Haustürwahlkampf mit System
- Birgit Huonker
Als ich Ende 2018 den Hut für den Bürgermeisterwahlkampf in meinem kleinen Ort in den Ring warf, war klar: Jetzt sind Planung und Fleiß wichtig, denn schon im Mai 2019 sollte die Wahl sein. Ich musste Wahlkampfteam zusammenstellen, es gab eine Foto-Session für die Plakate, die Website sowie meine Flyer und ich musste mich um eine solide Finanzplanung kümmern. Schnell war klar: Die Wählerinnen und Wähler wollen Menschen wählen, die sie kennen. Oder die sich zumindest schon mal bei ihnen vorgestellt hat, damit sie sich selber einen Eindruck verschaffen können.
Das geht zwar auch auf Marktplätzen oder an belebten Straßen, auf denen man schnell mal einen Stehtisch aufstellen kann und ins Gespräch kommt, aber noch persönlicher und individueller geht es eben nur, wenn man an Haustüren klingelt. Das hatte ich vorher in meinem Ort noch nie gemacht. Ich hatte keinen Gesprächsleitfaden, ich hatte keine Schulung oder ähnliches mitgemacht. „Learning by doing“ hieß die Devise, ins Wasser springen und schwimmen. Entsprechend hoch war meine Herzfrequenz.
Wie bereite ich mich richtig vor?
Zunächst verschaffte ich mir einen Überblick, wo DIE LINKE bei den letzten Wahlen ihre Hochburgen hatte. In diesen Straßen wollte ich mit dem Haustürwahlkampf beginnen. Denn in den Straßen, in denen es viele LINKEN-Wähler gibt, wird man oft wohl gesonnen und freundlich empfangen, das gibt einem selber Sicherheit und macht Mut. So hoffte ich. Es hat sich mit der Zeit herausgestellt, dass es am besten funktioniert, wenn man zu zweit im Team geht, am besten eine Frau und ein Mann. Ein Klemmbrett mit Schreibblock muss man unbedingt dabei haben!
Zeiträume festlegen: Von Januar – Ende April klingelte ich freitags zwischen 14 und 18 Uhr. Danach wollen die Leute ihre Ruhe, samstags lief ich von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr. In der heißen Phase, also zwei Wochen vor der Wahl, nahm ich Urlaub und lief montags – samstags von 10 – 12 Uhr und von 14 – 18 Uhr. Insgesamt schaffte ich so knapp 4.000 Haushalte. In einer Umhängetasche hatte ich eine Flasche Wasser (das unzählige Treppenlaufen macht durstig), kleine Gummibärchen-Tütchen, Hunde-Leckerlis, Kugelschreiber, Flyer und ganz wichtig: Eine von mir persönlich unterschriebene Klappkarte, die ich mit Kugelschreiber und Flyer in die Briefkasten derjenigen werfen konnte, die abwesend waren. So wussten die Menschen, dass ich persönlich vorbeigeschaut hatte.
„Guten Tag, wir sind nicht von den Zeugen Jehovas“
Aufgeregt und etwas ängstlich klingelten meine Freundin und ich an der ersten Haustür. Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf: Was ist, wenn man uns die Tür vor der Nase zuschlägt? Ein bissiger Hund uns entgegenläuft und an uns hochspringt? Was mache ich dann? Doch bevor ich mich weiter in die Was-wäre-wenn-Gedanken vertiefen konnte, hörten wir hinter der Tür schlurfende Schritte. Eine ältere Dame öffnete nur einen kleinen Spalt die Tür und bevor wir sie begrüßen konnten, frage sie uns mißtrauisch: „Sind Sie von den Zeugen Jehovas?“ Wir mussten beide lachen und damit war die Anspannung wie weggefegt.
