Debatte

Grünes Feigenblatt

Grüne Zukunft mit E-Autos?

DIE LINKE kämpft für eine sozial-ökologische Verkehrswende. Dafür wollen wir den öffentlichen Nah- und Fernverkehr entsprechend ausbauen. Doch wie halten wir es mit dem motorisierten Individualverkehr? Sollen E-Autos tatsächlich die Verbrenner ersetzen oder müssen wir Mobilität ganz neu denken? Eröffnet wurde die Debatte bei "Links bewegt" von Frank Brozowski, der für einen Ausbau der E-Mobilität plädiert. Ganz anders argumentiert nun Stephan Krull, ehemaliges Betriebsratsmitglied im VW Werk Wolfsburg und aktiv beim RLS-Gesprächskreis „Zukunft Auto Umwelt Mobilität“:


Im ersten Halbjahr 2020 wurden 30.000 E-Autos meist als Dienst- und Behördenfahrzeuge angemeldet. Die Werbeabteilungen der Autoindustrie jubeln. In Deutschland gibt es kaum mehr als 250.000 E-Autos unter den fast 48 Millionen PKW. Das Ziel, eine Million auf die Straße zu bringen, wurde trotz Regierungskommissionen (NPE und NPM), trotz „Schaufenster Elektromobilität“, öffentlicher Beschaffungsprogramme und Subventionen in Milliardenhöhe grandios verfehlt. E-Autos sind an den Bedürfnissen vorbei konstruiert: Größer, schwerer, schneller und teurer – im Schnitt sind PKW für 2 Stunden am Tag unterwegs, legen dabei ca. 50 km mit 1,2 Personen zurück und das einer Geschwindigkeit von weniger als 30 km/h. Sie bleiben Nischenprodukte und grünes Feigenblatt. Sie werden angeboten, um den Flottenverbrauch der einzelnen Hersteller EU-gerecht nachzuweisen und weiter SUV‘s verkaufen zu können.

Quer zur Energie- und Mobilitätswende

Ein gängiges Argument: Die Öko-Bilanz sei besser. Nur per Gesetz sind E-Autos „Zero-Emmission“-Fahrzeuge. Der Strommix ist ausschlaggebend, Produktion und Entsorgung müssen mitgedacht werden. Die Autokonzerne werben schon für einen Ausstieg aus dem Atomausstieg! Ein weiteres Argument: Lärmminderung. Der meiste Lärm kommt aber von den Reifen. Aus Sicherheits- und Prestigegründen werden künstlich Motorgeräusche erzeugt.
Autos nehmen viel Raum ein – in der Stadt verglichen mit ÖPNV sowie Fuß- und Radverkehr, in der Fläche gegenüber der Eisenbahn. Die Flächenkonkurrenz geht seit langem zum Nachteil derer, die nicht mit dem Auto unterwegs sind. In der gesamten Branche stehen bis zu 400.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. VW baut die Werke in Emden und Zwickau für E-Autos um; bei Daimler und BMW gibt es ähnliche Pläne. Beschäftigung kann nur gehalten werden, wenn der Absatz steigt. In den beiden VW-Werken sollen pro Jahr 600.000 E-Autos gebaut werden. Was, wenn die Nachfrage schleppend bleibt? Von wegen „der Markt“: Ohne staatliche Subventionen würde es kein E-Auto geben.

Hinter der Debatte verbirgt sich die Frage nach unserer Lebensweise

Uns sollte es um eine Mobilitätswende gehen, die zu weniger Beschäftigung in der Autoindustrie führt, aber zu mehr Beschäftigung in nachhaltiger Mobilität, in der Bahnindustrie, in der Bahninfrastruktur und bei den Bahnbetrieben im Nah- und Fernverkehr. Da wären staatliche Investitionen sinnvoll, das wäre der Übergang zu sozialer und ökologisch nachhaltiger Mobilität. In diesem Prozess haben E-Autos einen Platz als Taxen, für die „letzte Meile“ größerer Transporte, als fahrbarer Untersatz für ältere und mobil eingeschränkte Menschen. In ländlichen Räumen werden herkömmliche PKW genutzt, bis eine andere Art des ÖPNV diese Regionen bedarfsgerecht erschließt.

Wenn eine Verkürzung der Zeit für Erwerbsarbeit, wenn die Personalbedarfe im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, in der Natur- und Landschaftspflege berücksichtigt werden, haben wir kein Beschäftigungsproblem. In einem Zehn-Jahreszeitraum, bei absehbarer demografischer Entwicklung, ist eine Transformation ohne Brüche möglich.