Lehren aus dem linken Wahlerfolg in Frankreich

Die linken Kräfte in Frankreich haben bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 7. Juli einen enormen Erfolg eingefahren. Die Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire, NFP) wurde mit 182 Sitzen stärkste Kraft im Parlament, die extreme Rechte von Marine Le Pen landete nur auf Platz drei. Was kann Die Linke hieraus lernen?

 

Sitzverteilung in der neuen französischen Nationalversammlung

Die linke Neue Volksfront ist mit 182 Sitzen stärkste Kraft in der neuen französischen Nationalversammlung, gefolgt von Ensemble, dem Bündnis von Präsident Macron, mit 168 Sitzen. Entgegen von Befürchtungen vor der Wahl erhielt die rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) nur 143 Sitze. Die konservative Partei der Republikaner erreichte 46 Sitze. Weitere gingen an diverse Einzelkandidaten.

Betrachtet man sich die prozentuale Stimmenverteilung, wird sichtbar, wie relevant die Strategie des Rückzugs in einzelnen Wahlkreisen war, und dass um jeden einzelnen Wahlkreis gerungen wurde. RN und ihre Verbündeten haben prozentual die meisten Stimmen (35,8), und damit sogar ein Plus von 14 Prozent im Vergleich zur vorigen Parlamentswahl, auch im Vergleich zum ersten Wahlgang konnten sie noch drei Prozent zulegen. Das Bündnis von Macron hatte mit 23,1 Prozent im Vergleich zur letzten Wahl 15,4 Prozent eingebüßt. Für die neue Volksfront werden keine Vergleichszahlen angegeben, da sie in dieser Formation erstmalig antrat. Sie kommt prozentual auf 25,7 Prozent. Da sowohl Kandidaten der Volksfront, als auch Kandidaten von Ensemble im zweiten Wahlgang nicht mehr angetreten sind, also gar nicht auf dem Wahlzettel standen, sind die Prozentzahlen nur bedingt aussagekräftig.

In Frankreich wird nach Mehrheitswahlrecht in zwei Durchgängen gewählt. Bereits im ersten Wahlgang ist ein Abgeordneter gewählt, wenn er die absolute Mehrheit erhält. Nach der ersten Runde am 30. Juni standen damit zunächst 74 der insgesamt 577 Sitze fest, von denen die meisten (37) an den RN gingen, 32 an das Linksbündnis. Nach Prognosen lag RN in 230 bis 280 Wahlkreisen in Führung, für das Linksbündnis wurden sehr vage 125 bis 200 Sitze vorausgesagt.

Eine neues linkes Bündnis

Die Neue Volksfront setzt sich zusammen aus La France Insoumise, dem Parti Socialiste (die unter anderem mit dem früheren Präsidenten Hollande antrat), Les Ecologistes (LE), dem Parti Communiste (PCF) und weiteren. Die meisten der gewonnenen Sitze gehen an die ersten beiden, gefolgt von LE. Die PCF ist auch wieder im Parlament vertreten, mit 9 Mandaten. Inhaltliche Schwerpunkte im Wahlkampf waren Kaufkraft und Löhne, öffentliche Dienstleistungen, Gleichberechtigung, Klima, und der Kampf gegen die extreme Rechte. Auch die Rücknahme der umstrittenen Rentenreform war ein zentraler Punkt. Im Wahlkampf gab es breite Rückendeckung für die Kampagne durch die Gewerkschaften. Die NFP trat zwar als Bündnis gemeinsam zur Wahl an, wird sich aber im Parlament in verschiedenen Fraktionen zusammensetzen.

Für eine absolute Mehrheit sind 289 der Mandate nötig. Die vereinigte Linke müsste dazu mit Macrons Ensemble eine Koalition bilden. Jean-Luc Mélenchon hat bereits in der Wahlnacht angekündigt, für sein Linksbündnis die Regierungsbildung zu beanspruchen. Allerdings stellt sich die Frage, wer sie anführen soll. Die NFP hat Aussagen dazu vermieden, und innerhalb ihrer Koalition gibt es Vorbehalte gegen Mélenchon. In den kommenden Tagen soll ein Vorschlag öffentlich bekannt gemacht werden.

Macron hat im Wahlkampf mehrfach betont, keinesfalls mit dem Linksbündnis regieren zu wollen, und hat auch nach der Wahl einer linksgeführten Regierung eine Absage erteilt. Premierminister Gabriel Attal hatte sein Rücktrittsgesuch beim Präsidenten eingereicht, das von Macron zurückgewiesen wurde. Der Präsident hat nun zu einer Bildung einer großen Koalition der Parteien der Mitte aufgerufen. Er richtet sich mit dem Aufruf auch an die Sozialdemokraten der Parti Socialiste. Diese erteilten eine Absage, sie seien im Linksbündnis explizit gegen die Regierung Macrons angetreten. Es bleibt also vorerst spannend.

