Lange Taxifahrt

Constanze und Jens sind typische Eltern der Mittelklasse, oder vielleicht sogar ein bisschen drunter: Constanze schuftet ohne Arbeitszeiten im Architektenbüro, mit Ende 30 winkt der Aufstieg zur Projektleiterin. Jens fährt Taxi. Beide immer gestresst und immer genervt: Constanze, weil der Erfolgsdruck bei der Arbeit mit Investoren groß ist, Jens, weil der Fahr-Vermittler „Easy Lane“ ihm und den Kollegen im Genick sitzt, und sich seine Kollegen nicht gegen die Billig-Konkurrenz organisieren lassen. 

Offizieller Trailer I Es geht um Luis (2024)
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Die beiden leben in Stuttgart, nicht gerade ein billiges Pflaster. Jens arbeitet oft am Wochenende, Constanze auch. Ein Paar im Kampf um Einkommen, Status, mögliches Wohlbefinden am Wochenende oder eher weit in der Zukunft.

Da fällt der Sonntagsausflug mit dem Dritten im Bunde schon mal aus: Luis. Das ist ihr Sohn, der noch zur Schule geht. Der hat Probleme, um die sich die beiden auch kümmern müssen. Vor allem sein lila Einhorn-Rucksack gibt seinen Mitschülern die Steilvorlage, ihn zu drangsalieren. Auf dem Programm: Treppenschubser, eklige Klozeichnungen, Diebstahl. Am schlimmsten: Mitschüler Finn. Die Schulleitung macht Druck, Luis biete durch sein komisches Verhalten nun mal Angriffsfläche. Aber auch ohne bunten Tornister, da ist sich Jens sicher, wird weitergemobbt. 

Kann sein, dass dieses Szenario etwas überholt ist – andernorts würde man eventuell Schwierigkeiten bekommen, weil man keinen Einhorn-Rucksack hat –, jedenfalls ist es das Setting von „Es geht um Luis“, dem neuen Film der italienischen Regisseurin Lucia Chiarla. Als Vorlage diente das Theaterstück „Das kleine Pony“ von Paco Bezerro. Während es darin aber um Zeichentrickfiguren geht, liegt hier der symbolische Gehalt eindeutig in der Anspielung auf die queere Szene.

Allerdings wird diese nicht sehr weit ausgeführt: Denn Luis - das wiederum ein prima Regieeinfall – ist im ganzen Film nicht zu sehen. Allenfalls per Telefon meldet er sich mal, ansonsten wird er in Gesprächen mit der Oma oder Lehrern konstruiert. Man stelle sich vor: Die Eltern haben so wenig Zeit für ihr Kind, dass es so richtig gar nicht existiert.

Scherereien hat und macht Luis trotzdem, ab und zu schlägt er auch mal zurück. Der Direktor rät zum Schulwechsel, Jens denkt über eine Anzeige nach, die Schule komme ihrer Aufsichtspflicht nicht nach. Sein Tipp für Luis, „sich durchzusetzen“, erweist sich da auch eher als kontraproduktiv – aber richtig!

Der ganze Film spielt sich quasi im Taxi von Jens ab. Konstanze und Jens schieben sich aber auch untereinander die Verantwortung hin und her. Dort streitet sich das Paar, dort telefoniert es - ein Kaleidoskop verletzender Äußerungen; die Hilfeangebote der Großmutter, werden nur noch genervt quittiert, irgendwann sitzt auch sie mit in Jens‘ Droschke.

Ein nicht immer stimmiges Panorama der Menschen, die hierzulande die Steuern zahlen; die armen Leute, denkt man hernach. Keine Freunde, keine Nachbarn, null Pause, nur Stress. Ein echtes Schauspielerstück: Max Riemelt als Jens und Natalia Rudziewicz liefern eine echte Profi-Leistung ab.

 

„Es geht um Luis“. Regie: Lucia Chiarla, mit Max Riemelt, Natalia Rudziewicz. Kinostart: 23. Januar 2025