Haustürwahlkampf: Was hat´s gebracht?
Ein Analyse am Beispiel des Direktwahlkampfes von Susanne Hennig-Wellsow
- Rainer Benecke und Alexander Stahl
- Martin Heinlein
Susanne Hennig-Wellsow hat von allen Direktkandidierenden in Thüringen den geringsten Stimmenverlust erlitten. Auch bundeslandweit sind ihre Einbußen eher gering. Sie erwarb in Thüringen nach Ralph Lenkert, Jena, den zweithöchsten „Personenbonus“, das ist der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme: In Jena gab es keine prominenten Kandidat:innenen aus SPD und Grünen als Gegner:innen.
Hochrechnungen des Wahlkreisergebnisses auf andere Wahlergebnisse, zahlreiche Wahlkreisprognosen im Verlauf des Wahlkampfes und natürlich die allesamt gewonnenen Landtagswahlkreise in Erfurt und Weimar zur Landtagswahl 2019 zeigen: Dieser Wahlkreis ist für DIE LINKE unter anderen, besseren bundespolitischen Voraussetzungen zu holen. Die Schwäche der LINKEn und der Höhenflug der SPD verhinderten das.
Der Wahlkreis 193 Erfurt/Weimar/Weimarer Land wird also weiterhin ein strategisch wichtiger Wahlkreis für DIE LINKE sein. Hier lohnt es sich, eine starke, bekannte LINKE-Persönlichkeit weiter aufzubauen, die sich um die Probleme vor Ort kümmert.
Im Wahlkreis 193 wurden die Gebiete, in denen unser Haustürwahlkampf stattfinden sollte, nach den Erfahrungswerten vergangener Wahlen und sozioökonomischen Faktoren ausgewählt: Wo war die Wahlbeteiligung niedrig, ist das Mobilisierungspotential also hoch? Wo haben bei der Bundestagswahl 2017 viele Menschen DIE LINKE gewählt? Wo war das 2009, bei unserem besten Bundestagswahlergebnis bisher, wo ist das Potential für DIE LINKE groß? Wo haben wir dort zur vergangenen Landtagswahl 2019 besonders gut abgeschnitten? Wo war bei den Wahlen 2017 und 2019 das Gesamtergebnis von LINKEn, Grünen und SPD auffällig stark, ist also viel progressives Potential vorhanden? Wo sind besondere Wohnsituationen wie die KOWO-Siedlungen, für deren Erhalt DIE LINKE sich mit er Kampagne "KOWO bleibt!" erfolgreich eingesetzt hat? Wo waren Aktivitäten der Partei, die für uns vorteilhaft sein könnten? Wo herrschen hohe Arbeitslosigkeit und eine deutliche SGB-II-Quote? Wo hat sich die mit einem Index gemessene soziale Lage in den vergangenen Jahren verschlechtert?
Aus all diesen Faktoren wurde ein Messwert errechnet, der bei der Auswahl helfen sollte. Wie sich in der Auswertung der örtlichen Wahlergebnisse zeigen wird, lohnt eine solche Vorauswahl. Sie ist Voraussetzung für einen effektiven und effizienten Haustürwahlkampf mit begrenzten Ressourcen.
Vergleichen wir die Detailergebnisse der Wahl 2021, die Verluste im Vergleich zu 2017 und den Personenbonus in den Gebieten verschiedener Stadtteile, in denen Haustürwahlkampf gemacht wurde, bestätigt sich das eindrucksvoll.
In der Andreasvorstadt, einem eher besser situierten Stadtteil mit vielen Altbau-Mehrfamilienhäusern, ist kein großer Unterschied zwischen den Wahlbezirken mit und ohne Haustürwahlkampf zu beobachten. Für besondere Ausreißer wie einen 7%-Bonus für die Kandidatin in einem Bezirk ohne Haustürwahlkampf sind andere Faktoren verantwortlich: Hier wird sich ein Vor-Ort-Einsatz zur Umbennung einer Straße ausgewirkt haben.
Am Johannesplatz und am Moskauer Platz, zwei Neubaugebieten, lässt sich hingegen sehr klar abgrenzen, wo wir mit vielen Menschen persönlich gesprochen haben und wo nicht. Dort, wo wir an den Türen waren, konnten wir unseren Verlust im Vergleich zu 2017 zwischen 1,8 und 2,5% halten, während er sich in den anderen Wahlbezirken zwischen 4,7 und 6,7% bewegte. Durchschnittlich konnte der Haustürwahlkampf unseren Verlust in dem von uns bearbeiteten Gebiet also um 4 Prozentpunkte verringern, obwohl wir die Gebiete natürlich nicht vollständig abdecken konnten und nicht an jeder Tür ein Gespräch möglich war.
