Gedanken zur Landtagswahl in Niedersachsen - aus der Sicht eines linken Kandidaten.
Man kann sich den Zeitpunkt, an dem Wahlen stattfinden, nicht aussuchen. Die politischen Rahmenbedingungen, die dann jeweils vorliegen, sind für Wahlergebnisse häufig entscheidend. Wenn man dies übersieht, kommt man schnell in eine Debatte vermeintlich Schuldige zu suchen, was den Prozess der Aufarbeitung behindert und innerparteilich den Streit nur vergrößert.
Wir haben in unseren Wahlkreisen einen intensiven Wahlkampf geführt, obwohl der Mobilisierungsgrad geringer war als vor einem Jahr bei der Bundestags- und Kommunalwahl. Der Landesverband hat kein zerrissenes Bild gezeigt. Die Spitzenkandidaten Jessica und Lars haben einen guten Job gemacht. Natürlich kann man über das eine oder andere Plakat streiten und die Frage stellen, ob man die Stimmungslage der Menschen getroffen hat, als wir auf der letzten Großfläche so getan hatten, als ob wir Großkapital und Banken entmachten könnten. Das war aber für unsere Wahlniederlage nicht entscheidend.
Zu den für uns ungünstigen Rahmenbedingungen gehörten schon die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die es einer Oppositionspartei objektiv schwer gemacht haben, hier gegenüber den Regierenden eine alternative Politik zu formulieren. Ein Angriff von außen – hier durch den Corona-Virus – führt immer dazu, dass die Menschen zusammenrücken und sich zur Abwehr erst mal hinter die Regierenden stellen. Das Agieren der Opposition ist dann manchmal konfus: Während sich der Parteivorstand für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen hatte, hatte Gregor Gysi eine allgemeine Impfpflicht mit meiner Meinung nach zutreffenden Argumenten abgelehnt.
Und dann kam der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine. Unsere Vorhersagen, Russland würde nicht ein benachbartes Land angreifen, wurden widerlegt. Das hat uns schon bei den Landtagswahlen im Frühjahr 22 schwer in Bedrängnis gebracht. Der Parteitag im Juni sollte dann das Blatt wenden. Dies ist aber nicht geschehen. Die Umfrageergebnisse auf Bundesebene blieben bei 5 %. Dieser Bundestrend hat sich auch vor der Landtagswahl in Niedersachsen nicht verbessert, obwohl mit den Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln die sozialen Probleme massiv gestiegen waren.
Wir haben uns seit Beginn des Krieges für Waffenstillstand und Verhandlungslösungen eingesetzt und gesagt, dass dieser Krieg nicht mit einer Niederlage einer der beiden Kriegsparteien enden könne. Ausgerechnet wenige Tage vor der Landtagswahl scheint die Entwicklung an der Front in der Ukraine denen recht zu geben, die auf einen Sieg der Ukraine gesetzt haben, der durch deutsche Waffenlieferungen beschleunigt werden sollte. So standen wir mit unserer friedenspolitisch gut begründeten Position, die auch der Parteitag in Erfurt bekräftigt hatte, auf Diplomatie statt auf Eskalation zu setzen, auf einmal ziemlich isoliert da. Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Position richtig war und die spätere Entwicklung uns recht geben wird. Zum Zeitpunkt der Landtagswahl hat uns das aber nicht genützt.
Es ist uns nicht gelungen, die Unzufriedenheit mit den Gaspreis- und Strompreiserhöhungen in weiten Teilen der Bevölkerung für eine Stimmabgabe zugunsten der LINKEN zu nutzen. Hier zeigt sich ein Phänomen, das wir schon bei den Wahlen in Italien beobachten konnten. Dort ist die Linke neben der Sozialdemokratie völlig zersplittert und fiel damit als Hoffnungsträger aus. Unzufriedene Protestwähler haben dann ganz rechts gewählt, was den Anstieg der AFD auf fast 11 % erklärt.
