent (bei über 65-jährigen hingegen auf 3,5 Prozent).
Bildung
Die hohen Stimmenanteile unter Studierenden machen bereits deutlich, dass die KPÖ besonders unter Akademiker*innen gut abschneidet. Die SORA-Befragung nach der Salzburger Landtagswahl 2023 zeigt, dass die Stimmenanteile für die KPÖ mit der Höhe des Bildungsabschlusses schrittweise zunehmen. Ähnliche Verhältnisse sind auch in Frankreich bei La France Insoumise und bei der Linken in Deutschland zu beobachten. Auch der Stimmenanteil der Grünen hängt stark vom Bildungsgrad ab. Bei den Rechtspopulisten sind die Verhältnisse in der Regel umgekehrt, auch wenn die Wähler*innen, die eine Lehre gemacht haben, die größten Stimmenanteile für die FPÖ aufweisen und nicht diejenigen, die höchstens die Pflichtschule absolviert haben. Bei ihnen liegt in der Regel die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) vorne.
Auch eine Auswertung der steirischen Landtagswahl durch das Referat Statistik und Geoinformation der Landesregierung kommt zu ähnlichen Ergebnissen. In Gemeinden wo der Anteil der Menschen mit „sehr hoher Bildung“ groß ist, liegt die KPÖ bei 9,5 Prozent und bei denen mit „niedriger Bildung“ bei 2,9 Prozent.[6]
Soziale Zusammensetzung
Die SORA-Befragungen zu den steirischen Landtagswahlen, scheinen darauf hinzudeuten, dass die KPÖ überdurchschnittlich von Arbeiter*innen und durchschnittlich von Angestellten gewählt wurde. Rentner*innen taten dies weitunter dem Mittel.
Doch laut der Wahlauswertung der Statistikbehörde liegt die KPÖ 2019 in Gemeinden mit hohem Arbeiteranteil bei 4,8 Prozent, bei denen mit hohem Angestelltenanteil aber bei 8,3 Prozent.
Dazu passt auch, dass in Gemeinden mit einem Industrieanteil von über 35 Prozent, 4,1 Prozent die KPÖ wählten, in denen mit über 70 Prozent Dienstleistungen hingegen 9,5 Prozent. Bei der SPÖ sind die Zahlen umgekehrt: 30,4 beziehungsweise 18,9 Prozent.
Zum Vergleich: die Wahltagsbefragungen von 2019 bis 2021 (später wurde nicht mehr danach gefragt) ergaben, dass bei den Landtags-, Nationalrats- und EU-Wahlen zwischen 26 bis 52 Prozent der Arbeiter*innen die FPÖ wählten.
Einkommen
Stadtviertel mit vielen Arbeitslosen und Menschen im Sozialhilfebezug gehören in der Regel auch zu denen mit hohen KPÖ-Ergebnissen. In Graz sind die drei Stadtteile mit den höchsten Anteilen auch diejenigen mit den besten KPÖ-Ergebnissen. In Innsbruck ist die Armut regelmäßiger über die Stadt verteilt als in Graz. Dennoch sind Ergebnisse für KPÖ-Bürgermeisterkandidatin Tomedi in Wahlbezirken mit stark unterdurchschnittlichem Einkommen mit 5,8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in denen mit stark überdurchschnittlichen (2,6 Prozent).
In Salzburg erzielt die KPÖ nach den Analysen von Neuwirth ebenfalls in den meisten „minder privilegierten“ Stadtvierteln überdurchschnittliche Ergebnisse. Dies gilt für diejenigen, die zur Wahl gehen. Aber bezogen auf alle Wahlberechtigten, sehen die Ergebnisse anders aus. Die KPÖ erzielt dann fast identische Ergebnisse in den ärmeren Vierteln (10,0 Prozent), wie in den „mittleren“ (10,2 Prozent) und den „wohlhabenden“ (9,8 Prozent). Auffällig ist, dass in der mittleren Gruppe der Zustrom von Nichtwähler*innen zur KPÖ der größte ist und in der wohlhabenden Gruppe der der Ex-Grünen-Wähler*innen.