Ausreißer in den Briefwahlbezirken, die sich nicht eindeutig einem lokal begrenzten Wahlbezirk zuordnen lassen, können das Ergebnis verzerren. Das ist zu berücksichtigen. Die Tendenz ist jedoch eindeutig und überzeugend.
Haustürwahlkampf hat zahlreiche positive Aspekte – er eignet sich gut zur Aktivierung von Mitgliedern, er hilft den Genoss:innen die Probleme der Mehrzahl der Menschen vor Ort zu erkennen und er macht Spaß. Er lohnt sich: Würde man den gesamten Wahlkreis mit Haustürwahlkämpfer:innen bearbeiten, könnte DIE LINKE etwa 6 Prozentpunkte gewinnen. Zu hoher Aufwand, zu viele Aktive, also eher unrealistisch. Beschränken wir uns jedoch auf die Gebiete, die vielversprechend sind, kann ein gut geplanter und durchgeführter Haustürwahlkampf in engen Rennen den entscheidenden Unterschied machen.
Deutlich sichtbar ist auch, wie sehr sich die jeweilige Sozialstruktur unterschiedlicher Stadtteile auf den Effekt des Haustürwahlkampfes niederschlägt. Die progressive Bildungsbürgerin in einem innenstadtnahen Altbau, die die SZ abonniert hat und als Lehrerin am Gymnasium arbeitet, wählt uns entweder eh oder eh nicht, egal, ob wir zu ihr an die Tür kommen. Menschen in sozial schwächeren Stadtteilen und großen Wohnsiedlungen, die politisch mäßig interessiert sind, unseren Zielen aber durchaus zugeneigt und auch aus Eigeninteresse verbunden sind, lassen sich durch ein persönliches Gespräch öfter entscheidend mobilisieren.
Das Mobilisierungspotential ist dort am höchsten ist, wo unsere Ergebnisse gut und die Wahlbeteiligung niedrig sind – das sind in ostdeutschen Großstädten vor allem die Neubauviertel, die Plattenbauten. Nichtsdestotrotz ist der Haustürwahlkampf auch anderswo eine gute und für die politische Arbeit vor Ort nützliche Erfahrung. Ein breit gefächerter Haustürwahlkampf mit dem beschriebenen Fokus bleibt die beste Option.
Wenn der Haustürwahlkampf vor Wahlen zur Verbesserung des Wahlergebnisses genutzt werden soll, ist eine gute Vorbereitung und eine hohe Beteiligung von Aktiven wichtig. Haustürgespräche sollen und dürfen sich jedoch nicht auf den Wahlkampf beschränken. Haustürgespräche sind besonders geeignet, um in lokalen Auseinandersetzungen (KOWO bleibt! in Erfurt, Kleiner Schäferkamp in Hamburg) die jeweiligen Bewohner*innen zu aktivieren und zu mobilisieren- und die LINKE, ihre Abgeordneten und Menschen weiter als Interessenvertreter:innen der Vielen zu profilieren.
Eine linke Partei ist dann am erfolgreichsten, wenn sie vor Ort ist und ihre Mitglieder, ihre Parlamentarier:innen und Funktionär:innen sich dort ehrenamtlich um die Probleme der Menschen kümmern. Sie erarbeitet gemeinsam mit ihnen Lösungen und setzt sie durch. Gebrauchswerte schaffen, vor Ort zusammen mit den Menschen Macht ausüben, allen Widrigkeiten zum Trotz. Diese Nähe schafft Vertrauen, Vertrauen in DIE LINKE. Diese von Kolleg:innen und Nachbar:innen erlebte und mitgestaltete linke Politik nährt die Hoffnung, dass DIE LINKE auch in der "großen Politik" für die Mehrzahl der Menschen handeln wird. Die PDS und später DIE LINKE in Thüringen haben es vorgemacht. Sie schafften es in 30 Jahren gemeinsam mit den Menschen und für sie dort von 9,7 Prozent (PDS/LL, 1990 ) auf 31 Prozent zur Landtagswahl 2019. Links wirkt. Auch im digitalen Zeitalter sind Haustürgespräche dafür eine Voraussetzung.
Rainer Benecke und Alexander Stahl haben den Haustürwahlkampf im Wahlkreis 193 vorbereitet und waren gemeinsam mit 18 weiteren Genoss:innen in unterschiedlicher Frequenz und Aktivenanzahl an den Haustüren. Dabei half in der Vorbereitung und Auswertung sehr Johannes "JoJo" Feustlinke im Wahlkreis- und Jugendbüro RoXX in Erfurt. Dank an alle, auch für die Erkenntnisse.