Erste Schlussfolgerungen

Der Aufstieg der extremen Rechten ist nicht unaufhaltsam. Zwar ging der RN trotz des dritten Platzes insgesamt gestärkt aus der Wahl hervor (mehr Sitze, mehr Parteienfinanzierung), hat aber einen deutlichen Dämpfer bekommen. Mit der Neuen Volksfront wurde überhaupt erst die Grundlage dafür geschaffen. Dass sich die Neue Volksfront, ebenso wie Macrons Partei und weite Teile der konservativen Mitte, im zweiten Wahlgang an Absprachen hielten, reihenweise Kandidaturen zurückzogen und somit die Brandmauer gegen Rechts stützten, war zentral für das Gelingen dieser Strategie. Neuwahlen auszurufen, war für Macron ein riskantes Manöver.

Für die Linke ist sichtbar geworden: Ja, es ist möglich, mit einem geeinten Auftreten und einer strategischen Allianz Mehrheiten zu gewinnen. Bei den Europawahlen traten die  linken Parteien noch getrennt an. Nun ist es ihnen gelungen, ihre Streitigkeiten hintenan zu stellen.

Aber einen Rechtsruck zu verhindern gelingt auch nicht allein, sondern erfordert eine Grundverständigung im demokratischen Lager über Parteigrenzen hinweg. Mit der Wahl ist es nicht getan, die größten Herausforderungen kommen noch, wenn es um die Bildung einer arbeitsfähigen Regierung geht. Hier muss das bürgerliche Lager erkennen, dass unsoziale Kürzungspolitik und der Neoliberalismus der vergangenen Jahre sowie die Auseinandersetzungen um Migration als Sündenbock den RN überhaupt erst stark gemacht haben. Langfristig wird es nur gelingnen, eine rechte Mehrheit zu verhindern, wenn die grundsätzlichen Fehler der bisherigen Politik nicht wiederholt werden.

Ob ähnliche Wahlbündnisse auch in Deutschland gelingen könnten, ist schwer zu beantworten, allein schon wegen der Unterschiede im Wahlsystem und in der Parteienlandschaft. Das Bündnis Neue Volksfront war ein breiter Zusammenschluss, der auch Sozialdemokraten und das französische Äquivalent zu den Grünen umfasste. Innerhalb dieses Bündnisses hatte La France Insoumise mit seinen guten Umfragewerten und dem Rückenwind der Europawahl eine gewisse Stärke und konnte zahlreiche eigene Kandidaten platzieren. Es wurde vorher festgelegt, welche Parteien aus dem Bündnis in welchen Wahlkreisen antreten, sodass alle Partnerparteien zum Zuge kamen.

Für den taktischen Rückzug einzelner Kandidaten in der zweiten Wahlrunde waren Absprachen mit den Konservativen von Macrons Ensemble notwendig, die nur deshalb gelangen, weil es sich um ein Geben und Nehmen handelte: Beide Seiten konnten ein Stück weit davon profitieren konnte, und für alle Beteiligten stand das gemeinsame Ziel, eine Mehrheit des RN verhindern, im Moment der Wahl bei allen Unterschieden im Vordergrund. Durch das Wahlsystem mit zwei Wahlgängen war es möglich, abschätzen zu können, welcher zweitplatzierte die besseren Aussichten gegen den RN hatte. Hinzu kommt, dass taktisches Wählen in Frankreich Tradition hat. Die Bereitschaft der Wählerinnen und Wähler, in der zweiten Wahlrunde auch einem Kandidaten ihre Stimme zu geben, der nicht ihr Favorit ist, ist deutlich größer.

Auf Deutschland lässt sich dieses Modell daher kaum übertragen. Für die kommunale Ebene gibt es diese Ansätze aber bereits, wo sich bei Bürgermeister- und Landratswahlen häufig nach der ersten Wahlrunde mehrere demokratische Parteien an Wahlaufrufen für die Stichwahl zugunsten desjenigen Kandidaten beteiligen, der gegen einen AfD-Kandidaten im Rennen steht – auch die Linke. 

 

Weitere Lektüre

Beitrag der RLS zum Wahlausgang: https://www.rosalux.de/news/id/52292/ueberraschung-bei-den-wahlen-in-frankreich

Interview im nd mit Patrick Le Hyaric, Direktor der Zeitung L’Humanité: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183575.wahl-in-frankreich-einheit-der-linken-ist-kein-selbstlaeufer.html