Während der Stimmenanteil der FPÖ von den armen zu den reichen Vierteln bei 5 Prozent verbleibt, nimmt der der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der Grünen und der Liberalen (NEOS) stark zu. Die SPÖ ist die einzige Partei, deren Stimmenanteil mit steigendem Reichtum abnimmt.
Selbst bezogen auf die abgegebenen Stimmen ist bemerkenswert, dass die KPÖ auch in wohlhabenderen Vierteln noch Resultate erzielt, die nicht weit vom Durchschnitt entfernt sind. In Salzburg schwankten die Ergebnisse in den 15 Stadtvierteln zwischen 17 und 31 Prozent, in Salzburg in den 17 Bezirken zwischen 20 und 38 Prozent. Aber bezogen auf alle Wahlberechtigten, betrug die Spanne der Resultate in Graz 9 und 14 Prozent. Die höchsten wurden in Vierteln mit mittlerer Wahlbeteiligung und einem hohen Anteil von Jugendlichen erzielt.
In Salzburg scheint es stärker als in Graz gelungen zu sein, auch Teile der Mittelschicht für die Wahl der KPÖ zu gewinnen. Laut der Befragung von SORA zur Salzburger Landtagswahl war der Stimmenanteil der KPÖ bei den Befragten, die mit ihrem Einkommen gut auskommen, mit 12 Prozent sogar höher als bei denen, denen dies nur schlecht gelingt (10 Prozent).
Dass die Stimmenanteile der KPÖ mit wachsendem Bildungsgrad zunehmen, ist nur ein scheinbarer Widerspruch zu den hohen Zustimmungsraten in den ärmeren Vierteln. Diesem Phänomen, das auch in anderen Ländern beobachtet wurde, ist der Politikwissenschaftler Luc Rauban in Frankreich bereits 2017 nachgegangen. Er hat auf Grundlage einer umfangreichen Wählerbefragung festgestellt, dass das durchschnittliche Bildungsniveau bei linken Wähler*innen zwar deutlich höher liegt als bei Anhänger*innen der Rechtspopulistin Marine Le Pen, die durchschnittlichen Einkommen und Vermögen beider Gruppen aber gleich niedrig sind. Rauban kommt zum Schluss, dass das bei Linken-Wählern vielfach auf die Entwertung von Bildungsabschlüssen und Deklassierung zurückzuführen sei.[7]
Das niedrige Durchschnittseinkommen der KPÖ-Wähler*innen hat aber sicherlich auch mit dem hohen Anteil junger Menschen zu tun, die am Anfang ihrer Berufskarriere stehen oder noch studieren. Und auch Migrant*innen werden oft weit unter ihrem Bildungsniveau beschäftigt, da ihre Berufsabschlüsse oft nicht anerkannt werden.
Nationalität
In Graz erzielt die KPÖ ihr bestes Ergebnis im Viertel mit dem größten Anteil an Ausländer*innen. Bei der Kommunalwahl in Salzburg waren unter den drei Vierteln mit den besten KPÖ-Ergebnissen auch die beiden mit dem höchsten Ausländer*innenanteil. Auch in Innsbruck steigt das KPÖ-Ergebnis mit dem Anteil der nicht in Österreich geborenen Ausländer*innen. Die KPÖ-Bürgermeisterkandidatin Tomedi erzielte in Vierteln mit mehr als 33 Prozent EU-Bürger*innen 6,4 Prozent, 2,3 Prozentpunkte mehr als im Durchschnitt.
Wahlenthaltung
Sowohl in Graz als auch in Salzburg und Innsbruck sind die Stadtviertel mit der niedrigsten Wahlbeteiligung auch diejenigen mit KPÖ-Spitzenergebnissen. Es sind die Viertel mit den höchsten Anteilen an Arbeitslosen und Migrant*innen sowie überdurchschnittlich vielen Studierenden. Dass die Wahlbeteiligung mit dem Einkommen korreliert, ist auch in anderen Ländern der Fall. Das war aber nicht immer so eindeutig. Noch vor 30 Jahren lag die Wahlbeteiligung in armen und reichen Vierteln relativ nahe beieinander. Schwankte die Beteiligung 1998 in den Bezirken bei der Grazer Kommunalwahl von 56,3 Prozent bis 66,9 Prozent, lag sie 2021 zwischen 37,4 Prozent und 67,1 Prozent. Bei der Salzburger Kommunalwahl 2024 lag sie zwischen 30,1 und 54,0 Prozent, 1977 waren es jedoch 68,7 bis 77,4 Prozent.
