Wir traueren um die Gewerkschafterin, Linke und Intellektuelle Sybille Stamm
Sybille Stamm (*24.3.1945 ✝14.12.2023)
Völlig überraschend ist unsere Genossin Sybille Stamm in der Nacht vom 13. Dezember auf den 14. Dezember verstorben. Sie wurde 78 Jahre alt. Wir trauern um eine der profiliertesten linken Gewerkschafterinnen der letzten Jahrzehnte, eine aktive Genossin, um eine aufrechte und mutige Frau. Sie wird uns fehlen.
Sybille Stamm arbeitete nach ihrem Studium in München, wo sie ihren Ehemann Jürgen Stamm kennenlernte. Zunächst war sie in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit beschäftigt, bevor sie zur IGM-Bezirksverwaltung Baden-Württemberg wechselte. Dort arbeitete sie zu Beginn ihrer Tätigkeit noch unter dem Bezirksleiter Franz Steinkühler, dem späteren Vorsitzenden der IG Metall. Der Bezirk war in der Tarifpolitik ein wichtiger und vorwärtstreibender Teil. Ein politischer Höhepunkt ihrer ersten Berufsjahre als Gewerkschafterin war eine gewerkschaftliche Kundgebung im November 1981 gegen soziale Demontage der Schmidt-Regierung. Franz Steinkühler hielt dort eine politische Rede, wie sie heute selten geworden ist und die in der Gewerkschaftsbewegung auch damals Aufmerksamkeit erzielte. Sybille war seine Redenschreiberin.
Als die damalige IG Medien mit ihrem Vorsitzenden Detlev Hensche (der leider einen Tag nach Sybille verstorben ist), ihr die Leitung der Tarifabteilung angeboten hatte, griff sie zu und wechselte die Gewerkschaft. Diese Entscheidung war ein Glücksfall für die Bildung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Sybille war die erste Landesbezirksleiterin des ver.di Landesbezirkes Baden-Württemberg, in dem bei der Gründung 235 000 Gewerkschaftsmitglieder organisiert waren. Ihrer Integrationskraft und politischen Glaubwürdigkeit war es zu verdanken, dass die ver.di-Gründung mit gewerkschaftlicher Aufbruchstimmung verbunden wurde. Baden-Württemberg wurde zu einem kämpferischen, streikintensiven und politisch lebendigen Landesbezirk. Sie war eine Vordenkerin und Kämpferin für Arbeitszeitverkürzung und feministische Gewerkschaftspolitik. Beispielhaft dafür steht der neunwöchige Streik im Jahre 2006 gegen den Angriff auf die Arbeitszeit. Er legte den Grundstein für neue Streikformen und für die Demokratisierung der Arbeitskämpfe.
Bereits 1991 gründete sie zusammen mit linken Gewerkschaftern das Zukunftsforum Gewerkschaften Stuttgart. Ein wichtiges Forum für innergewerkschaftliche Debatten und linke Gewerkschaftspolitik. Sybille war Zeit ihres Lebens Sozialistin und Feministin. So war es folgerichtig, dass sie nach ihrem altersmäßigen Ausscheiden bei ver.di 2007 in die Partei DIE LINKE eingetreten ist. Sie wurde später zur Landessprecherin gewählt und war eine wichtige Mentorin für die heutige Aktive in der Linken in Baden-Württemberg. Nach ihrer Arbeit als Landessprecherin wurde sie in den Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewählt, wirkte dort mehrere Jahre und leistete dort wichtige Beiträge zur Gewerkschaftspolitik, insbesondere zur Arbeitszeitverkürzung und feministischer Politik.
Sybille war nicht nur Gewerkschafterin und Linke, sie war auch Intellektuelle. Es war ein Genuss, ihren Reden zuzuhören, im Saal oder auch bei großen Kundgebungen. Sie war offen für Neues und startete mit großer Begeisterung zahlreiche politische Projekte. Sie engagierte sich bei der Bildungsarbeit unserer Partei und gab ihr Wissen an jüngere Genossen und Genossinnen weiter. Zahlreiche Veröffentlichungen stammen aus ihrer Feder und werden auch von neuen Generationen gelesen und bearbeitet werden. Sie wirkte ehrenamtlich als Richterin im Verfassungsgerichtshof für das Land-Baden-Württemberg.
Sybille war ein offener und neugieriger Mensch. Vorurteile waren ihr fremd. Sie sah in den meisten Menschen, ob in der Gewerkschaft, in der Partei oder anderen Zusammenhängen in erster Linie das Positive. Sie war im besten Sinne des Wortes eine linke Humanistin. Wir trauern zusammen mit ihrem Ehemann, Jürgen Stamm, ihren Freunden und Wegbegleiter*innen um diese beeindruckende Frau. Sie wird uns fehlen.