"Wir vermitteln Angst"
„Wir vermitteln Angst“: Dieser Spruch prangte vor einiger Zeit auf einem Plakat der Erwerbslosen-Initiative „AufRecht bestehen“, das Menschen in einer Wartezone eines Jobcenters zeigt. Aber woher kommt diese Angst vor dem Amt? Der Begriff Angst wird bei Wikipedia wie folgt definiert: „Angst ist ein Grundgefühl, das sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen, etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein.“ Als Sozialberater habe ich unzählige Stufen der Angst vor dem Jobcenter gesehen. Das fängt bei einem leichten Unbehagen an, sich mit dem Fallmanagement oder der Leistungsabteilung auseinanderzusetzen, geht über in ein flaues Gefühl im Magen, wenn ein Brief vom Jobcenter im Briefkasten ist, und gipfelt in regelrechten Panikattacken bei dem Gedanken daran, einen Brief vom Jobcenter zu öffnen oder einen Termin wahrzunehmen. Doch wie kommt es, dass ausgerechnet das Jobcenter solch eine Angst verbreitet?
Betroffene gefügig machen
Um die Frage zu beantworten, muss man sich das Agieren der Jobcenter genauer anschauen. Wer glaubt, dass jede deutsche Behörde immer nach Recht und Gesetz verfährt, war mit Sicherheit noch nie in einem Jobcenter. Dort werden die Betroffenen unter Druck gesetzt, um an jeder noch so sinnlosen Maßnahme teilzunehmen. Leistungen, auf die ein Anspruch besteht, werden verweigert. Es werden Unterlagen angefordert, die schon längst vorhanden sind, oder es werden ständig Rechtfertigungen eingefordert. Und, und, und … Fügt man sich nicht, steht die Drohung im Raum, dass eine Sanktion ausgesprochen wird oder das Amt die Leistungen kürzt oder gar einstellt. Durch die Sanktionen und das ständige Erinnern an die “Mitwirkungspflicht“ wird eine Drohkulisse aufgebaut, um die Erwerbslosen gefügig zu machen und sie gefügig zu halten. Somit kann das System der Ausbeutung durch Niedriglohn, Leih- und Zeitarbeit und Werksverträgen weiterbestehen, denn viele Betroffene lassen sich lieber ausbeuten, als sich den Repressionen durch die Jobcenter auszusetzen.
Die ständige Angst macht krank
Und genau an diesem Punkt sind wir wieder bei der Definition von Angst angekommen: Die Sanktionen, die Kürzungen oder gar die komplette Einstellung von Leistungen bedrohen die körperliche und vor allem seelische Unversehrtheit. Die Pflicht, an jeder noch so abstrusen Maßnahme teilnehmen zu müssen, zerstört die Selbstachtung. Zusätzlich wird den Betroffenen durch die Jobcenter das Gefühl vermittelt, sich nicht genug bemüht zu haben, ihre Erwerbslosigkeit zu beenden. Immer schwingt die Unterstellung mit, dass sich hier jemand Leistungen „erschleicht“. Aus meiner Erfahrung als Sozialberater weiß ich, wie schwer es ist, eine einmal verfestigte Angst vor dem Jobcenter loszuwerden oder zu mildern. Ich versuche, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie Rechte haben und zeige ihnen, wie man sie einfordert. Diese Hilfe erreicht jedoch nur einen Bruchteil der Betroffenen, da viele vor einer Konfrontation mit dem Jobcenter zurückschrecken, aus Angst, dass dann alles noch schlimmer wird. Viele suchen gar keine Beratung auf. Die einzige nachhaltige Lösung, die Angst der Betroffenen zu beseitigen, ist die Einführung eines repressionsfreien Systems der Grundsicherung in Form der sanktionsfreien Mindestsicherung.