Bei den Kommunalwahlen in Salzburg sollen laut Neuwirth 38 Prozent der Stimmen der KPÖ von bisherigen Nichtwähler*innen stammen. Auch in Graz (2021) und Innsbruck (2024) waren in der Wählerwanderungsanalyse bei der KPÖ die Nichtwähler*innen die größte Gruppe.
In Anbetracht dieser Berechnungen scheint die Aussage von Georg Kurz, einem ehemaligen Bundessprecher der deutschen Grünen Jugend und Berater der Salzburger KPÖ, dass vor allem „ehemalige Nichtwähler*innen aus dem ärmeren, dicht besiedelten Norden“ zur KPÖ gefunden haben, zuzutreffen. Allerdings lässt sich das durch die geographische Verteilung der Stimmen nicht belegen. Insgesamt hat an den Wahlurnen in Salzburg die Wahlbeteiligung um 6,0 Prozent zugenommen. Aber in den Wahllokalen, wo die KPÖ mehr als 30 Prozent erzielte, stieg sie nur um 2,6 Prozent an. Das Stadtviertel mit dem höchsten KPÖ-Ergebnis ist auch das mit der geringsten Zunahme der Wahlbeteiligung.
Wählerwanderung
Bei der Salzburger Landtagswahl wanderte ein Drittel der Grünen-Wähler*innen von 2018 zur KPÖ, ebenso wie fast ein Fünftel der SPÖ-Stimmen. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass der Spitzenkandidat Dankl und andere Kandidierende selbst vorher bei den Grünen waren. Bei der Gemeinderatswahl von 2024 waren es laut Neuwirth 24 Prozent der SPÖ-Stimmen von 2019 und 17 Prozent der Grünen-Wähler*innen, die zur KPÖ wechselten. Auch bei der Gemeinderatswahl 2021 in Graz gingen laut SORA jeweils ca. ein Fünftel der Stimmen von SPD und Grünen an die KPÖ.
Die Rechten klein gemacht?
Dass es gelungen ist, der FPÖ „sehr stark“ die Stimmen wegzunehmen, wie Pansy glaubt, lässt sich anhand der Datenlage nicht belegen. Die FPÖ war auch bereits bei der letzten Kommunalwahl schwach in Salzburg und hat jetzt von 8,4 auf 10,8 Prozent zugelegt. Das ist nicht viel weniger als die landesweite Zunahme von 10,1 auf 13,3 Prozent. Und auch in den Nordbezirken der Stadt, auf die sich der Wahlkampf der KPÖ konzentriert hat, legte die FPÖ überall zu. Die Wählerstromanalyse von Neuwirth besagt, dass nur 3 Prozent der FPÖ-Stimmen von 2019 an die KPÖ geflossen sind.
Auch die Analysen anderer Wahlen zeigen, dass die Wählerwanderung von der FPÖ zur KPÖ gering ist. Bei der Salzburger Landtagswahl 2018 waren es 6 Prozent der FPÖ-Stimmen, die zur KPÖ flossen, bei der Landtagswahl 2019 in der Steiermark waren es 1 Prozent und bei der Kommunalwahl in Graz 2021 12 Prozent.
Allerdings hinken die Wahlergebnisse der FPÖ in Graz denen im Land oder in ganz Österreich zunehmend hinterher. War der Stimmenanteil der Grazer FPÖ bei den Nationalratswahlen 2006 noch 0,2 Prozentpunkte größer als der der Partei im Bund und 1,8 Prozentpunkte größter als der in der Steiermark, lag sie 2019 4,2 beziehungsweise 6,7 Prozentpunkte zurück. Bei den Europawahlen 1999 übertraf sie die Bundespartei noch knapp und erzielte das gleiche Ergebnis wie die Landespartei, aber 2019 hatte sie einen Rückstand von 3,5 beziehungsweise 6,0 Prozentpunkte. Bei den Landtagswahlen liegt die Grazer FPÖ seit 2015 deutlich unter dem Ergebnis der Landespartei.
