28 Tage Zeit für das Erstgespräch?
Interne Revision in den Jobcentern deckt Mängel während der Corona-Pandemie auf
„Die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen, Quarantäne oder Erkrankung hat einiges erschwert: Die Möglichkeiten der persönlichen Vorsprache im Jobcenter […] – es mussten neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten gefunden werden“, so die Feststellung des Bundesarbeitsministeriums. Dieses gab den Anlass zwischen Januar und Mai 2021 zu einer internen Revision in vier Jobcentern (Bayern (Passau), Baden-Württemberg (LK Lörrach), Niedersachsen-Bremen (LK Northeim), Nordrhein-Westfalen (Arbeitsplus Bielefeld)). Geprüft wurden 156 „Kund*innen“-Datensätze, deren „qualifizierte Erstgespräche“ und Folgegespräche durch die Jobcenter nach der Beantragung des Arbeitslosengeldes II (Hartz IV) während der Corona-Pandemie.
Aus den Augen – aus dem Sinn – die Aktenlagen
Während der Corona-Pandemie 2021 waren die Jobcenter mehrheitlich für die Erwerbslosen geschlossen. Die Mitarbeiter*innen waren größtenteils im Home-Office und die Jobcenter hatten eine Notbesetzung für Arbeitslosmeldungen oder Notfälle wie bei drohender Obdachlosigkeit. Persönliche Gespräche blieben auf „Kunden*innen“-Wunsch möglich. Die interne Revision stellte zunächst fest, dass es gelingen kann, mit „qualifizierten Erst- und Folgegesprächen die Basis für eine zielführende Integrationsarbeit zu schaffen“. Aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. Das Sozialgesetzbuch II ist gegenüber Erwerbslosen oftmals unerbittlich. Wer nicht spurt, wird schnell mal sanktioniert.
Für die Jobcenter-Mitarbeiter*innen gibt es einen zwingenden Passus, der besagt, dass bei jeder Neuanmeldung sofort Angebote zur Eingliederung in Arbeit gemacht werden müssen. Parallel dazu muss ein Profiling erstellt werden, welches die Stärken und beruflichen Fähigkeiten und deren Ziele erfasst. Anschließend wird anhand des Profilings und der besprochenen Ziele die Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen. Das geschieht alles im Erstgespräch. Bei den überprüften Jobcentern wurden immerhin 90 Prozent Kontaktversuche unternommen. Schlussendlich wurden 80 Prozent Erstgespräche durchgeführt. Allerdings waren diese nicht immer zeitnah und qualifiziert. De facto wurden bei 20 Prozent keine Erstgespräche geführt und die interne Revision stellte fest, dass trotzdem im internen System „nach Aktenlage“ ein Beratungsvermerk eingetragen war, ein Profiling erstellt war sowie Eingliederungsvereinbarungen vorhanden waren. Der weitere Bericht liest sich nicht besser. Nur bei zehn „Kunden“ fand das Erstgespräch unmittelbar am Tag der Antragstellung statt. Die Spanne geht bei den weiteren „Kunden“ bis zu 60 Tagen. Durchschnittlich dauerte es 28 Tage bis zum Erstgespräch. Jedes siebte Gespräch war laut der Revision nicht qualifiziert. Entweder war das Profiling nicht plausibel oder nicht vorhanden, es fehlte an Vermittlungsaktivitäten durch die Integrationsfachkraft, Eigenbemühungen der Erwerbslosen wurden nicht angefordert oder die Stellengesuche waren nicht geeignet. Selbiges bei Folgegespräche. „Mängel zeigten sich zum Teil auch bei den Folgegesprächen“, so die Prüfer. Zusammenfassend meint die interne Revision, dass die Jobcenter „die besonderen Erfahrungen des letzten Jahres nutzen sollten, um Verbesserungspotenziale in ihrer Integrationsarbeit zu identifizieren und ihre Prozesse zu optimieren.“
Gleicher oder Gleich?
Was war mein erster Gedanke beim Lesen des Berichts? Stell dir vor, ein*e Leistungsberechtigte mit Arbeitslosengeld II lässt sich im Durchschnitt für das Erstgespräch nach Einladung 28 Tage Zeit? Schnell hätte sie oder er das Maximum der Sanktionsgrenze für Meldeversäumnisse im Briefkasten.
Ich kann es nun weiterspinnen und auf die „Aktenlage“ und dem darauf nicht erfolgten Erstgespräch eingehen. Da traute ich allerdings meinen Augen nicht. Dass daraufhin im internen System ein Profiling und Eingliederungsvereinbarungen erstellt wurden, ist nicht zulässig. Nach diversen Landes- und Sozialgerichtsurteilen ist eine vorgefertigte Eingliederungsvereinbarung, welche ohne individuelles Gespräch entstand, rechtswidrig. So muss eine Eingliederungsvereinbarung immer verhandelbar sein. Dass die Corona-Pandemie die Lage erschwert hat, kann nicht gelten, da auch für die Erwerbslosen zum Teil die Sanktionsregelungen galten. Auch hier gab es kein Pardon. Im Rahmen des kommenden Sanktionsmoratoriums möchte das Bundesarbeitsministerium die Erfahrungen aus den vergangenen zwei Jahren auswerten und die Erkenntnisse in die Bürgergeld-Reform einfließen lassen. Auf diesem Weg möchte ich mitgeben, dass die Mängel der Jobcenter durchaus berücksichtigt werden sollten. Nur dann wäre das Bild komplett. Es sind nicht immer die Erwerbslosen. Nur die Mängel der Jobcenter bleiben zu oft verdeckt.