Es geht um mehr als Bäume
- Torsten Felstehausen
Seit Wochen machen die Proteste gegen die geplante Rodung des Dannenröder Forstes über Hessen hinaus Schlagzeilen. Aktivist*innen hatten dort Bäume besetzt, um deren Abholzung zu verhindern. Was die Proteste mit der Verkehrswende zu tun haben und warum Hessens LINKE sie unterstützt , erklärt Torsten Felstehausen, umweltpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag, in seinem Gastbeitrag für „Links-bewegt“.
Seit Ende der 60er Jahre spukt das Gespenst der Autobahn durch den hessischen Vogelsbergkreis. Bundesverkehrsminister Georg Leber setzte sein Ziel fest, dass niemand länger als 20 km bis zur nächsten Autobahnauffahrt fahren sollte. Die A49 ist eines dieser Projekte. Und schon immer gab es in der Region Widerstand gegen die Autobahnplanung. Spätestens Anfang der 1980 Jahre, als der Hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry den Planungsraum auf die „Ohmtaltrasse“ begrenzte, wurde von den Bürgerinitiativen nachgewiesen, dass die Prognosen, die den Planungen zugrunde lagen, fehlerhaft waren. Gleichzeitig wurden Gutachten, die die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt thematisierten und den Bau von Ortsumgehungen empfahlen, unter Verschluss gehalten. Die Planungen werden auch unter Beteiligung von Bündnis90/ Die Grünen immer weiter vorangetrieben. Schließlich waren sie von 1991 bis 1999 und seit 2014 bis heute in Regierungsverantwortung.
Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsverfahrens liegt also Baurecht vor. am 1.Oktober 2020 könnten die Bäume auf ca. 100 Hektar im Dannenröder Wald fallen und die Staatsmacht bereitet sich vor.
Aber neben dem bürgerlichen Widerstand aus Naturschutzverbänden, Bürgerinitiativen und Anwohner*innen hat sich eine weitere Protestform etabliert, die den Verantwortlichen Kopfzerbrechen macht: die Waldbesetzer*innen.
Die A49 - ein Symbol der Gesellschaft von gestern
Im Herbst 2019 schufen junge Menschen Fakten und errichteten Baumhäuser im Wald. Aus dieser Idee ist eine Gruppe von über 100 Menschen geworden, die an sechs Orten im Wald gemeinsam solidarisch leben, lachen und für den Erhalt des Waldes kämpfen. Täglich kommen neue Menschen hinzu. Inzwischen spannt sich ein Netz von Seilen, Plattformen, Hängebrücken und Baumhäusern durch das Laubdach, sogar die Küche wurde vom Boden auf schwindelerregende Höhe verlagert, um im Fall der Räumung nicht als erstes eine so wichtige Einrichtung zu verlieren. Dieser Gruppe geht es nicht um juristische Auseinandersetzungen, nicht um Planfeststellungsbeschlüsse und Allgemeinverfügungen. Für die Aktivist*innen ist klar, es gibt kein „Weiter so“. Der Bau der A49 ist das Symbol einer Gesellschaft von gestern, die es morgen schon nicht mehr geben wird, eine Landebahn für Dinosaurier.
Aber es geht beim Widerstand im „Danni“ um mehr, als nur die weitere Abholzung eines Naturwaldes zu verhindern. Um mehr, als das Trinkwasser für über 500.000 Menschen zu sichern und die einzig verfügbaren CO2-Senken zu erhalten. Es geht um grundsätzliche Fragen. Der Bau der A49 ist nur das sichtbare Zeichen einer Politik von gestern, die auf immer mehr Konsum, immer mehr Verkehr, immer mehr Wachstum setzt. Längst ist klar, dass es um einen Wandel des gesamten Systems gehen muss, wenn der weltweite Klimawandel noch aufgehalten werden soll. System Change – not Climate Change!