Ob das der Politik der Grazer KPÖ geschuldet ist, lässt sich nur vermuten. An die KPÖ sind allerdings die wenigsten Stimmen früherer FPÖ-Wähler*innen geflossen, da sie bei Nationalrats- und Europawahlen in Graz nur niedrige einstellige Ergebnisse erreichte.
Soziale Verankerung der KPÖ
Die Verankerung der KPÖ in der Gesellschaft hält nicht mit den Wahlergebnissen in der Steiermark und Salzburg Schritt. Trotz Orientierung an den Interessen der Arbeiterklasse bleibt bei den Wahlen zur Arbeiterkammer die KPÖ-nahe Liste, der Gewerkschaftliche Linksblock (GLB), hinter den Wahlergebnissen der KPÖ zurück. Erreichte der GLB 1949 und 1954 mit fast 10 Prozent der Stimmen doppelt so viel wie die KPÖ bei den Nationalratswahlen, sank sein bis 2000 auf 0,8 Prozent. 2019 wählten 1,5 Prozent den GLB. Bei den Wahlen im ersten Halbjahr 2024 hat der GLB auf 1,9 Prozent zugelegt. Addiert man andere kommunistische Kandidaturen und das Ergebnis der Wiener Kommunalliste Links (mit der die KPÖ bei der Kommunalwahl in Wien gemeinsam antrat) sind es immerhin 3,3 Prozent. Spitzenergebnisse wurden in der Steiermark (6,7 Prozent) und Salzburg (2,6 Prozent) erzielt.
Eine stärkere Erholung ist bei den Studierenden festzustellen. Die Hochschulen waren nach dem Krieg eine Bastion der Konservativen und NS-Nachfolgeorganisationen. Das wurde bei den Wahlen zur 1946 gegründeten Österreichischen HochschülerInnenschaft (ÖH) deutlich, die auf Bundesebene gesetzlich verankerte Interessensvertretung aller Studierenden. Die extrem rechten Gruppen erreichten bis zum Anfang der 70er Jahre Ergebnisse zwischen einem Viertel und einem Drittel der Stimmen, die konservativen bis in die 80er Jahre mehr als die Hälfte. Erst seit 1999, als sich die Zahl der Studierenden gegenüber den 50er Jahren auf über 200.000 verzehnfacht hatte, gibt es dauerhaft linke Mehrheiten bei den ÖH-Wahlen.
Die KPÖ-Studierendenlisten erzielten in den 50er und 60er Jahren zwischen 1 Prozent und 2 Prozent bei den republikweiten Wahlen der ÖH. Erst in den 1970ern kam es zu einem Aufschwung. Seitdem erzielte der 1972 gegründete Kommunistische Studentenverband (KSV) meist zwischen 3 Prozent und 5 Prozent der Stimmen. 2006 spaltete er sich, als die Mehrheit auf Distanz zur Linie der Bundespartei ging und sich zusammen mit dem Jugendverband (KJÖ) an die KPÖ in der Steiermark – und anfangs an die abtrünnige Partei der Arbeit (PdA) – anlehnte. Der KSV-Linke Liste, der der Bundespartei nahesteht, erzielt seit 2015 leicht höhere Ergebnisse als der KSV-KJÖ. 2023 kam der KSV-Lili bei den Wahlen zur ÖH-Bundesvertretung auf 5,2 Prozent und 3 Sitze und der KSV-KJÖ auf 4,5 Prozent und 2 Mandate. Das ist doppelt so viel wie der geeinte KSV in seinen besten Zeiten um die Jahrtausendwende erzielte.
An der Bundespartei orientiert sich auch die Junge Linke, die 2018 aus den Jungen Grünen hervorgegangen ist. Unbelastet von den früheren Auseinandersetzungen in der Partei trägt sie anscheinend zur Entspannung der Beziehungen zwischen den Lagern bei. Bei den ÖH-Wahlen rief sie zur Wahl beider KSV-Fraktionen auf, die in Salzburg sogar auf einer gemeinsamen Liste kandidierten.