Damit hatten wir nun gar nicht gerechnet. „Nein, das sind wir nicht. Ich möchte mich Ihnen kurz persönlich vorstellen, denn ich möchte gern Ihre Bürgermeisterin werden.“ Die Haustür öffnete sich, die Dame schaute mich an und lächelte. „Na dann erzählen Sie mal“, forderte sie mich auf. „Ich habe Ihnen etwas mitgebracht, was Sie in aller Ruhe lesen können. Wenn Sie Fragen dazu haben, hier steht meine Telefonnummer. Sie können mich jederzeit anrufen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich noch viele Menschen besuchen möchte, daher habe ich nicht so viel Zeit. Aber es ist mir besonders wichtig, dass ich mich bei Ihnen persönlich kurz vorstellen kann.“ Wir überreichten der Dame meinen Kugelschreiber, den gut lesbaren Flyer mit der etwas größeren Schrift und bevor wir uns verabschiedeten, frage ich sie: „Haben Sie noch irgendwelche Anregungen für mich oder kann ich sonst etwas für Sie tun?“ Ja, hatte sie: „Die rasen hier so schnell, manchmal traue ich mich nicht, über die Straße zu gehen. Können Sie nicht dafür sorgen, dass unsere Straße eine Tempo-30-Straße wird?“ Die erste Anregung notierte sich meine Begleiterin, denn sie hatte das Klemmbrett mit dem Schreibblock in der Hand. Ebenso den Namen der älteren Dame, Straße und Hausnummer. Na also, ging doch. So schlimm war es nicht. Wir verabschiedeten uns und klingelten nebenan.
Vom Gehweg aus sah ich, wie sich eine Gardine am Fenster leicht bewegte. Plötzlich flog die Haustür auf und eine Frau mittleren Alters strahlte uns an: „Frau Huonker, Sie sind es! Ich dachte schon, die Zeugen Jehovas kommen.“ Meine Begleiterin und ich schauten uns verdutzt an und mussten wieder lachen. Es begann, Spaß zu machen. Schnell war der Grund unseres Besuches geklärt, Flyer und Kugelschreiber überreicht und als sich die dritte Haustür öffnete, stellten wir uns selber so vor: „Guten Tag, wir sind NICHT von den Zeugen Jehovas.“ Unser Gegenüber musste schmunzeln und schon war das Eis gebrochen.
Gummibärchen, Google-Earth und Hunde-Leckerlis
So schafften wir innerhalb einer Stunde etwa 25 Ein- und Zweifamilienhäuser, die in unserem ländlich geprägten Ort vorherrschend sind. Wenn Mütter mit Kindern die Tür öffneten, überreichten wir den Kindern eine kleines Gummibärchen-Tütchen, wenn wir die Erlaubnis dafür erhielten. (Vorher die Eltern fragen!) Und meine Angst vor Hunden bekämpfte ich tapfer mit Hunde-Leckerlis, die ich stets vor den Besuchen in meine Hosentaschen gestopft hatte. Auch hier galt: Immer die Besitzer vorher fragen. Man glaubt gar nicht, wie viele Hunde Allergien haben! Ob wir verteilen konnten oder nicht: Den Menschen hat es gefallen, dass wir auch an Kinder und Haustiere gedacht hatten. Logisch!
Bei den weiteren Routen-Planungen nahmen wir Google-Earth zu Hilfe. Als Faustregel galt: 50 gezählte Dächer in einer Straße = 2 Stunden Zeitaufwand. Und immer zuerst in den eigenen Hochburgen laufen! Die eigene Wählerschaft – auch wenn sie sich nicht zu erkennen gibt – ist einem wohlgesonnen.
Für uns völlig überraschend haben wir oft Einladungen bekommen, hereinzukommen und ein „Tässchen Kaffee oder einen Crèmant zu trinken“. Das war – ehrlich gesagt - sehr verlockend, doch wir winkten schweren Herzens ab: „Wir wollen noch viele Menschen erreichen, wenn wir hier bei Ihnen so lange sitzen, können wir viele andere Menschen nicht besuchen.“ Das leuchtete meist ein. Als Gesprächsangebot bei Nachfragen verwies ich immer auf die Kontakt-Daten auf dem Flyer. Dreimal konnte ich dem Kaffee-Angebot jedoch nicht widerstehen: Es war draußen kalt, die Hände klamm und die Vorstellung eines heißen Kaffees war einfach zu verlockend. Übrigens, besonders oft wurden wir von Mitgliedern anderer Parteien eingeladen. Sie wussten: Je länger sie uns in ein Gespräch verwickeln konnten, umso weniger Zeit haben wir für unsere Haustür-Besuche. Auch das gibt es.
