Missglückte NS-Fiction
Sandra Hüller liebt extreme Rollen. Nun hat sie sich was ganz Besonderes ausgesucht. In Jonathan Glazer gibt sie die Ehefrau des Kommandanten von Auschwitz, Rudolph Höß.
„Banalität des Bösen“ – das Diktum von Hannah Ahrendt gibt es hier ganz wörtlich: Familie Höß fristet ein luxuriöses Dasein an der Mauer zum Konzentrationslager. Wer immer schon mal wissen wollte, wie der Mann, der Millionen Menschen auf dem Gewissen hat, nebst Verwandtschaft so ganz privat lebte, der ist hier genau richtig. Da geht’s um den Spül, wie man billige Gärtner kriegt und was die Kinder jetzt schon wieder angestellt haben.
Berufliches dann am Rande: Die Vertreter der Firma Topf und Söhne legen ihre Pläne für die Gaskammern auf dem Wohnzimmertisch dar. Höß wird später bekannt dafür sein, dass er Zyklon B als Vernichtungsmittel etabliert hat. Reichsführer SS Heinrich Himmler („Onkel Heiner“) lässt die Gattin grüßen. Und dann steht noch die Karriereplanung auf dem Wochenplan.
Von den Quälereien im Konzentrationslager erfährt der Zuschauer nur indirekt. Hinter der Mauer qualmt der Schornstein des Krematoriums, vereinzelt sind Schreie zu vernehmen.
Das Zentralgestirn dieses Kosmos ist aber Höß‘ Gattin Hedwig. Die organisiert Haus & Hof und sorgt für ordentlich Dünkel bei der angereisten Verwandtschaft. „Wie sie den tollen Garten hochgezogen hat, berichtet sie. Wobei sie keinen Handschlag selbst macht, dafür gibt es Zwangsarbeiter.
Ihr Glanzstück ist aber die Mode: Jüdische Frauen werden bei der Verhaftung entkleidet, die KZ-Aufsehergattin kassiert Röcke, Blusen und Mäntel für sich selbst und das Gefolge ein. Was ein Mist, dass die alle so dünn sind, schimpft sie. Bei dem guten Essen bei ihr zu Hause passt man kaum in die tollen Klamotten rein.
Wie eine Schlossherrin hält sie Hof, bis dann das Unglück naht. Höß wird abberufen, Adolf Hitler hat ihn für ein anderes KZ eingeplant. Großes Geschrei, denn Hedwig will das große, schöne Haus nicht verlieren.
Glazers Film hat bereits für viel Furore gesorgt, hat Kritiker- und andere Preise zuhauf bekommen, und Sandra Hüller wurde als heißeste Kandidatin für die Golden Globes gehandelt; eine Auszeichnung, die sie für diese Rolle ebensowenig bekam wie für die in dem ebenfalls nominierten „Anatomie eines Falls“.
Es hat etwas überaus Skurriles, dass eine deutsche Schauspielerin dafür mit Lob und Ehre überschüttet werden soll, dass sie die fiese Nazi-Braut gibt. Ob sie sich den Preis dafür auf die Wohnzimmerkommode stellen wollen würde?
Die Darstellung des besonders Bösen kann auch schnell mal nach hinten losgehen, auch wenn die Absicht wahrscheinlich löblich sein soll, dass der Zuschauer aufs Glatteis des Miterlebens geführt werden soll – hat es Hedwig nicht wirklich schwer in den schweren Zeiten?
Das beinahe vollständige Aussparen des Leidens derjenigen, die da ganz plastisch hinter der Gefängnismauer verschwinden, als vermeintlich drastisches Stilmittel – ja, das Ausblenden dieser Menschen als Individuen überhaupt ist weniger Kunst denn Eskapismus. Aber damals wusste ja auch keiner von was, stimmt schon.
„The Zone of Interest“. Regie: Jonathan Glazer, Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller. Kinostart: 29. Februar 2024