Die Mitgliederentwicklung der KPÖ ist nicht so sensationell wie ihre Wahlerfolge, die vor allem auf ihr sozialpolitisches Engagement und die Glaubwürdigkeit ihres Spitzenpersonals zurückzuführen sind. Das ist aber kein hinreichender Grund, Mitglied einer kommunistischen Partei zu werden. Bis 2021 war die Mitgliederzahl der KPÖ von 15.000 Anfang der 1980er Jahre auf unter 2.000 gesunken.[8] 2022 soll ihre Zahl um 10 Prozent gestiegen sein. Das entspricht in etwa – umgerechnet auf die Bevölkerung – der Mitgliederstärke der Linkspartei in Westdeutschland. Ein Indiz für ihre regionale Verteilung gibt die Anzahl der Bezirksverbände, die in lediglich vier Bundesländern gebildet werden konnten: 13 in Wien, 9 in der Steiermark, 4 in Niederösterreich und 2 in Oberösterreich.
Nur die KPÖ Steiermark gibt genaue Mitgliederzahlen bekannt. Im Jahr 2001 waren es 498 und 2022 wurde auf dem Landesparteitag von 500 Mitgliedern berichtet, davon 300 in Graz. Das bedeutet, dass es trotz der Wahlerfolge die Mitgliederzahlen lediglich gehalten wurde. Innerhalb des Landesverbandes ist die Grazer Organisation aber von 180 Mitgliedern 1995 auf heute über 300 angewachsen.
Die Konzentration auf jeweils eine kommunalpolitische Führungsfigur und auf weitere charismatische Mandatsträger*innnen auf Kommunal- und Landesebene dürfte auch auf die dünne Personaldecke zurückzuführen sein. Nach außen spielt die Partei kaum eine Rolle, ihr Führungspersonal verbleibt im Hintergrund.
Auch scheint die Partei kein Abbild der Gesellschaft zu sein. Schaut man sich die Zusammensetzung der Wahllisten bei den Kommunalwahlen in Graz und Salzburg an, unterscheiden sie sich nicht von denen der deutschen Linken in Universitätsstädten. Industriearbeiter*innen sind rar unter den Kandidat*innen in Graz und nicht vorhanden unter denen in Salzburg, aber dafür viele Sozial- und Kulturarbeiter*innen, Pädagog*innen, Studierende, etc.
Fazit
Die Politik der KPÖ zeigt, dass man vor allem auf kommunaler Ebene sehr gute Wahlergebnisse erringen kann, indem man sich an die eingangs beschriebenen fünf Prinzipien hält.
Allerdings ist einiges davon vor allem aufgrund der österreichischen Besonderheiten machbar, in anderen Ländern aber meist nur schwer umzusetzen. Die kommunalen Aufwandsentschädigungen sind dort oft nicht der Rede wert, und es ist auch nicht üblich, dass man, abhängig vom Wahlergebnis, automatisch Mitglieder der hauptamtlichen kommunalen Exekutive stellen darf.
Dass die Politik der KPÖ für die Mittelschicht mindestens so attraktiv ist wie für den ärmeren Teil der Gesellschaft, ist kein Grund zur Kritik, solange die Wahlergebnisse so gut sind wie in Graz und Salzburg und man die große Mehrheit gewinnen will.
Allerdings zeigt sich auch bei der KPÖ, dass es kein Patentrezept gibt, Arbeiter*innen zu aktivieren, das Stadt-Land-Gefälle zu überwinden und den Einfluss der Rechten zurückzudrängen.
Die „thematische Disziplin“ hat sicherlich den Vorteil, dass kontroverse Themen, die die Wähler*innenschaft spalten, nicht noch stärker in den Mittelpunkt rücken, als es die Rechten anstreben. Sie hat aber gleichzeitig auch den Nachteil, dass ihnen bestimmte Felder überlassen werden. Ihre Fake News bleiben deshalb oft unwidersprochen und verbreiten sich in weiten Kreisen als Tatsachen.