Jede neue Straße bringt mehr Verkehr
Jede neue Straße wird mehr Verkehr bringen, diese These ist längst wissenschaftlich belegt. Der Traum von der Entlastung der Ortsdurchfahrten wird sich in Feinstaub verwandeln, wenn auch die nächste Ost-West-Verbindung im Stau erstickt und die Ausweichverkehre sich über die Umleitungsstrecken quälen.
Die Aktivist*innen im Danni stellen zurecht die Frage, warum immer mehr Güter auf den Autobahnen bewegt werden. Schnell wird klar: Der europaweite Warenwirtschaftsverkehr und die Logik des Just-in-Time sorgen für mehr Verkehr auf den Straßen. Das europäische Lohngefälle führt auch dazu, dass Berliner Gurken in Portugal in Gläser verpackt und in Bulgarien etikettiert werden, um in Marburg im Regal zu stehen. Es findet sich eben immer noch jemand, der die Arbeit für ein Zehntel Cent günstiger macht. Die Folge sind endlose Kolonnen von LKW auf Bundesstraßen und Autobahnen.
Aber auch unser vermeintlicher Wunsch nach immer mehr, immer größer und immer neuer, befeuert von täglicher Werbung und dem Versprechen: „Jetzt kann sich jeder alles leisten“, beschert den Onlinehändlern immer neue Umsatzrekorde. Die Folge sind immer neue Logistikzentren, immer mehr Straßen und immer mehr Lieferverkehre.
Die kleinen Orte veröden
Längst sind die kleinen Orte im Vogelsberg verödet. Die großen Einkaufzentren auf der grünen Wiese der Mittelzentren locken mit Sonderangeboten, aber ohne Auto kann hier nicht mehr eingekauft werden. Im Ort hat der Lebensmittelhändler, der Bäcker und die Metzger längst geschlossen. Der ÖPNV beschränkt sich oft auf wenige Fahrten pro Tag und bietet somit keine Alternative zum Auto. Auch ein Grund, warum viele Familien im ländlichen Bereich zwei und mehr Autos haben (müssen).
Dem setzen die Aktivist*innen einen anderen Lebensentwurf entgegen. Die Lebensmittel, die in der Küche für alle gekocht werden, sind vegan, viele vor der Vernichtung durch Wegwerfen gerettet. Menschen, die Material spenden, werden gebeten, zunächst im eigenen Keller zu schauen, ob nicht noch etwas Brauchbares zu finden ist, nicht alles muss neu gekauft werden. Es braucht wenig jenseits der Konsumgesellschaft, aber es braucht Freiräume und so ein Freiraum ist der Danni geworden.
Aber all dies könnte am 1. Oktober beendet werden, dann beginnt die Räumungssaison und die Motorsägen der DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) sollen Fakten schaffen. Und da klar ist, dass dieses nicht widerstandslos hingenommen werden wird, rüstet die Polizei auf. Für hunderte von Polizist*innen sind die Unterkünfte in den umliegenden Dorfgemeinschaftshäusern und ehemaligen Bundeswehrkasernen bereitgestellt und die örtliche CDU bläst zum Kampf gegen „Gewalttäter“ und „Auswärtige“, um die Polizeieinsätze zu legitimieren.
DIE LINKE im Hessischen Landtag jedoch hat sich entschieden. Wir stehen an der Seite des Widerstands gegen die A49 und der Besetzer*innen. Der Widerstand darf sich nicht in gut und böse spalten lassen. Soll er Erfolg haben, muss er vielfältig, fantasievoll, entschlossen und bedacht sein. Er muss auf der Straße, im Wald und in den Parlamenten stattfinden. Aus diesem Grund werden wir mit einer Vielzahl von Parlamentarischen Beobachter*innen die Aktionen der Polizei dokumentieren. DIE LINKE fordert den Hessischen Verkehrsminister Tarek Al Wazir (Grüne) auf, den Autobahnbau nicht gegen den Widerstand der Region mit polizeistaatlichen Mitteln durchzusetzen. Baurecht ist keine Baupflicht. Noch ist es nicht zu spät, noch ist kein Baum gefallen.