In vier Schritten zur Vier-Tage-Woche
„Mehr Zeit um Leben, Lieben, Lachen“, forderte die IG Metall 1984 als Teil ihrer Kampagne für die 35-Stunden-Woche in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie. Sechs Wochen lang streiken die Beschäftigten damals, um sich ein Stück Lebenszeit zurückzuholen – mit Erfolg. Die Linke will nun einen Schritt weitergehen und strebt die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für alle Beschäftigten an – auch, weil auf diesem Weg viele Mangelberufe wieder attraktiver werden könnten. Ates Gürpinar, Bundesgeschäftsführer der Partei, stellte die Pläne der Linken für eine umfangreiche Entlastung der Beschäftigten am Montag auf einer Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin vor.
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Eine Vier-Tage-Woche sei ein zeitgemäßer Schritt. Im Jahr 2020 habe der Vorstoß der Linken hierfür noch zu „großer Empörung und Widerstand“ geführt. Vier Jahre später habe sich jedoch eine breite gesellschaftliche Debatte über Arbeitszeitverkürzung und die Vier-Tage-Woche entfaltet. Diese sei heute eine reale Forderung bei Tarifverhandlungen und eine Notwendigkeit, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
„Der Personalnotstand in Krankenhäusern und Pflegeheimen wird immer dramatischer. Viele Beschäftigte sind ausgelaugt und frustriert,“ so Ates Gürpinar. „Zehntausende wechseln jedes Jahr den Beruf und gehen in Teilzeit. Es finden sich immer weniger junge Menschen für Pflegeberufe, denn die Arbeitsbedingungen haben sich herumgesprochen.“
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung habe aber gezeigt, dass 300.000 ehemalige Vollzeitpflegekräfte bereit seien, in ihre alte Beschäftigung zurückzukehren, sofern sie am Arbeitsplatz mit weniger Stress konfrontiert würden. Die Vier-Tage-Woche biete hier eine Chance, dem Mangel an Arbeitskräften zu begegnen und das Berufsbild attraktiver zu machen. Dies gelte auch für andere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge. „Die Bahn und viele Verkehrsunternehmen haben Schwierigkeiten, neue Lokführer*innen oder Busfahrer*innen zu gewinnen.“ Es handle sich um eine Art Teufelskreis, bei dem immer mehr Ausstiege zu einer immer höheren Belastung für die verbleibenden Mitarbeiter*innen führten.
„Auch die Krankenkassen schlagen Alarm“, so Ates Gürpinar. „Immer mehr Menschen macht der Stress auf der Arbeit krank. Deutschland arbeitet sich kaputt. Millionen ziehen die Reißleine und gehen in Teilzeit. Sie müssen dafür erhebliche Lohneinbußen und geringere Renten in Kauf nehmen.“ Die Arbeitszeitverkürzung helfe gegen den Fachkräftemangel, indem sie die Vollzeitbeschäftigung in vielen Bereichen attraktiver mache. „Wir glauben, dass Lindner, Habeck und die Arbeitgeberverbände die Diskussion über die Vier-Tage-Woche falsch führen,“ so der Bundesgeschäftsführer der Linken.
Doch auch in anderen Branchen jenseits der öffentlichen Daseinsvorsorge zeigten positive Erfahrungen aus der privaten Wirtschaft, dass die Vier-Tage-Woche viele Vorteile biete. Hierzu gehörten weniger Krankheitskosten und Fluktuation sowie weniger Produktivitätsverluste durch überlastetes oder hastig eingearbeitetes Personal. Eine Studie aus Großbritannien von über 60 Betrieben bestätige dies. Nach einem halben Jahr Erprobungszeit wollten dort 92 Prozent der Unternehmen freiwillig die Vier-Tage-Woche beibehalten.
Auf der Pressekonferenz stelle Ates Gürpinar ein Programm aus vier Maßnahmen vor, durch die eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich Realität werden kann. Erstens fordert die Linke die Einführung einer Anti-Stress-Verordnung. Sie soll Unternehmen analog zu anderen Gefahrenverordnungen konkrete Vorgaben zum Schutz der psychischen Gesundheit der Beschäftigten machen. Hierdurch soll auch ausgeschlossen werden, dass die Kosten für eine Arbeitszeitverkürzung den Belegschaften durch Lohnverzicht aufgebürdet werden.
Zweitens will die Linke ein Wahlarbeitszeitgesetz einführen, dass den Beschäftigten einen individuellen Rechtsanspruch auf Änderung ihrer Arbeitszeit einräumt. „Ein gesetzliches Recht auf Wahlarbeitszeiten ermöglicht, dass flächendeckend in den Betrieben Arbeitszeitmodelle umgesetzt werden, die an unterschiedliche Lebenssituation angepasst sind“, so Ates Gürpinar. Das Gesetz soll für Unternehmen aller Größen und Branchen gelten, der Situation von kleinen und Mittleren Betrieben soll aber Rechnung getragen werden. Die konkrete Ausgestaltung der erarbeiten Optionen in den jeweiligen Firmen soll Aufgabe der Tarifparteien sein.
Öffentliche Betriebe sollen nach Willen der Linken bei der Vier-Tage-Woche mit gutem Beispiel vorangehen. „Viele Bereiche der öffentlichen Dienstleitung stehen vor dem Kollaps, weil es an Personal fehlt“, mahnt Ates Gürpinar. Die hohe Zahl der Pensionierungen in den kommenden Jahren sei eine gewaltige Herausforderung. „Fachkräfte kommen nur, wenn die Arbeitsbedingungen attraktiv sind.“ Eine Arbeitszeitverkürzung helfe, qualifizierte Mitarbeiter*innen zu binden und neue zu gewinnen. Solche Regelungen hätten auch das Potential, andere Bereiche der Wirtschaft in eine ähnliche Richtung zu beeinflussen: „Die Regierung schafft so einen Standard auf dem Arbeitsmarkt, an der sich auch die private Konkurrenz orientieren muss“, erklärt Ates Gürpinar.
Kleine Unternehmen mit wenig Umsatz und Gewinn will die Linke beim Umstieg auf die Vier-Tage-Woche unterstützen. Hierfür sollen zeitlich begrenzte Lohnzuschüsse gewährt werden. Vorbild ist Spanien, wo die Regierung Firmen mit bis zu 250 Beschäftigten bei der Erprobung der Vier-Tage-Woche fördert.