Genossinnen im Visier
Der braune Spuk begann vor zwei Jahren: Damals bekam die Frankfurter Anwältin Seda Besay-Yildiz, die im NSU-Prozess Angehörige der Mordopfer vertreten hatte, ihr erstes Drohschreiben vom “NSU 2.0.“. Besonders verstörend: Das Fax enthielt private Informationen über die Anwältin, die der Öffentlichkeit unbekannt waren. So drohte man ihr, die zweijährige Tochter zu „schlachten“. Wie sich später herausstellte, stammten die Informationen aus dem Droh-Fax wohl teilweise aus einem Polizeicomputer. Bei den Ermittlungen stieß man auf eine rechtsextreme Chatgruppe von Frankfurter Polizist*innen, die bis heute vom Dienst suspendiert sind. Kurz darauf erhielt Besay-Yildiz ein weiteres Drohschreiben, das sich auf die Suspendierung von „unseren Polizeikollegen“ bezog. Der Verdacht erhärtete sich, dass es innerhalb der hessischen Polizei ein rechtsextremes Netzwerk geben muss.
Wie erst kürzlich bekannt wurde, gingen bereits im Februar zwei Drohmails bei der hessischen Linksfraktionsvorsitzenden Janine Wissler ein. Wieder unterzeichnet mit “NSU 2.0.“ und wieder enthielten die Schreiben private Informationen. Auch Wisslers Daten wurden über einen Polizeicomputer abgefragt. Diesmal stand der Computer aber in Wiesbaden. Als Wissler die Vorfälle Anfang Juli bekannt machte, gingen gleich wieder Drohmails bei ihr ein, erneut unterzeichnet mit “NSU 2.0.“.
“Todesurteile" für Renner und Helm
Dann überschlugen sich die Ereignisse: Mit Martina Renner und Anne Helm erhielten gleich zwei weitere Politikerinnen der LINKEN rechtsradikale Drohschreiben, die wieder „öffentlich nicht bekannte Informationen“ und ein „Todesurteil“ enthielten. Der Verdacht liegt nahe, dass auch diese Informationen über einen Polizeicomputer abgerufen wurden. Die beiden Genoss*innen sind keine zufälligen Opfer: Die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Parteivorsitzende Martina Renner engagiert sich seit vielen Jahren gegen Rechts. Das gilt auch für Anne Helm, die Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Berliner Abgeordnetenhaus.
Der hessische Polizeipräsident Udo Münch muss wenige Tage später gehen. Münch hatte zunächst behauptet, sein Polizeipräsidium sei nicht über die Datenabfragen informiert gewesen. Schließlich musste er einräumen, dass er bereits im März in einer Videokonferenz über den Vorgang informiert worden sei. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) bleibt und schließt nun nicht mehr aus, dass es ein rechtsextremes Netzwerk innerhalb der Landespolizei gibt. Als Beuth selbst Drohschreiben erhält, setzt er einen Sonderermittler ein.
Am 14. Juli wurde bekannt, dass auch die Daten der Kabarettistin Idil Baydar von einem Wiesbadener Polizeicomputer abgefragt worden sind und dass es noch weitere Drohschreiben vom “NSU 2.0.“ gibt. Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag, zeigte sich schockiert: „Die Nachricht, dass offenbar auch die Kabarettistin Idil Baydar Opfer von Drohungen geworden ist und wieder hessische Polizisten eine üble Rolle spielen, ist erschreckend. Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, wurden ihre Daten bereits im März letzten Jahres von einem Wiesbadener Polizeirevier aus abgefragt.“
Frauenhass als weiteres Motiv?
Ebenfalls am 14. Juli gaben die Fraktionschefs der Bundestagsfraktion der LINKEN bekannt, dass auch die Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer eine Morddrohung erhalten habe. Es werde ihr genauso gehen wie dem ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke, heißt es in dem Schreiben. Der LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger erinnerte daran, dass Sommer bereits früher Ziel rechter Angriffe gewesen sei. „Wiederholt gab es Versuche, ihr Auto zu manipulieren und 2010 wurde das Auto sogar angezündet“, so Rieixinger. Er warf der Polizei vor, die Bedrohung nicht ernst genommen zu haben. So sei Sommer erst in der vergangenen Woche darüber informiert worden, dass bei Berliner Neonazis bereits 2010 Datenträger mit Todeslisten gefunden worden seien, auf denen auch Sommers Name gestanden hätte. Dabei hätte den Berliner Beamt*innen damals klar sein müssen, dass Nazis keine Hemmungen haben, ihre politischen Gegner tatsächlich zu töten. So stürmte im Jahre 1997 ein bewaffneter Neonazi eine Berliner Bezirksgeschäftsstelle der damaligen PDS und schoss mit einer Pumpgun auf einen dort anwesenden Buchhändler, der das Attentat schwer verletzt überlebte.
Auffällig ist, dass der “NSU 2.0.“ bislang nur Frauen bedroht. Neben der rassistischen Motivation spielt offenbar auch Frauenhass eine Rolle. Aus dem Büro von Martina Renner heißt es dazu: „Es handelt sich hier um sexualisierte Gewalt- und Mordfantasien, gespeist durch ein rassistisches, nazistisches und misogynes Weltbild“.