“Kassandra“ von Christa Wolf
„Schön sagte Arisbe … Und wie steht es mit Dir?“ „Wieso mit mir? An wem ich mich vergangen habe? Ich die Schwache? An all diesen Stärkeren?“ „Wieso hast du sie stark werden lassen?“ Ich erinnere mich noch gut, wie ich beim ersten Mal lesen innerlich gegen diesen Dialog in Christa Wolfs Roman “Kassandra“ rebellierte. Sollte es etwa auch eine Verantwortung dafür geben, was man nicht verhindert hat? Dialoge, die harmlos daherkommen, aber etwas treffen und in Bewegung bringen. Gespräche und Beobachtungen, die an Vertrautem rühren und es doch ganz neu verdichtet formulieren. Das ist typisch für die Werke von Christa Wolf.
Der Roman spielt während des Krieges um Troja. Der angeblich ein Krieg um die schöne Helena war, doch letztlich ging es wohl eher um Handelsrouten. Ein Krieg, der in Homers “Ilias“ seine Würdigung fand. Achill, Odysseus, Menelaos - all die bekannten Helden der griechischen Mythologie treten auch in Wolfs Roman auf. Man trifft dabei Bekanntes aus der Sagenwelt und doch werden ihre Geschichten neu interpretiert. Wahrhaft Heroisches findet hier jedoch jenseits des Schlachtfeldes statt – vor allem in der Gemeinschaft von Frauen. Bei aller inneren Verhärtung der Gesellschaft angesichts des jahrelangen Krieges, trotz aller inneren Mobilmachung hinter den scheinbar unbezwingbaren Mauern von Troja, bilden sich Refugien der Gemeinschaft, des Füreinanderdaseins. Hier ist Glück erlebbar, auch für die Titelheldin Kassandra, ja sogar Liebe. Christa Wolf praktiziert hier feministische Aneignung eines antiken Stoffes auf eine Art, die noch die Ausgangsgeschichten erhöht und die Lesefreude steigert.
Die Autorin selbst sagte eins: “Seit ich über Kassandra gearbeitet habe, ist mir ganz klar, dass die die Geschichte des Patriarchats die Geschichte der Frauen aus der Mythologie umgeformt hat.“ Dass man als Leserin um das Ende, also um die Vernichtung Trojas, weiß, nimmt der Geschichte nichts an Spannung. Das liegt natürlich auch an der Sprachgewalt von Christa Wolf. Insofern will ich mich gar nicht auf ein Werk reduzieren. Meine Antwort auf die Frage, was ich als Lektüre für den Sommerurlaub empfehle, lautet deshalb: Bücher aus der Feder von Christa Wolf. Wer Wert auf Sommerstimmung legt, wird spätestens in ihrem Buch “Sommerstück“ fündig.