Die künstliche Intelligenz als Produktionsmittel

Der digitale Kapitalismus bringt neue Arbeitsweisen mit sich und zwingt uns, die Eigentumsfrage neu stellen, damit wir in unserer Kapitalismuskritik nicht den Anschluss an die Realität der Produktionsverhältnisse verlieren.

Als Beispiel für die Digitalisierung des Kapitalismus und die daraus resultierenden Veränderungen von Eigentums- und Produktionsverhältnissen kann das Ferienwohnungsportal airBnB dienen. Als Antwort auf dessen Geschäftspraktiken müssen Kämpfe um bezahlbares Wohnen und für digitale Souveränität verknüpft werden.

Zum einen ist airBnB ein Wohnungskonzern, der Mieten weltweit hochtreibt und Menschen aus vor allem touristisch genutzten Innenstädten verdrängt, gleichzeitig aber auch eine digitale Plattform, auf der unsere Daten abgefangen, gesammelt, uns zugeordnet und anschließend zu Werbezwecken verkauft werden. Das Kapital vereinigt hier zwei Wertschöpfungsmethoden zum Zweck der Profitmaximierung – es schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. Analog hierzu müssen auch wir unseren Kampf gegen die Konzentration von Produktions- und Besitzverhältnissen in diesen beiden Konfliktfeldern zusammenführen.

Wenn wir die Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen, Tesla und anderen Unternehmen fordern, muss auch immer die Vergesellschaftung unserer Daten, die durch diese Unternehmen verwertet werden, mit gemeint sein.

Viele Geschäftsmodelle des digitalen Kapitalismus sind eine Abwandlung analoger Ausbeutungsmodelle. Unternehmen wie Uber, UberEats, Flink oder Wolt kanibalisieren ihre analogen Konkurrenten, indem sie Arbeitsrechtsstandards unterwandern und nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiter:innen ausnutzen. Die Digitalisierung von Dienstleistungen bringt nicht unbedingt einen Vorteil für die Nutzenden, sondern minimiert den menschlichen Kontakt zu Angestellten, um die Profite der Unternehmer:innen zu maximieren.

Ein allerdings relativ neueres Ausbeutungsmodell im digitalen Kapitalismus erfahren viele, – vor allem junge – Menschen, die relevante Teile ihres Tages auf TikTok, Instagram oder anderen Social-Media-Plattformen verbringen. Dort erzeugen sie durch ihre Posts und Interaktionen einen Mehrwert, der ausschließlich den Unternehmen und damit ihren Eigentümern beziehungsweise Aktionären zugutekommt. Von dem Profit, der durch die Zeit, die wir auf diesen Plattformen verbringen, gewonnen wird, sehen die Nutzenden nichts. Und auch die Ersteller der Inhalte werden nur entlohnt, wenn diese eine gewisse Relevanz und Reichweite erhalten. Diese Entlohnung erfolgt nach intransparenten Regeln und der Willkür der Plattformen und deren Betreiber:innen.

Dieser Tätigkeitsbereich wird auch von vielen Ersteller:innen von Inhalten als völlig frei von Arbeitsrechten und nicht als eigentliche Arbeit wahrgenommen. Selbst wenn mit der Erstellung von Inhalten auf Online-Plattformen Geld verdient wird, wird der Prozess dahinter von vielen als Hobby angesehen. Dementsprechend fallen viele Ersteller:innen aus allen Wolken, wenn das Finanzamt das erste Mal Steuern von diesen Einnahmen fordert. Weiterhin gibt es auch Inhaltersteller:innen, die durch ihr Management und ihre Agenturen die Logiken des analogen Showbusiness einfach nur auf den digitalen Raum übertragen und damit erfolgreich sind. Die Funktionsweise der Aufmerksamkeitsökonomie wirken im digitalen wie im analogen. Beide Bereiche verbinden die überwiegend schlechten Arbeitsbedingungen: keine Tarifverträge, keine finanzielle Planbarkeit, keine festen Arbeitszeiten, kein Urlaub, und so weiter.

Die digitale Arbeit muss in unseren klassenpolitischen Kämpfen genauso eine Rolle spielen und mitgedacht werden wie analoge Arbeit. Es darf keine arbeitsrechtsfreien Räume geben, auch nicht online. Wir müssen die digitalen Arbeiter:innen darin unterstützen, sich zu organisieren, um ihre Rechte einzufordern.

Tatsächlich lässt der Fokus auf klassische Arbeit die Lebensrealität vieler Menschen außer Acht. Die Auseinandersetzung mit den Folgen des digitalen Kapitalismus ist nicht nur ideologisch notwendig, sondern bietet auch strategische Möglichkeiten. Die Herausforderungen, Ängste und Hoffnungen rund um dieses Thema sind gesellschaftlich sehr weit verbreitet: Beschäftigte in der Industrie bewegen sie genauso wie Arbeiter:innen im Dienstleistungssektor oder das linksliberale akademische Milieu. Das Thema ist also für sehr große Teile der Wählerschaft der Linken relevant. Gegen Kryptowährungen, Blockchain, Künstliche Intelligenz, die Überwachungsinfrastruktur des Silicon Valley und den Ketamin-Kapitalismus von Musk, Zuckerberg und anderen müssen wir eine verlässliche, nachvollziehbare und mutige sozialistische Alternative aufzeigen, bei der die Arbeiter:innen im Mittelpunkt stehen.  