In Deutschland hatten Parteiführung und Bundestagsfraktion versprochen mit dem Gegeneinander-Agieren aufzuhören. Das wurde aber nicht eingehalten. Sahra Wagenknecht hatte im Bundestag eine Rede gehalten, die in der Bevölkerung viel Zuspruch fand und auch von der Bundestagsfraktion mit großem Beifall bedacht wurde. Kaum war das geschehen, forderten einzelne den Ausschluss der bekanntesten und nach Umfragen beliebtesten Repräsentantin der Partei und die Parteivorsitzenden distanzierten sich von der Rede.
Natürlich hat Sahra die Situation mitverschuldet. Sie hat zu Formulierungen gegriffen, von denen sie wissen musste, dass sie missverstanden werden können: Sanktionen gegen Russland als „Wirtschaftskrieg“ zu bezeichnen, lässt die Deutung zu, dass sie damit den eigentlichen Krieg relativieren wollte. Auch die Formulierung „unser“ wichtigster Energielieferant kann den Eindruck erwecken, dass wir an Gemeinsamkeiten mit Putin anknüpfen sollten. Wer im politischen Leben Erfahrung hat, sollte bei jeder Formulierung immer mitbedenken, wie sie – von einigen auch bewusst – missverstanden werden kann. Die Hauptbotschaft ihrer Rede, dass uns Wirtschaftssanktionen auf dem Gebiet der Energielieferungen mehr schaden als Russland, war natürlich richtig. Warum soll es Putin beeindrucken, wenn Deutschland sich in eine Rezession manövriert und Russland bei geringerer Gasmenge, aber steigenden Gaspreisen zusätzliche Einnahmen einfährt?
Der Erfurter Parteitag hatte für diese Frage keine klare Beschlusslage hinterlassen: Hinsichtlich der Frage der Energieversorgung wird dort auf erneuerbare Energien gesetzt, eine Renaissance der Atomkraft ebenso abgelehnt wie Verlängerung von Kohleabbau und -nutzung und auch – völlig zu Recht – das umweltfeindliche Fracking-Gas abgelehnt. Was in diesem und im nächsten Winter geschehen soll, wenn die erneuerbaren Energien noch nicht ausreichend zur Verfügung stehen werden, bleibt unklar. Zur Gasversorgung heißt es, dass die Möglichkeiten ausgenutzt werden sollen, den Import von fossilen Energieträgern aus Russland stärker einzuschränken und Nordstream 2 nicht in Betrieb genommen werden sollte. Zu Sanktionen steht dort, dass diese befürwortet werden, sofern sie sich gegen den Machtapparat Putins und den militärisch-industriellen Komplex Russlands richten. Aber was gehört zum militärisch-industriellen Komplex?
Mit dieser unklaren Beschlusslage und den alles andere als hilfreichen Reaktionen auf die Wagenknecht-Rede hat die Parteiführung eine Situation geschaffen, in der die Wählerinnen und Wähler eher verunsichert wurden. Die Partei wurde als zerstritten und damit nicht durchsetzungsfähig wahrgenommen. So sieht kein Hoffnungsträger aus, auf den Enttäuschte setzen können.
Wenn dann auch noch ständig durch die Medien getragen wird, dass die LINKE nur 3 % bekommt, obwohl sie bei mehreren Umfragen bei 4 % lag, und damit keine Chance auf Wiedereinzug in das Landesparlament habe, wird der negative Trend noch zusätzlich verstärkt. So erklärt sich das magere Ergebnis von 2,7 %.
Was ist jetzt zu tun? Wir sollten das Wahlergebnis ehrlich und vor dem Hintergrund objektiv bedingter Schwierigkeiten solidarisch diskutieren. Die wichtigste Erkenntnis sollte sein, das Gegeneinander in der Partei endlich zu beenden und gemeinsame Lösungen zu finden. Die Machtpolitik und die Zuspitzungen, die wir in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner gerne gebrauchen, sollten wir innerhalb der Partei nicht fortführen. Eine Spaltung der Partei würde zwei Splitterparteien hervorbringen, Verhältnisse wie in Italien.