Seminar im Wohnzimmer
- Sophie Dieckmann
„Wir können dich nicht hören!“ – „Mach mal Dein Mikro aus!“ – „Ich wähl mich nochmal ein…“ – „Wo muss ich jetzt draufdrücken?“… Wer diese Sätze in den letzten Wochen häufiger gehört hat, hat alles richtig gemacht. Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, und gut dran war, wer während der Ausgangbeschränkungen die Chancen der digitalen Kommunikation zu nutzen wusste. Auch die Bildungsarbeit der LINKEN mußte sich schnell umstellen. Aber wie wir wissen, bieten Krisen auch Chancen, neue Arbeitsweisen auszuprobieren.
Bereits im März hatten wir – der vierköpfige Bereich Politische Bildung in der Bundesgeschäftsstelle – unsere erste Online-Seminarreihe mit dem Thema „Kapitalismus, Krise, Korona“ auf den Weg gebracht. Alles war neu: statt Flipchart und Seminarraum hatten wir es mit Mauszeiger und Webcam zu tun. Die Kaffeepause zum Quatschen und Kennenlernen entfiel, unser Moderationskoffer verstaubte im Schrank. Unser Highlight war die erste Online-Frühlingsakademie im Mai und Juni. Normalerweise hätten wir uns zu Pfingsten mit ca. 100 Genoss*innen am Werbellinsee in Brandenburg bei schönstem Wetter zum Thema Klimakrise und sozial-ökologische Transformation weitergebildet. Die Enttäuschung über die unfreiwillige Absage währte nicht lang, denn kurzerhand haben wir einen Großteil der Veranstaltungen ins Netz verlegt und so die erste bundesweite Frühlingsakademie durchgeführt. So konnte der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner aus der Uckermark, mit dem LINKEN Parteivorsitzenden Bernd Riexinger in Stuttgart über den Green New Deal plaudern. Währenddessen diskutierte die Fridays-For-Future-Aktivistin Clara Mayer lässig per Smartphone mit dem Linksfraktion-Abgeordneten Lorenz-Gösta Beutin aus Kiel und der RLS-Referentin Nadja Charaby aus ihrem Berliner Büro über ökologisch-sozialistische Visionen. Und während es sonst heißt: Keine Zeit – keine Chance teilzunehmen, kann man die Debatten jetzt im Nachhinein noch auf YouTube ansehen. Insgesamt haben sich bislang mehr als 3500 Leute die Diskussionen der Online-Frühlingsakademie angeschaut – eine Reichweite, von der wir nicht zu träumen gewagt haben.
Nicht alle konnten teilnehmen
Denn die Zwangspause für Präsenzseminare hat auch Vorteile: Lange Anreisewege fallen weg, stattdessen kann man sich nun gemütlich vom Wohnzimmer aus weiterbilden. Besonders für Menschen mit vielen Verpflichtungen – familiär oder beruflich –, schlechter Verkehrsanbindung und körperlichen Einschränkungen ist das ein Vorteil. Fahrtkosten sind nicht nötig, was den Geldbeutel schont. Aber was auch auffällt: Nicht alle können teilnehmen – sei es, weil das mobile Endgerät nicht vorhanden ist (Laptops sind teuer) oder weil die Erfahrung mit digitalen Medien fehlt. Besonders ältere Genoss*innen berichten immer wieder, wie schwer ihnen der Zugang zur Online-Welt fällt. Um Abhilfe zu schaffen, haben wir Online-Seminare zur Nutzung von digitalen Programmen angeboten. Aber wir wissen: Einige Genoss*innen werden wir auch damit nicht erreichen. Wir brauchen die Offline-Welt also auch weiterhin. Seminare, an denen Menschen vor Ort teilnehmen, sind unverzichtbar. In Zukunft wird es eine also Mischung aus analoger und digitaler Bildungswelt in der Partei geben müssen, um das Beste aus beiden Welten zu kombinieren.
Sophie Dieckmann, Leiterin des Bereichs Politische Bildung in der LINKEN