Arbeitszeitverkürzung ist wichtiger Teil des Kampfes um eine bessere Zukunft
In die gesellschaftliche Debatte um die Frage der Arbeitszeitverkürzung ist seit geraumer Zeit wieder Bewegung gekommen. Schon seit längerem flammt immer wieder die Idee einer Vier-Tage-Woche auf. Befeuert auch durch die IG Metall, die diese Forderung im letzten Jahr bei der Tarifauseinandersetzung in der Stahlindustrie aufgestellt hatte – bei einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 32 Stunden. Im Ergebnis stand dann eine Kann-Regel: Die Betriebsparteien können im Bedarfsfall die Arbeitszeit auf 32 Stunden verkürzen, bei einem Lohnausgleich von 50 Prozent.
Auch in der aktuellen Tarifrunde zwischen der Bahn und der GdL war der strittigste Punkt die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche für Beschäftigte im Schichtdienst – bei vollem Lohnausgleich. Am Ende stand die 35-Stunden-Woche, jedoch als Wahlmöglichkeit. Die Beschäftigten können zwischen Arbeitszeitverkürzung oder mehr Geld bei längerer Arbeit entscheiden. Der Streik bei der Bahn hat die gesellschaftliche Debatte um Arbeitszeitverkürzung belebt und viele Medien widmeten sich der Frage, ob der Abschluss beispielgebend für weitere Branchen sein könnte.
Ein harter Kampf
Während Politiker*innen der Linken dies befürworteten, gab es sogleich heftigen Widerspruch von konservativen Politikern, Arbeitgeberverbänden und von Wirtschaftsminister Habeck. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wartete mit dem abenteuerlichen Spruch auf, dass es anstrengungslosen Wohlstand nicht gäbe. Habecks Kommentar fiel ähnlich aus: „Jedenfalls wird ein bisschen im Moment zu viel für weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben. Und das können wir uns in der Tat im Moment nicht leisten“ (Zitat: Spiegel vom 14.3.2024).
Verschiedene Unternehmen bieten ihren Beschäftigten eine 4-Tage-Woche an, mal mit, mal ohne Arbeitszeitverkürzung. Sie wollen in Zeiten des Fachkräftemangels ihre Attraktivität erhöhen. In England hatten in einem Pilotprojekt 61 Firmen eine 4-Tage-Woche bei 32 Stunden und vollem Gehalt ausprobiert. Die Ergebnisse sprechen für sich: eine deutlich höhere Zufriedenheit der Beschäftigten, weniger Fehltage und höhere Produktivität. Außerdem erhöhte sich die Zahl der Bewerber*innen um 60 Prozent.
Die Debatte um die 4-Tage-Woche entspringt meist unabhängig von gewerkschaftlichen Zusammenhängen dem gestiegenen Bedürfnis vieler Menschen, Arbeit und Leben stärker in Einklang zu bringen. Auch Männer wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen – das ist gut für die Geschlechtergerechtigkeit. Jüngere Menschen wollen mehr Freizeit und betrachten Zeitwohlstand als wichtiges Gut. Die 4-Tage-Woche ist damit zu einem Synonym für Zeitgewinn zur eigenen Verfügung geworden.
Leider ist das häufig mehr mit individuellen Entscheidungen verbunden als mit dem kollektiven Kampf der Gewerkschaften für Arbeitszeitverkürzung. Stressige Arbeitsbedingungen oder unzureichende Angebote zur Kinderbetreuung treiben viele Beschäftigte – meist Frauen – in die Teilzeitbeschäftigung. Dabei handelt es sich aber um Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich.
Das gilt besonders im Gesundheitswesen. Kein Wunder, beträgt doch die wöchentliche Arbeitszeit im öffentlichen Dienst und den daran angeschlossenen Bereichen meistens 39 Stunden pro Woche, beziehungsweise 40 Stunden im Osten. Das ist Ausdruck gesunkener Kampfkraft oder hasenherziger Tarifpolitik in Sachen Arbeitszeitverkürzung. Selbst im Einzelhandel konnte die damalige hbv eine 37,5-Stunden-Woche durchsetzen. Der Kampf um die 35-Stunden-Woche, die 1984 in einem mehrwöchigen Streik der damaligen IG Druck und Papier und der IG Metall durchgesetzt wurde, liegt 40 Jahre zurück. Seitdem gab es – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – keine Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung mehr, die mit den Auseinandersetzungen von 1984 auch nur annähernd vergleichbar gewesen wären. Nach 40 Jahren wäre ein tariflicher und gesellschaftlicher Aufbruch für kürzere Arbeitszeiten mehr als überfällig.
