Solidarität ist mehr als ein Wort
Am 18. November entscheidet der Bundestag über das Infektionsschutz-Gesetz. Die Linksfraktion wird dem Gesetzesvorhaben der GroKo nicht zustimmen, auch ich werde als Bundestagsabgeordneter mit Nein stimmen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: In dieser Pandemie-Krise sind es schwierige Abwägungen, wenn es um den Schutz der Gesundheit und die Wahrung anderer Grundrechte geht. Angesichts der Entwicklung der Infektionszahlen in den letzten Wochen, chronisch überlasteter Pflegekräfte und einer sich abzeichnenden Überlastung der Intensivstationen sind konsequente Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie notwendig. Daran haben wir als LINKE nie Zweifel gelassen. Denn es sind letztlich die Pflegekräfte in den Krankenhäusern und die vielen Menschen mit gesundheitlichen Risiken, die den Preis für eine ungebremste Ausbreitung des Corona-Virus zahlen.
An die Adresse von Corona-Leugnern und Masken-Gegnern, die mit Beteiligung rechtsextremer und reaktionärer Organisationen zum Sturm auf den Bundestag aufrufen, sagen wir: Dieser Protest hat nichts mit dem Schutz der Demokratie zu tun, sondern ist ein Angriff auf alle, die sich eine wirklich demokratische und solidarische Gesellschaft wünschen!
Wenn Grund- und Freiheitsrechte und das gesellschaftliche Leben eingeschränkt werden, muss dies nicht nur wissenschaftlich gut begründet werden. Solche Maßnahmen müssen außerdem einsichtig und verhältnismäßig sein. Sie sollten im Dialog mit der Bevölkerung statt über ihre Köpfe hinweg entwickelt werden. Sie müssen ständiger demokratischer Kontrolle unterliegen und mit kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen, mit Gewerkschaften und Sozialverbänden diskutiert werden. Das ist unter dem Zeitdruck nicht immer sofort möglich. Der Bundesregierung fehlt aber jeder Wille dazu. Die Maßnahmen zur Eindämmung werden seit Monaten ohne eine langfristige Strategie und ohne eine hinreichende Kontrolle durch den Bundestag und die Landesparlamente von einer Runde des Kanzleramts mit den Landeschefs getroffen.
Das Gesetz hebelt auch den Arbeitsschutz aus
Das Infektionsschutz-Gesetz ist hoch problematisch, da es dem Gesundheitsminister gestattet, über Gesetze hinweg zu gehen. Dazu gehört zum Beispiel auch das Arbeitsrecht. Schutz gegen überlange Arbeitszeiten und Überlastung sowie betrieblicher Gesundheitsschutz müssen gerade in Zeiten der Pandemie groß geschrieben werden! Vor diesem Hintergrund ist es völlig fahrlässig, dass Gesundheitsminister Spahn letzte Woche vorgeschlagen hat, auch Pflegekräfte, bei denen ein Infektionsverdacht vorliegt, weiter einzusetzen. Das ist ein Himmelfahrtskommando, mit dem das Leben von Pflegenden wie von Patientinnen und Patienten riskiert wird! Es ist die Bundesregierung, die den Personalmangel und Pflegenotstand durch eine neoliberale Sparpolitik und Profitorientierung im Gesundheitssystem zu verantworten hat. Und es ist Jens Spahns Verantwortung, dass jetzt in der zweiten Welle der Pandemie immer noch über 100.00 Pflegekräfte fehlen.
Die Eindämmung der gefährlichen Pandemie funktioniert nur, wenn die Maßnahmen von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt werden. Diese Akzeptanz darf nicht durch unverhältnismäßige und kurzsichtige Entscheidungen und durch einen Mangel an demokratischer Kontrolle aufs Spiel gesetzt werden. Die Maßnahmen haben immer mehr eine Schieflage bekommen: Während sich in den Fabriken und Werkshallen oft hunderte Beschäftigte begegnen, dürfen sich die Menschen nach der Arbeit nicht einmal mehr in kleinster Runde mit Abstand treffen. Wenn Restaurants und Kultureinrichtungen trotz Hygienekonzepten geschlossen werden, aber große Möbelhäuser, Shopping-Malls und Fleischfabriken offen bleiben, entsteht Unverständnis. Wenn jetzt aber darüber diskutiert wird, ob sich Jugendliche nur noch mit einer Freundin oder einem Freund treffen dürfen, während die Busse zur Schule weiter überfüllt sind, wachsen die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit. Der zweite Lock-down wäre möglicherweise vermeidbar gewesen, wenn die Bundesregierung frühzeitig, also bereits im Sommer und wie von der LINKEN gefordert, bundesweit einheitliche Regelungen für Infektionsschutzmaßnahmen durchgesetzt und dabei auch die „Hot Spots“ in der Fleischindustrie, in Logistik-Zentren und Sammelunterkünften in den Blick genommen hätte. Seit Wochen warten wir auch vergebens darauf, dass endlich mehr Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen für den Schulbetrieb unter Corona-Bedingungen eingestellt und die Schulen mit professionellen Luftfilteranlagen ausgestattet werden.
Der Lock-Down stürzt immer mehr Menschen in existenzielle Nöte
Die Bundesregierung appelliert an die Solidarität der Menschen. Die Bereitschaft zu solidarischem Handeln lässt sich aber nicht einfach verordnen. Solidarität wird nur dann gestärkt, wenn niemand fürchten muss, durch die Infektionsschutzmaßnahmen in existentielle Nöte gestürzt zu werden. Wenn niemand Angst vor Arbeitslosigkeit und Massenentlassungen, vor Überschuldung oder Verlust der Wohnung haben muss. Die Bundesregierung hat aber keinen Plan, wie wir durch diese Pandemie-Krise kommen. Ihre Politik verschärft die soziale Spaltung. Der zweite Lockdown stürzt immer mehr Menschen in existentielle Nöte. Etwa ein Drittel der Beschäftigten hat Einkommensverluste zu beklagen – und sogar jeder Zweite mit einem Monatseinkommen unter 1300 Euro. Die von den Maßnahmen und der Wirtschaftskrise Betroffenen müssen endlich aufgefangen und abgesichert werden!
Als DIE LINKE machen wir weiter Druck für konsequenten Gesundheitsschutz, mehr Personal in Krankenhäusern, Pflege und Schulen - und für einen sozialen Schutzschirm ohne Löcher. Solidarität bedeutet in dieser Krise: Niemanden zurücklassen und die Multi-Millionäre an der gerechten Finanzierung der Krisenlasten beteiligen.