Was tun mit Twitter & Co?
Social-Media-Konzerne wie Twitter besitzen mittlerweile soviel Macht, dass sie unsere Kommunikation kontrollieren können. Deshalb brauchen wir demokratisch legitimierte Regeln, damit die Macht der Konzerngiganten eingehegt und das Recht auf demokratische Teilhabe gewährleistet wird.
Es begann mit einem Tweet, und zwar mit meinem. Nachdem Twitter und Facebook die Accounts vom scheidenden US-Präsidenten Donald Trump sperrten, wollte ich mich der Freude um diese längst überfällige Reaktion nicht so recht anschließen. Ich twitterte, dass es nicht die Sache von Tech-Konzernen sei, darüber zu entscheiden, was gesellschaftlich vertretbar ist und was nicht und wer dementsprechend auf ihren Plattformen toleriert wird. Ich bin davon überzeugt, dass das auf demokratischem Wege geregelt werden müsse. Mein Tweet löste in den Kommentaren eine breite Debatte über das Pro und Contra solcher Maßnahmen aus, die das typische Raster von konservativen, liberalen oder linken Argumentationsmustern verließen. Während viele Linke die Sperrung von Donald Trump begrüßten, kritisierten viele Liberale oder Konservative den Eingriff von Twitter. Aber es gab auch Stimmen aus allen Lagern, die es genau andersrum sahen. Ich begann also, mein eigenes Urteil neu zu hinterfragen.
Trump ohne Plattform - Genugtuung und Sorge zugleich
Warum fiel es mir so schwer, mich darüber zu freuen, dass einem der einflussreichsten Vertreter der neuen Rechten die Plattform entzogen wurde? Auf der einen Seite spürte ich Genugtuung darüber, dass Donald Trump endlich den Zugang zu seinem wesentlichen Kommunikationsmedium verlor. Wie kein anderer Politiker vor ihm, hat er die sozialen Medien genutzt, um seine Meinungen zu verbreiten. Viele seiner Tweets standen aufgrund falscher, aggressiver oder rassistischer Aussagen in der Kritik. Ob Beleidigungen gegen Journalisten, praktische Hinweise zur Eindämmung von Waldbränden („Finland … they spent a lot of time on raking and cleaning and doing things. And they don’t have any problem.”), falsche Zahlen zur Kriminalität oder Drohungen mit einem atomaren Raketenabschuss – die Welt durfte Anteil haben an gefühlt jedem Ausfall des US-Präsidenten. Kein Präsident vor ihm hatte diese Reichweite. Ja, auch ich habe mir sicher lange gewünscht, dass endlich jemand Trump den Zugang wegnimmt, was mich zum folgenden Punkt brachte: Warum sperren Twitter und Facebook Trumps Account erst jetzt, wo er kurz davor steht sowieso abzutreten? Auch wenn die Gewalt beim Sturm auf das Capitol und der Tod von mehreren Menschen die Welt bewegt hat. Es ist nicht die erste gewaltvolle Folge von Trumps jahrelangen Tiraden gegen Schwarze, Frauen und andere gesellschaftlich Marginalisierte. Jedes Amtsenthebungsverfahren gegen ihn habe ich begrüßt.
Konzernchefs ohne demokratische Kontrolle
Auf der anderen Seite fröstelt es mich bei dem Gedanken, dass die Chefs privatwirtschaftlicher Tech-Giganten jenseits jeglicher demokratischer Kontrolle so viel Macht besitzen, dem Präsidenten der USA den Saft abzudrehen. Keine Frage, jede und jeder sollte den Fake News, den Angriffen gegen People of Colour oder gegen Journalisten widersprechen und ja, private Unternehmen haben auch das Recht, über ihre AGB zu entscheiden. Auf dem freien Markt, auf dem sich die Produzenten als freie Warenhändler gegenüberstehen, gehört das dazu. Aber was ist, wenn Twitter und Facebook schon längst nicht mehr nur zwei Anbieter auf einem weit größeren Markt, sondern bereits der Markt selbst sind? Bisher werden Facebook & Co. nach dem Kartellrecht nicht als Monopole behandelt. Digitalkonzerne, die ihre Betriebssysteme als Standard durchsetzen, um anschließend Anwendungen, Innovationsgeschwindigkeiten und sogar Inhalte zu bestimmen, müssen daher endlich zu einem Fall für das Kartellamt werden.
