Ostdeutsche Nachwendejahre
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Die Brüder Philipp und Tobi sind 12 und 9 Jahre alt, also im besten Jungs-Alter. Und gerade ist ihnen das Land abhandengekommen. Die zwei wachsen im Ostsachsen der Nachwendezeit auf, die DDR hat sich in Luft aufgelöst.
Während die Eltern stramm aufs Einfamilienhaus hinarbeiten – man lebt auf der Baustelle –, ist die ganze Region eher von Perspektivlosigkeit gezeichnet. Die Mutter rackert als Pflegekraft fürs Haus, die ehemaligen Arbeitskollegen des Vaters sterben an Alkoholsucht. Als auch er selbst seine Arbeit verliert, mutiert der Neubau zum Symbol des Nie-fertig-werdens: durch den Alltag wurschteln, Zeile aus den Augen verloren, wachsender innerfamiliärer Stress.
Als Tobi von Mitgliedern der örtlichen Nazi-Jugendgang verdroschen wird, imponiert ihm gerade deren mutmaßliche Stärke. Sein Bedürfnis ist groß, irgendwo dazuzugehören inmitten der Monotonie und Frustration. Mitunter tödliche Langeweile und der Wegzug aller, die gehen können, tun ihr Übriges. Zwischen den Dörfern stehen die Industrie-Ruinen, und zwischen denen kilometerweit Wald und Seen.
Aus dieser Hanglage, man ahnt es bald, wird nichts Gutes entstehen. Spätestens als das erste Flüchtlingsheim eingerichtet wird, neigen die männlichen Jugendlichen zu Gewalttaten gegen alles, was anders ist.
Constanze Klaue zeigt in ihrem Debütfilm „Mit der Faust in die Welt schlagen“, der Lukas Rietzschels gleichnamiges Buch adaptiert, viel Gestaltungswillen, um die Atmosphäre der „Baseballschlägerjahre“ zu rekonstruieren. Klaue, selbst 1985 geboren, in Ost-Berlin und Brandenburg aufgewachsen und somit ein echtes Nachwendekind, weiß, was sie da dreht. Sie hat viele ihrer Kindheits- und Jugenderfahrungen einfließen lassen, teilweise filmte sie an den Orten ihrer eigenen Vergangenheit. Dabei ist ihr wichtig zu zeigen, dass die Rechtswerdung des männlichen Jugendlichen in Ostdeutschland trotz widriger Umstände nicht zwangsläufig sein musste – auch Philipp nimmt eine andere Entwicklung als Tobi. Groß gegengesteuert hat die Politik aber auch nicht. Im Gegenteil.
Ob der Film dramaturgisch und stilistisch immer überzeugend ist – eine Visualisierung der offiziell-politischen Prozesse findet kaum statt –, sei dahingestellt. Die Schauspieler liefern jedenfalls eine überzeugende Leistung ab. Philipp und Tobi wären heute gestandene Erwachsene. Somit ist dies ein Film, der angesichts der politischen Lage das zentrale Kinoereignis dieses Frühjahrs sein dürfte.
„Mit der Faust in die Welt schlagen“. D 2025. Regie: Constanze Klaue, Darsteller: Anton Franke, Camille Loup Moltzen, Kinostart: 3. April 2025