"Das ist keine digitale Demokratieshow!"
Am 26. und 27. Februar wird DIE LINKE ihren ersten Parteitag vollständig online abhalten. Marcus Boës ist als Koordinator für den digitalen Parteitag zuständig und derzeit mächtig im Stress. Im Gespräch mit "Links bewegt" erklärt der gebürtige Thüringer, warum sich die Delegierten keine Sorgen über Geheimhaltung und rechte Hacker machen müssen.
Erstmals wird DIE LINKE auf einem digitalen Parteitag eine neue Führungsspitze wählen. Bist Du schon nervös?
Marcus Boës: Klar, ich bin ein bisschen nervös. Aber wer ist nicht nervös, wenn er vor neuen Aufgaben steht? Es ist technisch etwas Neues, was wir hier machen. Man kann nicht komplett auf eingeübte Abläufe bauen, die wir alle kennen. Aber wir haben in den letzten Wochen alles getan, um die Abläufe eines normalen Präsenz-Parteitags in ein digitales Umfeld zu übertragen. Wir gehen gut vorbereitet in das neue Format.
Also Ihr organisiert einen richtigen Parteitag: mit Tagungspräsidium, Abstimmungen und Reden?
Ja, wir machen einen richtigen Parteitag. Im Gegensatz zu anderen Parteien, die aus ihrem Parteitag eine Demokratieshow gemacht haben, werden wir zeigen, dass Demokratie auch digital geht. Anders als die CDU werden wir einen echten Parteitag mit echten Delegierten durchführen. Leidenschaftliche Debatten und kontroverse Anträge inklusive.
Wie macht Ihr das konkret?
Der Aufbau ist dem eines Präsenzparteitages ähnlich; nur ohne Teilnehmende. Wie auf einem Präsenzparteitag wird es auch während eines digitalen Parteitages Abstimmungen, Reden und ein Tagungspräsidium geben. Dieses wird in Berlin in der Station sitzen. Vor Ort befindet sich ein großer Bühnenaufbau. Der digitale Parteitag zeigt aber auch: Wir sind in schwierigen Zeiten handlungsfähig! Wir können allen beweisen, dass wir eine Digital-Partei sind, Digitalisierung können. Das wird uns Mut machen.
Aber dass der Austausch und die Begegnung untereinander fehlt, ist doch ziemlich schade.
Ja, sicher. Mal einfach so zu einer oder einem Delegierten gehen, den oder die man kennt, um Hallo zu sagen, geht natürlich nicht. Aber ich bin mir sicher: Die Delegierten werden sich untereinander in Chatgruppen austauschen.
Wird der Parteitag in voller Länge für alle Interessierten übertragen?
Ja. Der Parteitag wird auf YouTube und auf unserer Website als Livestream vollständig übertragen und kann dort verfolgt werden. Zudem werden unsere Social-Media-Kanäle laufend mit Inhalten gefüllt. So werden wir auch auf Twitter und Facebook die wichtigsten Momente übertragen.
Und wie nehmen die stimmberechtigten Delegierten teil?
Sie bekommen ein Passwort und wählen sich auf einer gesonderten Website ein. Alle Teilnehmenden haben personalisierte Zugangsdaten erhalten. Nur mit diesen ist es möglich, aktiv am Parteitag teilzunehmen und sich auf der Webseite anzumelden. Das ist wie bei einem richtigen Parteitag. Ohne Einlasskarte kein Zugang zur Halle.
Was für eine Software nutzt Ihr?
Wir nutzen eine spezielle Software-Lösung, sie ist Antragsverwaltungssoftware, Livestreamsoftware und Videokonferenzsoftware in einem. Für die Delegierten passiert alles auf einer Webseite: Man sieht den Livestream und dann gibt es die Möglichkeit, sich auf eine Redeliste zu setzen und, wenn man dran ist, per Videokonferenz zu Wort zu melden. Eine Techniker:in prüft Mikro und Kamera und dann geht es live in die Halle nach Berlin.
Die Abstimmungen erfolgen dann auch per Knopfdruck bzw. Mausklick?
Ja, Abstimmungen und Wahlen sind voll digital. Ein Druck auf den Button genügt. Damit man sich nicht vertippt, ploppt nach jedem Klick ein Fenster auf mit einer zusätzlichen Bestätigungsabfrage: „Bist Du Dir sicher?“. Das muss man nochmal bestätigen. So kann niemand versehentlich abstimmen.
