Eine Staatsschulden- und Steuerdebatte tut not.
Grünen Ko-Vorsitzender Robert Habeck und DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann haben dieser Tage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für einen entkrampfteren Umgang mit Staatsschulden plädiert. So weit, so gut. Gleichzeitig warnen sie die Linke vor einer Steuerdebatte und verheddern sich dabei selbst in Widersprüche.
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, des notwendigen sozial-ökologischen Umbaus und der gewachsenen sozialen Ungleichheit verweisen Habeck und Hoffmann auf die hohen anstehenden Investitionen und widmen sich dem Verhältnis von Investitionen und Sparsamkeit und von Steuern zur Gerechtigkeit. Sie kommen zu der richtigen Erkenntnis, dass Deutschland den aktuellen Anstieg der Verschuldung angesichts seiner Wirtschaftskraft und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gut verkraften kann und das Sparen im Sinne von unterlassenen Investitionen und Kürzungsprogrammen weitaus gefährlicher und zukunftsschädlicher ist als kreditfinanzierte Ausgabenprogramme. Dabei enthält der Beitrag sinnvolle Aspekte zu den Problemen der Schuldenbremsen im Grundgesetz und im europäischen Recht und spricht sich für Tilgungsfristen und eine Reform der Schuldenbremse mit Blick auf öffentliche Investitionen aus. Auch die rasche Rückkehr zur Schuldenbremse ab 2022 wird kritisiert.
Das ist ein Fortschritt, denn bisher sind die Grünen in der Vergangenheit kaum durch Kritik an der Schuldenbremse aufgefallen. Wir erinnern uns noch gut an eine Veranstaltung von Linken- und SPD-Bundestagsabgeordneten mit den Schuldenbremsen-Kritikern Jens Südekum von der Universität Düsseldorf und Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft, bei der die Grünen nicht offizieller Ko-Veranstalter sein wollten und erst kurz vorher eine interne Positionierung zur Schuldenbremse hinbekommen haben. Allerdings wundert sehr, warum Habeck und Hoffmann prominent in der Überschrift des Artikels der Linken das Verheddern in Widersprüchen vorwirft (mit- bzw. zuallererst gemeint ist vermutlich die SPD) und explizit vor einer Steuerdebatte warnen. Bekanntlich gibt es aus der LINKEN und Teilen der SPD die Forderung nach einer Vermögensabgabe und aus der SPD immer wieder die Forderung nach einem Corona-Soli aus der Einkommensteuer.
Natürlich haben Habeck und Hoffmann Recht damit, dass die Schulden durch die Corona-Krise auch ohne eine Vermögensabgabe zu finanzieren sind. Alle fortschrittlichen Ökonomen sind sich einig, dass die Staatsschulden per se derzeit kein Problem sind. Die Zinslast beträgt derzeit unter zwei Prozent des Bundeshaushalts, vor der Finanzkrise lag sie noch bei 14,2 Prozent und das Zinsniveau wird auf absehbare Zeit niedrig bleiben. Die Schuldenstandsquote (Staatsschulden zum BIP) ist derzeit immer noch geringer als nach der Finanzkrise. Zudem hat die Europäische Zentralbank (EZB) einen Großteil der neu ausgegebenen Schulden in die Bücher genommen. Als Zentralbank kann sie in eigener Währung nie Pleite gehen. Natürlich hat dies alles auch Nebeneffekte, wie z.B. die zeitweise Börsenrallye trotz Coronakrise. Aber die infolge der Corona-Pandemie angewachsenen Staatsschulden sind nach wie vor tragbar und wie nach der Finanzkrise kann durch Wachstum und niedrige Zinsen und ohne rigide Ausgabenkürzungen langfristig herausgewachsen werden.
Mit ihrer Absage an eine Steuerdebatte würgen Habeck und Hoffmann aber eine Verteilungsdebatte ab, die jetzt und gerade vor der nächsten Bundestagswahl unbedingt notwendig ist. Die Parteien der Großen Koalition sind offensichtlich fest gewillt, bald nach der Wahl die Schuldenbremse wieder anzuwenden. Dies bedeutet, dass in der nächsten Legislatur die Steuern erhöht oder die Investitionen und Ausgaben für Soziales gekürzt werden müssen. Deswegen ist jetzt der genau richtige Zeitpunkt, um Flagge zu zeigen. Wir fordern daher eine Vermögensabgabe für Millionäre, um Druck aus dem Kessel zu nehmen und die Superreichen stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzuziehen. Klar ist aber auch, dass sich allein mit der Vermögensabgabe die neu aufgenommenen Staatsschulden nicht tilgen lassen. Die Vermögensabgabe bringt nämlich nur 19 Milliarden Euro jährlich über 20 Jahre.
Das größere Problem liegt ohnehin bei den Ländern, die einer rigideren Schuldenbremse als der Bund unterliegen und zugleich größere Finanzsorgen haben. Dafür brauchen wir die Vermögensteuer, denn die Vermögensabgabe geht verfassungsgemäß an den Bund. Selbst wenn die Schuldenbremse abgeschafft oder hinsichtlich Investition gelockert würde, gäbe es einen erheblichen Finanzbedarf für fehlende Personalausgaben (wie die vielen Personalengpässe im öffentlichen Dienst, in Schulen, der Verwaltung etc. zeigen). Diese lassen sich aber sinnvollerweise nicht über Kredite finanzieren, sondern über Steuern.
Im Jahr der Bundestagswahl wirkt die Warnung von Habeck und Hoffmann vor einer Steuerdebatte reichlich unpolitisch. Tatsächlich handelt es sich bei Hoffmann und Habeck aber um Vollblutpolitiker. Sicherlich ist der Beitrag in erster Linie machtpolitisch motiviert. Er ist einerseits ein Signal, dass der DGB nunmehr auf die Grünen statt die SPD setzt. Die Grünen scheinen darauf hinweisen zu wollen, dass sie mit der CDU, ggf. sogar mit Herrn Merz, kaum gewillt sind, über Verteilungsfragen in den Clinch zu gehen. Wie sie dann allerdings den Finanzierungsbedarf des Bundes und der Länder für den sozial-ökologischen Umbau aufbringen wollen, bleibt ein ungelöstes Geheimnis.