Kindergeld gehört nicht auf Sozialleistungen angerechnet
Armut trifft Haushalten mit Kindern hart. Das stellte nun auch jüngst erneut das Statistische Bundesamt (Destatis) anhand von Erstergebnissen der Erhebung zu Einkommen und Lebensbedingungen aus 2021 fest. So waren mehr als ein Viertel der Alleinerziehenden im Jahr 2021 armutsgefährdet. Die derzeitige Inflation verstärkt dies alles. Kompensieren können diese Familien fast nichts mehr. Familien in den Grundsicherungen schon mal gar nicht. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) schlug nun vor, das Kindergeld zu erhöhen. Löblich. Und natürlich hat sie recht, wenn sie gegenüber dem Nachrichtenportal t-online sagt: „Dies sei, neben einer Anpassung der Hartz-IV-Regelsätze, ein Weg, um ärmere Familien zielgenau zu unterstützen. Ärmere Familien mit Kindern gehörten definitiv zu der Gruppe, die weiter entlastet werden muss". Leider hört sie hier auf und ignoriert, dass das Kindergeld auf die Grundsicherungen angerechnet wird. Familien, die Hartz IV oder Sozialhilfe wegen Erwerbsminderung beziehen, haben schlichtweg nichts davon. Sie gehen, wie bisher bei jeder Kindergelderhöhung leer aus. So geht jede positive Kindergelderhöhung spurlos an den Leistungsberechtigten in den Grundsicherungen vorbei. Sie werden sogar gegenüber Nicht-Leistungsberechtigten benachteiligt. Die Einkommensschere geht damit noch weiter auseinander und die Armut dieser Kinder wird damit nicht beendet. Somit sind die löblichen Zitate von Paus für rund 1,5 Millionen Kinder in Hartz IV obsolet. Schade. Einer Armut kann in diesen Fällen nicht entgegengewirkt werden. Oder wie eine Mutter treffend formulierte:
„Als Bundesfamilienministerin tragen Sie die Verantwortung auch für Kinder aus armutsbetroffenen Familien. Jede Erhöhung von Kindergeld ist für armutsbetroffene Familien nicht on Top, wie allgemein angenommen wird.“
Nicht-Gönnen oder Gönnen
Es ist doch erschreckend, dass wir nach über fünfzehn Jahren Hartz IV uns noch immer an dem Punkt befinden, dass wir darüber diskutieren müssen, nein, dass gefordert werden muss, dass Kindergeld nicht auf Sozialleistungen anzurechnen ist. Wie gewonnen so zerronnen. Jede Aussage über die Beendigung der Kinderarmut ist somit für rund 1,5 Millionen Kinder und deren Familien bedeutungslos. Und die Kindergrundsicherung lässt auch noch bis 2025 auf sich warten.
Die Gas- und Strompreise explodieren jedoch jetzt. Auch ein Kinderzimmer muss beheizt werden. Für Menschen, die Armut nicht kennen, liest es sich möglicherweise polemisch. Für Familien in Armut ist jeder zusätzliche Euro eine Überlebensstrategie, der in alltägliche Güter umgewandelt werden muss. Das Bundesfamilienministerium und unsere Ampel-Koalition täte gut daran, das Tabu des „Nicht-Gönnens“ gegenüber Grundsicherungsleistungsberechtigten aufzuheben und den Familien das Kindergeld zu gönnen. Bewusst schreibe ich hier von „Gönnen“. Anders kann ich mir diese gewollte Armut nicht mehr erklären. Es wäre ein einfachstes, diesen sozialen Hebel der Kindergeldanrechnung umzulegen. Und doch wird es nicht gemacht. Das wäre mal Respekt gegenüber diesen Familien. Und im Übrigen: Weder ist die neue Höhe des Bürgergeldes ab 2023 bekannt, noch wurde bisher die Kindergelderhöhung in Zahlen beziffert. Wenn jedes fünfte Kind arm ist, hilft nur Geld. Nicht in 2023, nicht in 2025 – sondern Jetzt! Armutsfest und ohne Anrechnung auf Sozialleistungen.
Update am 9. August 2022:
Wie es der Zufall will, äußerte sich am Montag, 8. August, kurz nach Veröffentlichung dieses Artikels, auch Finanzminister Christian Lindner zur Kindergelderhöhung. Demnach steigt das Kindergeld zu 2023 für die ersten zwei Kinder jeweils um 8 Euro (von 219 Euro auf 227 Euro). Für das dritte Kind steigt es um zwei Euro (von 225 Euro auf 227 Euro). Ab 2024 soll das Kindergeld für die ersten drei Kinder dann auf 333 Euro steigen. Für Kind Nummer 4 bleibt es wie bisher. Zur Anrechnung des Kindergeldes auf Sozialleistungen gab es keine Äußerungen.