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Wer in Deutschland die Europäische Linke stärken will, wählt die Linke

Walter Baier ist der Spitzenkandidat der Europäischen Linken bei der Europawahl am 9. Juni. Der Österreicher geht somit auch für die Linke ins Rennen um das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission. Ein Interview.

Walter Baier bei der Auftaktveranstaltung zu den Europawahlen in Ljubljana

Du bist der Spitzenkandidat der Europäischen Linken (EL), deine Chancen gewählt zu werden sind jedoch sehr gering. Wie kam es dazu? Ist es nicht nachteilhaft, wenn der Spitzenkandidat keine realistischen Chancen hat?

Bei der Spitzenkandidatur geht es um den Posten des Präsidenten oder der Präsidentin der Europäischen Kommission. Dass der/die Spitzenkandidat*in der stärksten Fraktion im Europaparlament diese Position besetzen soll, steht nicht im Lissabonner Vertrag, sondern geht auf eine Einigung unter den Parteien zurück. Und ja, es ist nicht wahrscheinlich, dass die Linke die stärkste Fraktion im Europaparlament bilden und den Kommissionspräsidenten stellen wird.

Trotzdem ist wichtig, dass die Linke sich im Wahlkampf hörbar macht, zum Beispiel in der von der Eurovision europaweit übertragenen Vorwahldebatte, an der die Spitzenkandidat*innen der anderen Parteien, unter anderen Ursula Von der Leyen teilnehmen werden. Die Genoss*innen, die ihre Parteien auf unserer Generalversammlung Ende Februar in Ljubljana vertreten haben, haben mir diese Aufgabe anvertraut, und ich werde mich bemühen, einen guten Job abzuliefern.

Mit welchen Themen wird die EL europaweit in den Wahlkampf gehen?

Auf unserer Generalversammlung haben wir einstimmig ein politisches Manifest beschlossen. Jedes der zehn Kapitel besteht aus einem kurzen Abschnitt mit prinzipiellen Überlegungen und aus einem mit politischen Vorschlägen. Im Mittelpunkt stehen die Krise der Lebenshaltungskosten, die ökologische Transformation und der Friedenserhalt. Unser Ausgangspunkt ist, dass immer mehr Menschen durch die steigenden Lebenshaltungs- und Wohnungskosten in Not und Bedrängnis geraten.

Wie kann dabei die Politik und vor allem die europäische Politik helfen? Denn jedes Land hat seine eigene Bedingungen. Müssen, z.B., das Problem der hohen Lebenshaltungs- und Wohnungskosten nicht national gelöst werden?

Natürlich bleibt der nationale Regelrahmen relevant. Aber die EU-Ebene kann oder besser gesagt, muss helfen. Wir fordern beispielsweise, dass das Recht auf leistbares Wohnen im EU-Primärrecht verankert wird. Daraus würde folgen, dass die EU in einer Direktive die Staaten verpflichtet, gesetzliche Mietzinsobergrenzen festzulegen. Wir verlangen darüber hinaus die Einrichtung eines europäischen Fonds, der den Kommunen oder auch Genossenschaften Kredite zu Nullzinsen für sozialen Wohnbau zur Verfügung stellt. Ein solcher Ansatz steht im Gegensatz zur Wiederbelebung der Austeritätspolitik, die der EU-Rat und die Mehrheitsfraktionen im Europaparlament mit den neuen Fiskalregeln, die ja im Wesentlichen die alten sind. Hier muss die Politik und die EU-Politik helfen, Schaden abzuwenden und die endgültige Abschaffung des Stabilitäts- und Wachstumspakts erreichen.

Auf dieselbe Weise gehen wir an die Just Transition heran: Gemeinsam mit den Europäischen Gewerkschaften fordern wir eine Direktive, die die Staaten verpflichtet, beim Übergang zur ökologischen und digitalen Wirtschaft die Interessen der Beschäftigten und der gesamten Bevölkerung zu schützen.

Wie will die Europäische Linke die ökologische Transformation voranbringen?

Europa ist der sich am raschesten erwärmende Kontinent. Deswegen ist der Übergang zu einer de-karbonisierten und ökologischen Ökonomie dringend nötig. Wir sind dagegen, dass er zulasten derjenigen geht, die bereits heute sozial benachteiligt sind. Der ökologische Übergang muss so konzipiert sein, dass kein Mann und keine Frau zurückbleibt. Zahlen sollen diejenigen, die an der Zerstörung der Umwelt profitiert haben und weiter profitieren, die Konzerne und die Finanzindustrie. Wir brauchen neue, grüne Arbeitsplätze. Arbeitende, deren Jobs in der Transformation verloren gehen, müssen sozial abgesichert werden, Umschulungs- und Weiterbildungsangebote müssen ihnen neue berufliche Möglichkeiten öffnen. Dabei kann die EU eine Schlüsselrolle einnehmen spielen, weil die dazu notwendigen Investitionssummen und Planungsprozesse den nationalstaatlichen Rahmen überschreiten müssen.