Die Linke fordert die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich
Die politische Intervention von Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar für eine Vier-Tage-Woche mit 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich kam deshalb zur richtigen Zeit. Es ist die Aufgabe unserer Partei, wichtige gesellschaftliche Debatten mit anzustoßen und Vorschläge im Interesse der Lohnabhängigen zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zu machen. Die Vier-Tage-Woche ist dabei ein Synonym für Arbeitszeitverkürzung, aber nicht das einzige Modell dafür. Es geht um kürzere Wochenarbeitszeiten und letztlich um Wahlmöglichkeiten, bei denen sich die Arbeitszeit an den Lebensphasen der Menschen orientiert. Die Linke hat dazu in den letzten Wahlprogrammen zu den Bundestagswahlen konkrete Vorschläge gemacht, unter anderem zu einem Wahlarbeitszeitgesetz, das den Beschäftigten die Wahl zwischen verschiedenen Arbeitszeitmodellen als Recht ermöglicht. Dazu gehören ein kürzerer Arbeitstag, freie Tage, ein Sabbatjahr, die Umstellung auf Modelle zwischen 28 und 35 Stunden bei Vollzeit, wie auch die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden (heute können es bis zu 60 sein), ein Recht auf existenzsichernde Teilzeit und Rückkehrrecht auf Vollzeit, etc. Es ist unsere Aufgabe, dafür gesetzliche Rahmenbedingungen zu fordern. Bezugspunkt wäre dann eine wöchentliche Arbeitszeit, die um die 30 Stunden kreist.
Ist Arbeitszeitverkürzung nicht Sache der Gewerkschaften?
Wenn sich die Partei zu Arbeitszeitfragen äußerst, kommt schnell auch von Gewerkschafter*innen in unserer Partei die Kritik, das sei doch Sache der Gewerkschaften. Die Partei hätte sich da nicht einzumischen. Doch das ist zu kurz gedacht. Natürlich ist es Sache der Gewerkschafter*innen, für kürzere Arbeitszeiten in Tarifverträgen zu kämpfen.
In aller Regel stoßen Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung aber auf den erbittertsten Widerstand des Kapitals; Kämpfe um Arbeitszeit sind die härtesten überhaupt. Aber warum ist das eigentlich so? Es geht dabei um die Verfügungszeit über die Arbeitskraft, um die Prägung der Alltagskultur und um die Anpassung der Menschen an die Erfordernisse der Lohnarbeit. Mehr Zeit bedeutet mehr Selbstbestimmung, Emanzipation, bessere Voraussetzungen für Geschlechtergerechtigkeit und für andere Maßstäbe, was im Leben wichtig ist. Es geht also um den Kampf um Zeit, die der Profitlogik entzogen ist.
In größerem Maße sind tarifliche Kämpfe nur möglich und erfolgreich, wenn es dafür politische Unterstützung gibt. Außerdem weiß ich aus der Erfahrung jahrzehntelanger Gewerkschaftsarbeit, dass die Bereitschaft der Gewerkschaften – trotz positiver Beschlüsse auf Gewerkschaftstagen – tarifliche Auseinandersetzungen um Arbeitszeitverkürzung einzugehen, gelinde gesagt wenig entwickelt ist. Mal will es die Basis nicht, mal sind die Zeiten ungünstig, mal ist es wichtiger, Lohnerhöhungen durchzusetzen, mal ist die Arbeitslosigkeit zu hoch, mal gibt es Facharbeiter*innenmangel.
Als Gewerkschafter würde ich sagen, dass die Zeit für diese Forderung gegenwärtig günstig ist: Die Beschäftigten haben eine starke Position, in den meisten Bereichen müssen sie keine Angst haben und es gibt eine gesellschaftliche Stimmung dafür. Ich würde mich als linker Gewerkschafter also in meiner Gewerkschaft dafür einsetzen. Als Parteimitglied freue ich mich, dass meine Partei sich für Zeitwohlstand starkmacht und im politischen Raum dafür kämpft, dass die Arbeitszeit sich am Leben orientiert und nicht das ganze Leben der Arbeit untergeordnet werden muss.