Leipziger Erklärung trifft nicht das Kernproblem
- Hans-Henning Adler
- Hans-Henning Adler
In der Leipziger Erklärung führender Politiker der Linken können wir lesen:
„Wenn eine Außenministerin sich öffentlich gegen Verhandlungen zur Beendigung des Krieges ausspricht, ist das nicht akzeptabel. Wir fordern diplomatische Initiativen von Bundesrepublik und EU gegenüber Staaten wie China und Indien, die Einfluss auf Russland ausüben können, um zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu kommen. Bei Friedensverhandlungen muss es auch um die Umsetzung der Resolution der UN-Vollversammlung nach Rückzug der russischen Truppen gehen.“
Warum sollen Staaten wie Indien und China Einfluss auf Russland ausüben, die doch ganz offensichtlich selbstbewusst ihre eigenen Interessen vertreten und deshalb jetzt verstärkt Öl und Gas aus Russland beziehen und welche Möglichkeiten soll die Bundesrepublik haben darauf einzuwirken?
Warum soll eigentlich nur Druck auf Russland ausgeübt werden und dann auch noch über den Umweg über Indien und China, warum nicht auch auf die Ukraine, wo wir keine Umwege über Drittländer brauchen und durch die anhaltenden Waffenlieferungen doch beste Möglichkeiten hätten, Bedingungen zu formulieren? Es wäre doch viel naheliegender auf denjenigen Einfluss zu nehmen, dessen Verbündeter Deutschland geworden ist.
Dazu gibt es wahrlich Anlass: In der Frankfurter Rundschau vom 26.12.22 können wir lesen: „Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich sagte in einem Interview mit dem staatlich kontrollierten TV-Sender Rossja 1 über den andauernden Konflikt der Ukraine: 'Wir sind bereit, mit allen Beteiligten über akzeptable Lösungen zu verhandeln, aber das liegt an ihnen – nicht wir verweigern Verhandlungen, sondern sie.'“
Über die Position der ukrainischen Regierung schreibt die FR: „Die Regierung von Wolodymyr Selenskyj in Kiew hatte stets betont, dass für sie Verhandlungen erst infrage kommen, wenn alle russischen Truppen ukrainischen Boden wieder verlassen haben. Diese würden laut Selenskyj nicht nur die im seit Februar vergangenen Jahres laufenden Krieg eroberten Gebiete beinhalten. Russland müsste sich auch von der 2014 annektierten Krim-Halbinsel zurückziehen.“
Während das nationalistische Gift in den Köpfen von Putin und Selenskyj bislang ernsthafte Verhandlungen, d.h. Verhandlungen mit Kompromissbereitschaft, ausgeschlossen hatte, gibt es jetzt vielleicht eine Chance, Putin beim Wort zu nehmen.
Die Bereitschaft diese Chance zu nutzen ist aber gegenwärtig weder bei der Bundesregierung noch bei den meisten Medien zu erkennen. Macrons vorsichtiger Versuch, im Dezember Verhandlungen mit Putin auf den Weg zu bringen, wurde in der Süddeutschen Zeitung vom 14.12.22 scharf mit den Worten zurückgewiesen: „So ganz aufgeben will er die Vermittlerrolle immer noch nicht, auch wenn es sehr wenig zu vermitteln gibt.“ Macron beschädige die Beziehungen zu Selenskyj und das Vertrauen der europäischen Partner.
Während Putin ein Verhandlungssignal absendet, fordert der ukrainische Vize-Außenminster Melnyk weitere Waffen: Kampfjets, Kriegsschiffe, Mehrfachraketenwerfer und Panzer. Gleichzeitig wird in russischen Medien verbreitet, dass Russland niemals eine Niederlage akzeptieren wird und notfalls taktische Atomwaffen eingesetzt werden könnten. Kann dieser Wahnsinn noch aufgehalten werden? Soll sich die Eskalationsspirale immer weiter drehen?
Es gibt offenbar zwei Wege, den Krieg zu beenden: den Sieg einer Seite, auf den immer noch die Bundesaußenministerin setzt, wobei die Bundesregierung natürlich die Ukraine als Sieger meint, oder die Beendigung auf dem Verhandlungsweg, zunächst über einen Waffenstillstand, dann über Friedensverhandlungen, bei dem auch strittige territoriale Fragen geklärt werden müssten. Ein Verhandlungsweg kommt aber nie zum Erfolg, wenn man schon vorher Bedingungen formuliert, die die Gegenseite nie akzeptieren kann. Verhandlungen werden unmöglich gemacht, wenn man schon vorher signalisiert, dass man zu Kompromissen nicht bereit ist.