Das alles bliebe hypothetisch, wenn der Frieden nicht erhalten werden kann.

Walter Baier und Catarina Martins vom portuguiesischen Bloco de Esquerda auf der Demonstration zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution in Lissabon.

Allerdings. Alle Parteien in der EL waren sich in der Verurteilung der russischen Aggression in der Ukraine einig. Nach 500.000 Toten, hunderten zerstörten Städten und Dörfern und Millionen Menschen auf der Flucht sollte jedem und jeder klar sein, dass auf dem Schlachtfeld keine Lösung gefunden werden kann. Wir fordern daher Diplomatie und Politik zur Beendigung des Krieges, Verhandlungen, eine Feuereinstellung und einen Rückzug der russischen Truppen.

Dasselbe sagen wir zum Krieg in Israel/Palästina, der sich mit jedem weiteren Tag in einen, die Region verschlingenden Flächenbrand verwandeln kann. Wir haben das von der Hamas verübte Massaker vom 7.Oktober verurteilt, und wir verurteilen heute die Kriegsverbrechen, die die israelische Armee im Gaza verübt. Israeli lives and Palestinian lives matter – equally! Es darf keine Doppelstandards geben. Es ist schlichtweg unaufrichtig, wenn die Vertreter*innen der EU Israel zur Mäßigung aufrufen, während sie andererseits die Waffen liefern, mit denen das Gemetzel im Gaza fortgesetzt wird. Auch in diesem Konflikt geht es darum, die Waffen zum Schweigen zu bringen und den Weg zu einer politischen Lösung zu öffnen, die zu einem selbstbestimmten und lebensfähigen Staat der Palästinenser*innen und zu einer nachhaltigen Sicherheit für Israel führen muss.

Wie realistisch sind die Chancen in absehbarer Zukunft eine diplomatische Lösung zum Krieg in der Ukraine zu finden?

Ich trau mich nicht, eine Prognose zu stellen, wann dieser Krieg enden wird. In unserem Manifest fordern wir von der EU, sich dafür mit politischen und diplomatischen Mitteln einzusetzen. Wenn sie sich nicht selbst dazu aufraffen kann, sollte sie wenigstens Initiativen von dritter Seite wie die des Vatikans oder des brasilianischen Präsidenten Lula für einen Waffenstillstand, unterstützen. Die Waffenlieferungen sind vor allem für die Waffenindustrie vorteilhaft, sie stellen aber keinen Ersatz für politische Initiativen zur Beendigung des Kriegs dar. Eine weitere Eskalation zu verhindern, liegt nicht nur im Interesse der Völker der Ukraine und Russlands, sondern ganz Europas.

Ein verhandelter Frieden in der Ukraine könnte darüber hinaus den Beginn eines europäischen Tauwetters darstellen. Wir machen uns zu wenig die Gefahr klar, die von den in Europa stationierten und einsatzbereit gehaltenen Atomwaffen, insbesondere in Zeiten internationaler Spannungen ausgeht. Darüber hinaus aber verschlingen die jetzt beschlossenen Aufrüstungsprogramme der NATO und der EU diejenigen Milliarden Euro, die für den sozial- ökologischen Umbau benötigt würden.

Wir brauchen eine europäische Sicherheitsordnung, in der der Frieden statt auf der Drohung mit gegenseitiger atomarer Vernichtung auf einem allseitigen Verzicht auf militärische Gewalt basiert. In unserem Manifest fordern wir daher, dass sich die EU und die Mitgliedsstaaten dem im Rahmen der UN beschlossenen, völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zum Verbot der Atomwaffen anschließen.

In Deutschland ist ein Teil der Linken kürzlich eigene Wege gegangen. Wie wirkt sich das auf die Arbeit der EL aus und wie wird das die Europawahl beeinflussen?

Nicht günstig, so viel steht fest. Spaltungen der Linken und das Nichtzusammenfinden linker Parteien sind ein Problem in einer Reihe von Ländern. Die subjektiven und objektiven Ursachen sind unterschiedlich. Da maßen wir uns keine Urteile an. Zu verhindern, dass die Fragmentierungen aber auf die europäische Ebene und die Fraktion im Europaparlament durchschlagen, ist eine gemeinsame Verantwortung aller Akteur*innen. Dafür steht die EL. In Deutschland ist die Sache klar: Mitglied der EL, sogar Gründungsmitglied, ist die Linke. Wer in Deutschland die Europäische Linke stärken will, muss die Linke wählen.