Vor allem durch massive Investitionen in den sozialen Medien sind die Rechtspopulist*innen nicht nur in Österreich, sondern auch in Frankreich und in Belgien stärkste Parteien geworden, ohne dass die radikalen Linken sie daran hindern konnten. In Belgien ist die Partei der Arbeit (PTB) zwar ebenfalls erfolgreich und ist die Partei, die nach den Rechtspoulist*innen das meiste Geld für soziale Medien ausgibt. Aber sie beschränkt sich ähnlich wie die KPÖ auf Werbung für die eigenen populären Themen. Die PTB wächst zwar, aber die flämischen Nationalist*innen erstarken ebenfalls. Und ob die PTB in Wallonien die Rechten weiterhin in Schach halten kann, wird sich zeigen, denn die rechte Neugründung „Chez nous“ (bei uns) erfährt im Netz bereits mehr Resonanz als die PTB.[9]
Deshalb ist es wahrscheinlich weder zielführend, wie das BSW den Menschen nach dem Munde zu reden und gefühltes Wissen zum Maßstab unserer Politik zu machen, noch sich zu kontroversen Themen nicht zu äußern. Man müsste vielmehr versuchen, die Rechten auf ihrem eigenen Feld zu schlagen und sie bei der Belehrung der Menschen in den sozialen Medien offensiv zu stören. Das wäre zumindest in Deutschland ganz im Sinne des Grundgesetzes, nach dem Parteien an der Meinungsbildung des Volkes mitwirken sollen.
Deshalb wäre es notwendig, neben einer Konzentration auf die Kernthemen der Linken, im Netz und im persönlichen Gespräch der rechten Meinungsmache mit Fakten Paroli zu bieten. Dafür muss von den Parteien und ihrem Umfeld viel investiert werden, wenn diese Praxis die erwünschte Wirkung erzielen soll. Mit höheren Spenden der Mandatsträger*innen könnte dafür genug Geld mobilisiert werden. Dass man damit Erfolg haben kann, zeigt leider das Beispiel der Rechtspopulist*innen.
[1] Zur Geschichte der KPÖ siehe: Walter Baier, Das kurze Jahrhundert. Kommunismus in Österreich. KPÖ 1918 bis 2008, Wien 2009
[2] Siehe: Nico Biver, Partei der Arbeit vor weiterem Wahlerfolg in Belgien? in: https://www.rosalux.de/news/id/51955
[3] Wahlergebnisse aus Österreich findet man in folgenden Quellen:
- zu allen Wahlen bis auf die Gemeindeebene: https://www.wahldatenbank.at
- zur steirischen Landtagswahl 2019: https://www.verwaltung.steiermark.at/cms/dokumente/11684059_74837281/0b5e6842/2019 Heft 8 Publikation LTW2019.pdf
- zur Grazer Gemeindewahl 2021: http://wahl21.graz.at/ergebnisse/gr60101.html
- zur Salzburger Gemeindewahl 2024: https://www.stadt-salzburg.at/wahl24/gemeinderatswahl-2024
[4] Siehe: https://www.sora.at/themen/wahlverhalten/wahlanalysen.html
[5] Siehe: https://www.wahlanalyse.com/
[6] https://www.verwaltung.steiermark.at/cms/dokumente/11684059_74837281/0b5e6842/2019 Heft 8 Publikation LTW 2019.pdf
[7] Vgl. Luc Rouban, Le peuple qui vote Mélenchon est-il le peuple ?, 1.10.2017, https://theconversation.com/le-peuple-qui-vote-melenchon-est-il-le-peuple-84724
[8] Steiner, Barbara, Österreich, mit frischem Wind aus der Sackgasse, in Hildebrandt, Cornelia u.a., Left Diversity zwischen Tradition und Zukunft, Linke Parteienprojekte in Europa und ihre Potentiale, Hamburg 2021, S. 65
[9] Siehe dazu Nico Biver, Partei der Arbeit vor weiterem Wahlerfolg in Belgien?, 8.5.2024, https://www.rosalux.de/news/id/51955/partei-der-arbeit-vor-weiterem-wahlerfolg-in-belgien