Über Geld spricht man nicht
Jeder ist seines Glückes Schmied, behaupten unsere politischen Gegner gerne. Nimmt man Wirtschaftsliberale und Konservative beim Wort, drängt sich die unangenehme Schlussfolgerung auf, dass die Mehrheit der Menschen faul und dumm zu sein scheint. In Deutschland besitzt laut Oxfam das reichste Prozent der Bevölkerung 41,1 Prozent des Finanzvermögens. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) haben wiederum 40 Prozent der Menschen in Deutschland gar kein Vermögen. Wenn Armut in erster Linie selbstverschuldet wäre, müssten diese Zahlen ausdrücken, wie unfähig die meisten sind, einen Hammer zu halten.
Von konservativer Seite kommt an dieser Stellte üblicherweise der Einwand, die Linke wollte nur eine Neiddebatte anzetteln. Dies verstellt ganz bewusst den Blick darauf, dass die meisten Menschen sehr viel tun, um im Leben voranzukommen. Denn die allermeisten wollen in Wohlstand leben. Die Studienanfängerquote von 56 Prozent ist nur ein Indiz für die Bemühungen der Mehrheit. Aber was machen alle, oder zumindest fast alle, dann eigentlich falsch?
Ein Blick auf die Datenlage macht deutlich: Sie haben sich für das falsche Elternhaus entschieden. Wer Kind einer alleinerziehenden Krankenschwester ist, wird es nur schwer und höchstens in absoluten Ausnahmefällen nach oben bringen. Wer es dabei mit fleißiger Arbeit versucht, hat leider das falsche Mindset. Bei 75 Prozent der Hochvermögenden über einem Alter von 40 Jahren wuchs das Vermögen laut DIW vor allem durch Erbschaft und Schenkung, nicht durch Arbeit. Die Riege der „Selfmade-Milliardäre“ kennt einen Trick, den man nicht im BWL-Studium beigebracht bekommt: vermögende Eltern zu haben.
Schauen wir auf die Elite der Elite: Donald Trump, Elon Musk und Jeff Bezos behaupten, es aus eigener Kraft zu Reichtum gebracht zu haben. Damit halten sie einen Mythos am Leben. Fred Trump hat seinem Sohn 60 Millionen Dollar geliehen, Elon Musks Vater besaß eine Smaragdmine in Sambia, Jeff Bezos Eltern unterstützten 1995 das „Garagenunternehmen“ Amazon mit einem kleinen Investment von 250.000 US-Dollar. Reiche Eltern machen reiche Kinder.
Die Ökonomen der italienischen Zentralbank haben herausgefunden, dass in Florenz seit sechs Jahrhunderten dieselben Familien die ökonomische Elite der Stadt bilden – trotz Weltkriegen, Revolutionen und Umverteilungspolitik. Eine bessere Ausbildung, bessere Netzwerke und unkomplizierter Zugang zu Startkapital sind die wahren Zutaten, die es möglich machen, „selbst“ reich zu werden.
Erben war schon im Mittelalter der Weg der Wahl in die Oberschicht und ist es immer noch. Talent spielt dabei weiterhin eine untergeordnete Rolle. Reichtum und Einfluss konzentrieren sich in unseren Gesellschaften in Dynastien. Betriebe mit tausenden Beschäftigten geraten in die Hände von Menschen, die sich dafür vor allem durch ihre Geburtsurkunde qualifiziert haben.
Oft sind die Eliten von ihrer eigenen natürlichen Überlegenheit überzeugt. Auch hier sprechen der Daten eine andere Sprache. Eine Studie von 59 000 Männern anhand von Daten aus der schwedischen Wehrpflicht-Untersuchung kommt zu dem Ergebnis: Das oberste Prozent schneidet bei den kognitiven Fähigkeiten etwas schlechter ab als die Einkommensschichten direkt darunter. Das besondere Talent der Topverdiener scheint zu sein, kluge Leute für sich arbeiten zu lassen.
Hinzu kommt: Leistungsloser Reichtum führt zu Entmenschlichung. Im „Monopoly-Experiment“ ließ der Sozialpsychologe Paul Piff Menschen mit unterschiedlichem Startkapital gegeneinander spielen. Für den Sieg waren Fähigkeit, Talent oder auch Glück irrelevant. Ihre Privilegien hatten die bevorteilten Spieler schnell vergessen. Laut Piff nehme mit dem Reichtum die Fähigkeit zum Mitgefühl ab, Gier und Boshaftigkeit hingegen zu. Reichtum macht hässlich.
Die Ungleichheitsforscher Richard Wilkinson und Kate Pickett haben empirisch nachgewiesen, dass soziale Probleme wie Kriminalität, Drogenkonsum, und Teenager-Schwangerschaften zunehmen, wenn die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Egal, wie reich eine Gesellschaft insgesamt ist! Zusammenhalt werde dabei ersetzt durch Antagonismus.
Die Gesellschaft geht daran kaputt, und nebenbei auch noch die Umwelt. Laut Oxfam ist ein Milliardär so klimaschädlich wie eine Million durchschnittlicher Menschen. Hinweis: Nach Berechnungen des Manager-Magazins leben in Deutschland 226 Milliardäre.
Ist der Neofeudalismus also das Optimum dessen, wie das menschliche Zusammenleben im 21. Jahrhundert ausgestaltet werden könnte? Oder gibt es eine Alternative zu steilen gesellschaftlichen Hierarchien, die unangreifbar erscheinen? Man kann sich diese Fragen im Stillen und alleine stellen. Man kann aber auch Mitglied einer Gewerkschaft werden, Parteien wählen, die umverteilen und in Kampen auf Sylt, direkt im Angesicht der Parallelgesellschaft der Reichen und Hässlichen, für eine Vermögenssteuer demonstrieren.
Es ist Aufgabe der Linken, den Diskurs von „Oben versus Unten“ wiederzubeleben und zu stärken. Anstatt über die Kosten von Geflüchteten und Arbeitslosen zu diskutieren, sollten wir als Gesellschaft über die Kosten des Neofeudalismus reden. Statt nach unten müssen wir nach oben treten.