Erst Trump, jetzt auch linke Projekte
Wenn sich liberale und konservative Stimmen nun auf das Recht der freien Rede und die Meinungsfreiheit berufen, sollte auch das einmal hinterfragt werden. Die Freiheit, die es ja im Prinzip zu verteidigen gilt, ist eben auch jene Freiheit, die genommen wird, wenn Konzerne so viel Macht kumulieren, dass sie unsere Kommunikation kontrollieren können – und dürfen. Auf der anderen Seite sollten sich Linke davor hüten, sich vorschnell über die Kontrolle durch Twitter und Facebook zu freuen. Erst traf es Trump. Inzwischen sind auch kleinere linke Projekte betroffen.
Es ist ja in der Sache begrüßenswert, dass die Firmenchefs von Twitter und Facebook heute bewiesen haben, dass sie Fake-News und rechte Hetze wie von Donald Trump verbreitet, nicht dulden. Aber wo beginnt das nicht Nicht-Dulden und wo hört es auf? Auch hier wird es zwiespältig. 2018 stellte die UN nach einer Untersuchungskommission formell fest, dass Facebook wesentlich zur Vertreibung von und den Verbrechen an der muslimischen Minderheit der Rohingya in Myanmar beigetragen hat. Erst nach dieser Kritik sperrte Facebook den Account des myanmarischen Militärchefs.
Zugleich müssen wir anerkennen, dass soziale Medien auch wesentliche Katalysatoren von demokratischen Prozessen sein können. Man kann sogar sagen, dass im digitalen Zeitalter jede Abschüttelung einer autoritären Herrschaft auch mit dem freien Zugang zum Internet beginnt. Die eindrucksvollen Protestbewegungen des Arabischen Frühlings liegen in diesen Tagen 10 Jahre zurück. Damals haben Onlinedienste wie Facebook und Twitter wesentlich zur Mobilisierung gegen Ägyptens Präsident Hosni Mubarak beigetragen. Die sozialen Medien entrissen der manipulativen Staatspropaganda fast aller arabischer Regime das Meinungsmonopol und demokratisierten bis heute die politische Kultur in der Region in entscheidender Weise.
Was tun?
Was also ist zu tun? Ganz sicher brauchen wir eine mehrdimensionale Agenda für eine digitale wie soziale Demokratie, die mit Steuern, Ordnungsrecht, Datenschutz, Transparenzpflichten und Kartellämtern insgesamt dafür sorgt, dass die Macht der Konzerngiganten eingehegt und das Recht auf demokratische Teilhabe gewährleistet wird. Ähnlich wie in den 1930er Jahren, als es dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt gelang, den entfesselten Industriekapitalismus wohlfahrtsstaatlich einzuhegen, stehen wir heute vor der Aufgabe, die digitalen Tech-Giganten wieder in den Prozess der demokratischen Willensbildung einzubinden.
Wer nun aber meint, dafür brauche es nur ein entsprechendes Gesetzespaket, sollte auch Bedenken, dass es nicht nur die Gefahr einer unkontrollierten Hetze in den Online-Diensten gibt, sondern gleichermaßen in jeder Regel auch die Gefahr einer politisch motivierten staatlichen Zensur schlummert. Der türkische Präsident Erdoğan hat unlängst, übrigens mit einer aus Wahlen hervorgegangenen Parlamentsmehrheit, neue Mediengesetze verfügt, mit denen Twitter, Facebook und andere soziale Medien künftig schärfer kontrolliert werden. Die Internet-Plattformen sind jetzt verpflichtet, innerhalb von 48 Stunden auf Anfragen zur Aufhebung oder Änderung bestimmter Inhalte zu reagieren, andernfalls drohen hohe Geldstrafen oder ihre Dienste werden eingeschränkt.
Deutschland ist ein Rechtsstaat, aber aus prinzipiellen Erwägungen wäre mir dennoch unwohl, wenn eine Bundestagsmehrheit jetzt beschließen würde, was künftig im Internet geschrieben und gesagt werden dürfte. Ich plädiere daher vielmehr dafür, eine tatsächliche gesellschaftliche Auseinandersetzung zu beginnen, die die Sperrung der Twitter- und Facebook-Accounts von Donald Trump erneut zum Anlass nimmt, um sich über das Wesen einer demokratischen Debatte zu verständigen. Ein Spannungsverhältnis wird bleiben. Das Grundgesetz kannte in seiner Entstehungszeit weder die Tücken noch die Chancen des Internets. Es ist also die Aufgabe unserer Generation dafür zu sorgen, wie die Meinungsfreiheit, das Recht auf Schutz vor übler Nachrede und die Grundsätze des Presserechts im digitalen Zeitalter neu ins Lot gebracht werden können.
Dieser Artikel erschien in gekürzter Form auch in der Tageszeitung "Die Welt".