„Ich will Oma wieder sehen!“
Menschen in Alten- und Pflegeheimen leiden doppelt unter Corona: Sie sind besonders gefährdet und die Isolation trifft sie besonders hart. Im Alltag werden ihnen durch die Besuchsverbote die schönsten Momente genommen: der Besuch von Angehörigen und Freunden. Da wir nicht wissen, wie lange Corona noch unseren Alltag bestimmen wird, muss diese unhaltbare Situation nicht nur für sie, sondern auch für ihre Ehe- und Lebenspartner*innen, Kinder, Enkel und Freund*innen dringend und vor allem schnell geändert werden. Millionen Fernsehzuschauer konnten miterleben und mitfühlen wie der 84-jährige Rentner Alfons Blum darunter litt, dass er seine an Demenz erkrankte Frau seit zwei Monaten nicht im Pflegeheim besuchen durfte. Er wurde von Demonstranten niedergebrüllt, als er einem Fernsehteam unter Tränen seine verzweifelte Situation auf einer der sogenannten Hygienedemo in Gera schilderte.
Es bedarf dringend der Umsetzung von Konzepten, die Besuche ermöglichen, ohne alte und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen in Gefahr zu bringen. In der Praxis ist dies auf Grund der Versäumnisse der Vergangenheit schwierg: Schon vor Corona waren die Altenpfleger*innen überlastet. Schlechte Arbeitsbedingungen, vor allem massiver Personalmangel und schlechte Löhne bringen viele an ihren Grenzen. Sie müssen sich bei der Pflege oft auf das absolut Notwendige beschränken, obwohl sie wissen, dass die Menschen eigentlich noch viel mehr an Zuwendung, Fürsorge und menschliche Wärme bräuchten. Doch für alles andere fehlt die Zeit. Durch die Coronapandemie und die damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen hat sich die Lage und die Arbeitsbelastung in den Heimen sogar noch verschärft. Gerade Menschen mit Demenzerkrankungen sind oft verstört, die Unterstützung durch Angehörige im Alltag fällt völlig weg. Die Einrichtungen haben in der Regel kaum Ressourcen frei, um Besuche unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes sorgfältig vorzubereiten und durchzuführen.
Deshalb sollte die Bundesregierung nach dem Motto: „Kaffee mit Oma? Na klar!“ in jedem der rund 12.000 Alten- und Pflegeheime in Deutschland mindestens eine Stelle für Besuchslotsen schaffen. Besuchslotsen sollen dafür sorgen, dass Besuche in den Heimen sicher ablaufen. Zu ihren Aufgaben gehört es, den Familienangehörigen und Pflegebedürftigen zu erläutern, worauf sie hinsichtlich des Infektionsschutzes besonders achten müssen, für einen Kaffee im Garten Sitzgelegenheiten vorzubereiten, die Tische zu desinfizieren und für die kommenden kälteren Monate nach kreativen Lösungen für sichere Besuche suchen. Das können beispielsweise Räume mit Trennfolien oder –wänden, eine besonders effektive Belüftung, zeitliche Begrenzungen oder gut angepasste medizinische Masken sein.
Es gibt zahlreiche Menschen im Veranstaltungsbereich, der Kulturpädagogik oder in der Tourismusbranche, die wegen Corona in ihrem eigenen Beruf schon seit Monaten nicht mehr arbeiten können und zudem völlig unklar ist, wann sie dazu wieder in der Lage sein werden. Sie müssen keine gelernten Pflegekräfte sein, aber sie sollten sensibel sein und Freude am Umgang mit Menschen haben. Ihnen könnte man in der Corona-Zeit gezielt einen vorübergehenden Einsatz als Besuchslotse anbieten - nach einem kurzen Lehrgang zum Infektionsschutz und einer Einführung in die Alterspädagogik.
Natürlich kosten die Weiterbildung in Infektionsschutz, deren laufende Anpassung an den aktuellen Forschungsstand und der Lohn der Pflegelotsen Geld. Zudem müsste den Lotsen in den Heimen finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, um die jeweiligen Treffen durchzuführen. Doch wir werden in den kommenden Monaten und vielleicht auch Jahren damit rechnen müssen, dass wir Menschen und Einrichtungen finanziell stärker staatliche unterstützen müssen, die besonders hart von Corona betroffen sind. Was für die Lufthansa und für die Gastronomie gemacht wurde, muss auch für soziale Kontakte von Menschen in Alten- und Pflegeheimen möglich sein. Gerade für sie – aber auch für die ganze Gesellschaft - sind soziale Beziehungen und emotionale Ansprache lebenswichtig. Dafür sollte ein Härtefallfonds eingerichtet werden.
Hinzu kommt, dass die Pflegefinanzierung nicht richtig funktioniert. Pflegebedürftigkeit heißt heute für viele Menschen Armut und Schuldenfalle. Das System der Pflegefinanzierung muss grundlegend geändert werden und soziale und emotionale Versorgung als Bestandteil der Pflege mitgedacht werden. DIE LINKE fordert eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle Leistungen beinhaltet. Dafür zahlen alle ein, auch Politiker, Beamte und Selbstständige.