Wenn es also darauf ankommt, Druck auf die kriegführenden Mächte auszuüben, Kompromissbereitschaft zu zeigen, dann müsste man doch den Druck zunächst auf die Seite ausüben, auf die man tatsächlich Einfluss nehmen kann, und das ist für die bundesdeutsche Politik doch die ukrainische Seite. Wirtschaftssanktionen auf dem Energiesektor gegen Russland haben ja bekanntlich nichts bewirkt und bei uns größeren Schaden angerichtet als in Russland.
Janis Ehling schreibt am 7.10.22 auf „Links bewegt“: „Lenin selbst hatte das militärische Selbstverteidigungsrecht Belgiens in seinem Aufsatz Krieg und Sozialismus und anderswo immer begrüßt“. Das ist nur verkürzt wiedergegeben. Wahrscheinlich meint der Autor den Artikel Sozialismus und Krieg, wo Lenin geschrieben hatte, dass die Sympathien der Sozialisten natürlich auf Seiten des neutralen Belgiens liegen, das von Deutschland im 1. Weltkrieg überfallen worden war, er verwies aber auch auf den imperialistischen Charakter dieses Krieges, der für Angreifer wie Angegriffene galt, und schrieb weiter: „Wer die Teilnahme an diesem Krieg gutheißt, der verewigt die imperialistische Unterdrückung der Nationen“ (LW 21. S. 306).
So ist es jetzt auch in der Ukraine: Der imperialistische Charakter des gegenwärtigen Krieges ergibt sich nämlich nicht nur aus der Aggression Russlands gegenüber der Ukraine, sondern ebenso aus der geostrategisch motivierten Anheizung des Krieges durch die USA und deren NATO-Verbündeten durch einen Stellvertreter-Krieg gegen Russland, deren Opfer Russen wie Ukrainer sind, Soldaten wie Zivilbevölkerung. Das wird auch in der Leipziger Erklärung angedeutet, wo es heißt, dass die Ukraine zum Schlachtfeld einer geopolitischen Auseinandersetzung geworden ist, unter der Millionen Menschen leiden und von der vor allem die Rüstungs- und Rohstoffkonzerne profitieren.
Janis Ehling schreibt dann weiter: „Die Entscheidung, ob sie kämpfen wollen, trifft aber nicht der Westen, sondern die Ukrainerinnen und Ukrainer.“ Das ist richtig. Niemand kann ihnen das Recht der Selbstverteidigung streitig machen. Aber ob man einen Krieg, an dem man gar nicht beteiligt ist, von außen mit immer mehr Waffenlieferungen befeuert und verlängert, ist doch eine zweite Frage. Es gibt ja keinesfalls eine allgemeine Regel, wonach Deutschland alle Länder mit Waffen beliefert, die Opfer eines Angriffskrieges geworden sind. Die Kurden in Nord-Syrien hätten sicher auch gern Panzerabwehrwaffen gehabt, mit denen sie die türkischen Leopard-Panzer (aus deutscher Produktion) abgewehrt hätten, nachdem diese – völkerrechtswidrig - die türkische Grenze überschritten und z.B. die Afrin-Region eingenommen hatten.
Im Mai 1951 begannen die Waffenstillstandsverhandlungen im Korea-Krieg, als die Front ungefähr beim 38. Breitengrad lag. Erst zwei Jahre später schlossen die Streitparteien am 27. Juli 1953 in Panmunjeon ein Waffenstillstandsabkommen. Während die Verhandlungen in einer neutralen Zone liefen, wurden die Kämpfe fortgesetzt. Im Ergebnis kam es zu einem Waffenstillstand etwa auf der Linie des 38. Breitengrades, wo die kämpfenden Verbände auch vorher schon gestanden hatten. Bis dahin waren 940.000 Soldaten und etwa drei Millionen Zivilisten getötet worden. Kann man so einen leidvollen Prozess nicht verkürzen?
Natürlich hat die deutsche Außenpolitik nur einen begrenzten Einfluss. Der naheliegendste Schritt wäre aber doch gegenüber Selenskyj für weitere Waffenlieferungen die Bedingung zu formulieren, sich konstruktiv und kompromissbereit auf Verhandlungen mit Russland einzulassen. Die Leipziger Erklärung mit dem Lösungsvorschlag über Indien und China Einfluss auf Russland auszuüben, ist da doch eher desorientierend, trifft nicht den Kern und ist darüber hinaus auch ziemlich unrealistisch. Immerhin: Auf der Homepage der Partei können wir (noch) lesen: Wir wollen alle Rüstungsexporte aus Deutschland verbieten.