Mir war es vor allem wichtig, viele Menschen zu erreichen, damit sie sich einen kurzen – jedoch unglaublich wichtigen – ersten persönlichen Eindruck von mir verschaffen konnten. „Ach, Sie sind das! Das ist ja toll, dass Sie bei mir vorbeikommen.“ Einmal besuchte ich ein einsam gelegenes, etwas verstecktes Haus am Ende einer furchtbar steilen Straße, die ich keuchend erklomm. Nachdem ich mich bei dem Bewohner vorstellte, sagte er zu mir: „Egal, von welcher Partei Sie sind: Ich wähle Sie. Und wissen Sie warum? Weil Sie sich die Mühe gemacht haben, uns zu besuchen. Weil wir Ihnen so wichtig waren, dass Sie sich zu uns gequält haben. Das schaffen die wenigsten.“ Auch solche Wahlentscheidungen gibt es.
Lohnt sich der Aufwand?
Ich habe ca. 4000 Haushalte besucht, gefühlte 10.000 Treppenstufen geschafft (ich habe sie unterwegs oft verflucht), kenne mittlerweile alle Hunde-Rassen und Klingeltöne in unserem Ort. Lediglich viermal (!) wurde uns die Haustür vor der Nase zugeschlagen. Kein Problem. Kurzes Schulterzucken und weiter. Lohn für die Mühe? Fast 27 Prozent bei drei Wahlbewerbern, incl. dem Amtsinhaber. An der Stichwahl bin ich nur sehr, sehr knapp gescheitert. Ich war in der Stichwahl des größeren Ortsteiles mit seinen 12.000 Einwohnern.
Ausschlaggebend war jedoch der zweite, kleinere Ortsteil mit 2.500 Einwohnern, aus dem der CDU-Kandidat kam. Das schmerzte, allerdings sind die Erfahrungen aus dem Haustürwahlkampf unbezahlbar: Neue Mitglieder, ein Wahlergebnis, was landesweit für Aufsehen sorgte, neue Unterstützer und viele neue, schöne Erkenntnisse über meinen liebenswerten Ort. Ich kann nur leidenschaftlich für den Haustür-Wahlkampf werben: Ihr werdet dafür reichlich belohnt. Versprochen!
Fazit des Haustürwahlkampfes
Zum Schluss: Es empfiehlt sich, immer jemanden als Begleitperson mitzunehmen, die in dem Gebiet wohnt, welches besucht wird. Denn man kennt sich im ländlichen Raum. Und einem Nachbarn öffnet man gern die Tür. Und wenn die Briefwahl-Anträge verschickt worden sind, kann man direkt an der Haustür nachfragen, ob man behilflich sein kann. Es lohnt sich!
Es ist DAS wichtigste Wahlkampf-Instrument überhaupt! Keine Plakate, keine Flyer, keine Telefon-Aktionen, keine Website oder Facebook-Seite kann das leisten, was ein Haustür-Wahlkampf vermag: Ganz persönliche Kontakte herstellen, die im Gedächtnis bleiben, Wählerinnen und Wähler gewinnen – übrigens auch unter den bis dahin Unentschlossenen. Unsere anfängliche Unsicherheit und das Herzklopfen an der Haustür wich mit der Zeit einer Art Gewohnheit, Gelassenheit und Neugierde, wer wohl die Tür öffnen wird.
Unterwegs sahen wir Dinge, die uns vorher verborgen waren. Manche Besonderheiten haben wir fotografiert: lustige Sprüche als Haustür-Schilder, künstlerisch gestaltete Fensterläden oder schön bepflanzte Vorgärten. Die im Haustür-Wahlkampf gesammelten Anliegen der Einwohner können unabhängig vom Wahlausgang in den Stadt- , Gemeinde – oder Ortsräten als Antrag der LINKEN eingebracht und über den Ausgang können die Anlieger noch Wochen später persönlich informiert werden. Die Botschaft dahinter: DIE LINKE kümmert sich und hat Sie nicht vergessen. Wir haben für Ihr Anliegen gekämpft. Das wird auch künftig belohnt werden, da bin ich mir ganz sicher.
Birgit Huonker ist wissenschaftliche Referentin der Fraktion DIE LINKE. im saarländischen Landtag. Sie ist zudem Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat der Kommune Riegelsberg, wo sie auch als Kandidatin für die Bürgermeisterwahl antrat.