Das Leben als Zivilcourage
„Bettina“ – der schöne Film über das Leben der Sängerin und Lyrikerin Bettina Wegner.
„Hoffnung haben beim Ertrinken/Nicht im Wohlstand zu versinken/Einen Feind zum Feinde machen/Solidarität mit Schwachen“: Lieder und Texte von Bettina Wegner stellen in Deutschland ein eigenes Genre dar. Wider Willen berühmt geworden mit ihrem Lied „Sind so kleine Hände“, das sich bis heute vor ihr Gesamtwerk schiebt, ist ihr Schaffen eine vertonte gesamtdeutsche Nachkriegsbiografie.
Regisseur Lutz Pehnert – nach Filmen über Alkoholiker-Brigaden, die DDR-Seefahrt und Osttheater mittlerweile so etwas wie der filmische Chronist ostdeutscher Geschichte – hat der Legende nun ein filmisches Denkmal gesetzt. „Bettina“ rekonstruiert anhand von Prozessakten, Archivaufnahmen und Live-Mitschnitten einer heutigen Probensession dieses spektakuläre Leben, das sich in mindestens zwei Ländern, vor Gericht und in Haftanstalten, zwischen mehreren Kindern, Ehemännern und einer Affäre mit Oskar Lafontaine abgespielt hat. Die Gitarrenschlaghand kaputt operiert. Die heute 74-jährige Kettenraucherin brilliert mit druckbaren Statements vor der Kamera, einer Philosophin am eigenen Leben.
Geboren am 4. November 1947 in Berlin-Lichterfelde, wächst Bettina Wegner im Ostberliner Bezirk Pankow auf, die Eltern, überzeugte Kommunisten, waren in den Ostteil der Stadt gezogen. Im Westen waren ihnen die Mieten zu teuer. Mit 12 Jahren eckte Bettina, die Aufmüpfige, an. Kurioserweise, weil sie Lobpreisungen auf den Genossen Stalin hatte verlauten lassen. Der war da aber gerade richtig out.
1964 Ausbildung zur Bibliotheksfacharbeiterin, dann Studium an der Schauspielschule in Berlin. 1965 nimmt sie am republikweiten Wettbewerb junger Talente teil, wird delegiert zu den Arbeiterfestspielen in Frankfurt/Oder. 1966 gehört sie zu den Mitbegründern des „Hootenanny-Klubs“, der von dem kanadischen Sänger Perry Friedman ins Leben gerufen wird, später geht aus ihm der „Oktoberklub“ hervor.
Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakische Republik verteilt sie Flugblätter gegen die Intervention und wird verhaftet. Der Vorwurf: staatsfeindliche Hetze. Ihre Haftstrafe darf sie in der Produktion ableisten. Nach Heirat mit dem Schriftsteller Klaus Schlesinger landet sie in der Berliner Stadtbibliothek. Per Abendschule Abitur nachgeholt, jetzt schnell die Ausbildung zur Sängerin am Zentralen Studio für Unterhaltungskunst; staatlich geprüfte Liedermacherin. Sie tritt mit eigenen Liedern und lyrischen Texten auf.
Auch Wegner gerät Mitte der 1970er Jahre in den Strudel der Ausweisung des Liedermachers Wolf Biermann. Wer dagegen protestiert, kriegt selber Ärger mit der Staatsmacht. Sie erhält Auftrittsverbot, darf paradoxerweise aber in Westdeutschland singen. 1983 verlässt sie die DDR. Mit ihrem Top-Hit „Kleine Hände“ erlangt sie schnell Berühmtheit, sogar ein gemeinsames Konzert mit Joan Baez gibt es. Mit Amnesty International engagierte sie sich jahrelang öffentlich gegen die Todesstrafe.
Nie ruhig sein: Bis heute weiß sie nicht, wie man den Mund hält, da ist dieser Film der ideale Transmissionsriemen für diese schlagfertige Frau. „Ich habe sofort zugesagt“, sagt sie, als man für den Film an sie herantrat. „Weil ich gedacht habe, das gibt sowieso nichts.“
Ihr Markenzeichen - pessimistische Grundhaltung bei guter Laune - hat sie bis heute beibehalten: Ja, sie habe Angst vor einem Krieg, sagt sie. Aber sie befinde sich „ja nun auf der Zielgeraden des Lebens“. Was solle da schon passieren.
Äußerst sehenswert!
„Bettina“. D 2022. Regie: Lutz Pehnert. Derzeit in den Kinos