KI geht Büroarbeiter:innen an den Kragen

Neben den gesellschaftlichen Herausforderungen, die durch die künstliche Intelligenz gestellt werden, beeinflusst sie bereits unsere Arbeitswelt. Auf den ersten Blick scheint künstliche Intelligenz ein logischer nächster Schritt in der Automatisierung der industriellen Produktion zu sein. Zugegeben ein großer Schritt, ungefähr auf der gleichen Stufe wie die Einführung des Fließbandes für die analoge Produktion.

So wie alle Technologien, die unsere Produktionsweise revolutionieren, hat künstliche Intelligenz das Potential, die Produktivität zu erhöhen. Doch das Problem ist in diesem Fall nicht nur, dass wir Arbeiter:innen finanziell nicht von diesem Produktivitätszuwachs profitieren werden. Der Erfolg von künstlicher Intelligenz basiert auch auf dem Training mit unseren eigenen Daten, für die wir nie bezahlt wurden.

Genau wie die gegen Ende der neunziger Jahre weitverbreitete Furcht, Roboter in der Produktion würden uns die Arbeit wegnehmen, ist diese Sorge auch bei künstlicher Intelligenz überzogen. Im Gegensatz zur Automatisierung der Produktionsweise seit den Neunzigern, die vor allem die Tätigkeit von Arbeiter:innen in Fabriken veränderte, wird künstliche Intelligenz die Arbeit von Management sowie akademischen und klassischen Schreibtischberufen umkrempeln. Was das für die Arbeitswelt und das Verhältnis von Büroarbeiter:innen zu manuellen Arbeiter:innen genau bedeutet, ist noch unklar. Diesen Prozess aus einer kritischen und sozialistischen Perspektive öffentlich zu begleiten, ist eine unserer Aufgaben.

Profite, Eigentum, Macht

In mehrerlei Hinsicht muss die Regulierung künstlicher Intelligenz zu einer unserer Kernforderungen werden: Zum einen wird der hohe Energieverbrauch der künstlichen Intelligenz derzeit nicht durch erneuerbare Energiequellen abgedeckt. Zum anderen spielt die menschen- und arbeitsrechtlich hochproblematische Beschaffung von Rohstoffen für die Chipproduktion aus dem globalen Süden sowie die Nutzung von Arbeitskräften für die Erstellung von Trainingsdaten zu Niedriglöhnen unter Missachtung jeglicher Arbeitsrechte eine große Rolle in der Branche. Linke Digitalpolitik muss auch in dieser Hinsicht immer Teil unserer internationalen, verbindenden Klassenpolitik sein.

Wir müssen dabei drei Aspekte betrachten: Wer besitzt die KI-Technologie und die dazugehörige Infrastruktur, wer hat die Macht, die Ergebnisse der Modelle zu beeinflussen und wohin fließen die resultierenden Profite?

Von Rechten hört man die Verschwörungserzählung, künstliche Intelligenz würde bevorzugt linke Inhalte wiedergeben. Unabhängigkeit davon, dass offenbar alles, was die Würde anderer Menschen achtet, als links bezeichnet wird, besteht natürlich die Gefahr der Beeinflussung von (Modell-)Ergebnissen. Alle relevanten KI-Modelle befinden sich im Besitz einiger weniger US-amerikanischer Technologiekonzerne. So wie Elon Musk die Plattform X als rechtes Sprachrohr benutzt, wird er auch versuchen, KI-Modelle für seine politischen Ziele zu nutzen. Einen Vorgeschmack bekamen wir schon Ende letzten Jahres, als OpenAI, die Firma hinter ChatGPT, eine Kooperation mit dem Axel-Springer-Verlag einging, um deren Archive als Trainingsdaten nutzen zu können.

Um die Gefahr für unsere Gesellschaft, die durch den Missbrauch dieser Technologie ausgeht, zu verringern, müssen alle Modelle, die künstliche Intelligenz verwenden, vergesellschaftet werden. Die Profite müssen an die gehen, welche die Trainingsdaten erstellt und erzeugt haben. Von allen KI-Modellen müssen technische Konfigurationen, sowie alle Trainingsdaten offengelegt und unter öffentliche Kontrolle gestellt werden.

Künstliche Intelligenz muss von uns letztendlich als Produktionsmittel begriffen werden, das wir uns aneignen und dessen Verwendung wir steuern müssen.

 

Dieser Text entstand nach dem Panel „The social impact of artificial intelligence: Deconstructing digital Capitalism“ mit Katalin Gennburg (Mitglied im Abgeordnetenhaus Berlin), Marga Ferré (co-Vorsitzende von transform!europe) und Alberto Lumbreras (Wissenschafter beim Criteo AI lab) am 13.07.24 bei der Sommeruniversität der europäischen Linken.