Der Mitläufer
Iman, bisher recht unbestechlicher Staatsanwalt und mit meist unbedeutenden Fällen betraut, glaubt, er wird für seine gute Arbeit belohnt. Die Beförderung zum Ermittlungsrichter am Revolutionsgericht steht an. Es winken die ganz großen Fälle und nebenbei mehr Geld, mehr Ehre, mehr Platz in der Wohnung.
Bald muss er feststellen, dass er nur benutzt wird: Als es gilt, Menschen abzuurteilen, die an Demonstrationen gegen die iranischen Autoritäten teilgenommen haben, bekommt er die Strafen vom leitenden Staatsanwalt diktiert. Es sind Todesstrafen.
Iman ist es zwar nicht recht, was er täglich tut, er opponiert aber auch nicht.
Der Jurist ist die zentrale Figur in Mohammad Rasoulofs Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. Der Filmemacher ist dissident, er musste dieses Jahr aus seinem Heimatland Iran fliehen, da ihm eine mehrjährige Haftstrafe, Schläge und Vermögenseinzug drohen. In seinem neuen Werk setzt er sich dezidiert mit dem Justizpersonal und seinen Lebensbedingungen im Iran auseinander. Iman ist ein Mitläufer, ein Rädchen im Getriebe. Der materielle Vorteil seiner Position bringt ihn dazu, hunderte Menschen ohne Untersuchung zum Tod zu verurteilen. Es ist das Jahr 2022, die Studentin Jina Mahsa Amini ist auf einer Wache der Religionspolizei gestorben, nachdem sie wegen einer Lappalie festgenommen wurde. Landesweit finden Protestzüge unter dem Motto „Frauen, Leben, Freiheit“ statt. Das Regime in Teheran sieht sich bedroht und reagiert mit aller Härte.
Die politischen Entwicklungen kommen auch im Hause Imans an. Seine Frau Najmeh bringt die beiden Töchter Rezvan und Sana zur Räson, die Freunde in der Protestbewegung haben. Fehltritte könnten das Amt des Vaters in Verruf bringen. Die Ereignisse spitzen sich zu, als eine von der Polizei schwer verletzte junge Frau Zuflucht bei der Familie sucht und dann auch noch die Dienstwaffe des Vaters verschwindet.
Die Blaupause für die Figur Iman liefert ausgerechnet ein Justizangestellter des Evin-Gefängnisses in Teheran, wo der Regisseur bereits inhaftiert war. Der Mann habe ihm gesagt, dass er das System, in dem er arbeite, verabscheue. Linientreu war er trotzdem. Rasoulof: „Ich habe mich gefragt: Warum geben die Menschen sich selbst auf?“
Das Justizsystem ist zugleich sein Lebensthema. Immer wieder handeln seine Filme von Menschen, die angesichts behördlichen Handelns in Situationen geraten, die nur falsche Auswege zulassen. Der Regisseur wird seit rund 15 Jahren wegen seiner Arbeiten verfolgt. Mit „Doch das Böse gibt es nicht“ gewann er 2020 den Goldenden Bären bei den Berliner Filmfestspielen. Ermittler und ihre Mitarbeiter traf er beinahe täglich, zuletzt hat man ihn zu acht Jahren Haft verurteilt.
Nun hat er Konsequenzen gezogen und ist nach Deutschland geflüchtet, wo er sich schon früher für längere Zeit aufgehalten hatte. Möglicherweise wird er nie mehr in den Iran zurückkehren können - wenn er auch nicht alles vermisst, wie er sagt: Von seiner Teheraner Wohnung aus hatte er einen guten Blick auf das Evin-Gefängnis.
Sein Film ist Drama, Thriller und vor allem Zeitdokument; Handyvideos von den Protesten und weitere Realfilm-Momente hat er eingearbeitet. Die Arbeitsbedingungen waren nicht einfach, Schauspieler und ihre Familien wurden Rasoulof zufolge drangsaliert. „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist künstlerisch nicht so ausgefeilt wie „Doch das Böse gibt es nicht“. Aber er ist sehr sehenswert.
Die Saat des heiligen Feigenbaums“. D/F/IRN 2024. Regie: Mohammad Rasoulof, mit Misagh Zareh und Soheila Golestani. Kinostart: 26. Dezember 2024