Kolumne

Beschäftigung als soziale Kontrolle

Inge Hannemann ist eine der bekanntesten Kritiker:innen des Hartz-IV-Systems. In ihrer neuen Kolumne für "Links bewegt" schreibt sie regelmäßig zu sozialpolitischen Themen.

"Wer zumutbare Arbeit ablehnt und wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern, der wird mit Sanktionen rechnen müssen", das sagte niemand anderes als Gerhard Schröder (SPD), bevor 2003 die Agenda 2010 in Kraft trat. Inzwischen ist diese sogenannte "Aktivierungspolitik" in aller Munde und besser bekannt als Hartz IV. Heute bleibe ich bei der Aktivierungspolitik. Was steckt dahinter? Wer hat's erfunden?

Wer nun denkt, das ist auf dem Mist von Schröder gewachsen, irrt. Schröder hat nur fortgesetzt, was 1999 im "Schröder-Blair-Papier" als sozialdemokratischer Aufbruch klingen sollte: Was tun mit den erwerbsfähigen Erwerbslosen? Und wie bringen wir diese möglichst schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt? Zwar verschwand das Papier schnell wieder in der Schublade, fand aber in der Hartz-IV-Gesetzgebung unter "Fördern und Fordern" eine Wiederbelebung.

Hauptsache beschäftigt und betreut

Und bis heute ist man der Ansicht, dass Erwerbslose aktiviert werden müssen. Dann müssen die Betroffenen halt mal acht Stunden lang puzzeln, Autos zählen, herumsitzen, häkeln oder Plastikobst verkaufen. Koste es, was es wolle. Dass diese Kosten möglicherweise im Verhältnis zum Nutzen das nicht rechtfertigen, spielt dabei keine Rolle. Hauptsache beschäftigt und nicht zu vergessen: betreut. Wo kämen wir denn hin, wenn wir den Erwerbslosen ihre persönliche Freiheit lassen? Dass wir dabei Milliarden an Steuergeldern verprassen: egal. Hauptsache beschäftigt und betreut.

Überhaupt scheint es, dass Programme oder Arbeiten, die gefunden und durchaus kreativ kreiert werden, etwas Beliebiges haben. Ich möchte jetzt nicht sagen: schon fast überflüssig wirken. Schließlich möchte ich niemand auf die Füße treten. Die Programme sind auch nicht ganz überflüssig, da sie immerhin viele Arbeitsplätze für die Programmentwickler:innen schaffen. Nun mag ein/e Leser:in geneigt sein zu denken: sehr zynisch. Die Programme sind doch dafür da, um Erwerbslosen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Richtig. Aber hat jemand schon mal die Erwerbslosen gefragt, ob diese Beschäftigungsmaßnahmen ernst genommen werden (können)? Ob sie nachhaltig in eine Tätigkeit geführt haben? Ob man eine Betreuung benötigt, möchte oder überhaupt verträgt?

Kein Verlust der sozialen Kontrolle

Natürlich kann eine Beschäftigung soziale Kontakte geben oder die Teilhabe stärken und damit die Selbstachtung – ja sogar einen Lebenssinn geben. Damit dies aber geschieht, muss auch die Tätigkeit selbst einen Sinn geben. Zumindest muss sie einem wichtig vorkommen. Man bricht nicht unbedingt eine Maßnahme ab, weil man sie nicht schafft, sondern weil man den Sinn nicht darin sieht. Selbiges bei einem Job. Ein häufiger Jobwechsel passiert eher, weil einem der Job nicht viel bedeutet. Für die Jobcenter ist es natürlich einfacher, wenn jemand in einer Maßnahme oder in einem Ein-Euro-Job ist. Dann ist er gut "verpackt". Ich muss mich erstmal nicht um ihn kümmern. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Damit ist der "Kunde" gut lenkbar und kontrollierbar. Ein Aspekt, der wichtig ist, um die soziale Kontrolle nicht zu verlieren. Und bevor die Jobcenter die Kontrolle verlieren, halte ich es wie Schröder in seiner Regierungserklärung 2003: "der wird mit Sanktionen rechnen müssen". Die Ursachen, nämliche mangelnde sinnstiftende Arbeitsplätze, Zeit für die Menschen und passgenaue Qualifizierungen werden mit Sanktionen bekämpft. Das ist die falsche Antwort auf die instabilen sozialen Verhältnisse. Wofür die Jobcenter gesellschaftlich und politisch nun aber auch nicht wirklich etwas können. Die unterwerfen und untergeben sich den Richtlinien, die ihnen vom Bundesarbeitsministerium hingeworfen werden.

Dass die Bundesagentur für Arbeit seit Jahren politisch neoliberal und hierarchisch geführt wird, macht es natürlich auch nicht einfacher. Allerdings funktionieren die Scheuklappen sehr gut, wenn es um Ideen oder Konzepte geht, das System "Hartz IV" menschlicher zu gestalten. Gerade die Corona-Pandemie hätte die Chance geboten, hier guten Willen zu zeigen. Der war nicht da. Die richtige Antwort wäre eine sanktionsfreie und existenzsichernde Mindestsicherung in Höhe von 658 Euro und die Übernahme der tatsächlichen Wohnkosten.