Sind die Wahlen auch im Netz noch geheim?
Ja, Sicherheit und Wahlgeheimnis sind gewahrt. Wenn die Delegierten abstimmen, sehen wir nur, dass abgestimmt wurde, aber nicht wofür sich die Delegierten entschieden haben. Ähnlich wie beim Präsenzparteitag, wenn Delegierten zur Urne gehen und dort Wahlzettel einwerfen. Alle sehen zwar, dass jemand abgestimmt hat, doch ist ja so nicht ersichtlich, für wen oder was hier votiert wurde. Wir haben auch keine technische Möglichkeit der Rückverfolgung.
Die Software spuckt dann die Ergebnisse aus?
Ja, das wird softwareseitig dann erfasst und ausgewertet.
Wie stellt Ihr sicher, dass tatsächlich nur die stimmberechtigten Delegierten abstimmen?
Über zwei Mechanismen: die Bestätigung der Anwesenheit und die Zuweisung von Nutzerrechten. Die Delegierten haben personalisierte Zugänge. Mit diesen loggen sich ein und müssen zu Beginn der Veranstaltung ihre Anwesenheit bestätigen. Das ist vergleichbar mit dem Betreten einer Konferenzhalle und der anschließenden Anmeldung am Eingang. Hierdurch können wir genau sagen, wer sich morgens zu Beginn des Parteitages angemeldet hat. Nur mit aktiver Bestätigung der Anwesenheit, bekommen die Teilnehmenden Zugriff auf Funktionen wie Abstimmungen, Wahlen und Wortmeldungen.
Weiterhin sind an die Zugänge der Teilnehmenden bestimmte Gruppennutzerrechte geknüpft. Diese definieren klar, wer was darf und worauf man Zugriff hat. Kommt es zu seiner Abstimmung, stellen wir das System so ein, dass nur stimmberechtigte Delegierte abstimmen dürfen. Alle weiteren Teilnehmer:innen sind davon ausgenommen und können nicht an Abstimmungen oder Wahlen teilnehmen.
Wenn Delegierte eine Abstimmung verpassen, können sie dann später noch abstimmen?
Nein, die Abstimmungen sind dann geschlossen. Es gibt einen Countdown, der für alle sichtbar eingeblendet ist. Wenn der Countdown abgelaufen ist, wird der Wahlgang beendet. Aber auch das ist wie auf einem realen Parteitag: Wer sich gerade nicht in der Halle befindet, kann auch nicht abstimmen.
Was machen eigentlich Genoss:innen, die einen langsamen Internetzugang haben? Gibt es da Hilfsangebote?
Es geht ja nicht nur um schlechte Internetverbindungen. Es kann ja sein, dass jemand keinen Zugang zu einem PC oder Laptop hat oder vor Ort Hilfe benötigt. Um alle Fälle abdecken zu können, haben wir mit den Landesgeschäftsstellen vereinbart, dass die Probleme individuell vor Ort gelöst werden. Einige Kreisgeschäftsstellen haben schon zurückgemeldet, dass sich dort Delegierte einfinden werden, um den Parteitag dort zu verfolgen.
Nun ist die Software zwar denkbar einfach strukturiert. Trotzdem hat niemand zuvor Erfahrungen mit ihr sammeln können. Gibt es Probeabläufe für die Delegierten?
Wir haben bereits drei Proben mit ca. 330 Teilnehmer:innen absolviert. Die Resonanz war gut. Die kleinen und größeren Probleme konnten schnell gelöst werden. Für uns war das auch eine Rückversicherung, um zu sehen, wie funktioniert das mit den Delegierten und mit unserem Support. Was viele bis dahin nicht wussten: Es gibt ein Support-Team mit 20 Mitarbeiter:innen, die sind per Telefon und E-Mail erreichbar, um den Delegierten auch während des Parteitags zu helfen. An diesem Montag findet um 19.00 Uhr übrigens eine weitere Probe statt.
Ist Eure IT-Infrastruktur sicher vor rechten Hackern?
Wir haben zusätzlich spezielle Sicherheitshürden in die Serverinfrastruktur eingezogen. Die Online-Parteitag-Webseite ist gegen Hacker und Angriffe mit speziellen, redundanten Servern bestmöglich abgesichert. Wie aber jeder weiß, ist hundertprozentiger Schutz unmöglich, aber wir sind sehr nah dran!