Zum globalen Kapitalismus und zur Bedeutung der LINKEN
Wenn es um Analyse der geopolitischen Verhältnisse geht, darf nicht von der kapitalistischen Struktur der weltwirtschaftlichen Verhältnisse abstrahiert werden und es darf nicht die hierarchische und konkret vom westlichen Imperialismus unter Führung der USA dominierte Struktur der internationalen Verhältnisse ausgeblendet werden. Im Erfurter Programm der LINKEN gibt es einen Abschnitt zu Imperialismus und Krieg, der mal wieder gelesen werden sollte. Er wäre heute natürlich zu ergänzen um eine Kritik der imperialen und Kriegspolitik Russlands, bleibt aber grundlegend richtig.
Imperialismus und Geopolitik
Zunächst mal spielen fossile Ressourcen auch weiterhin eine große Rolle für die internationalen Verhältnisse und werden auch in den kommenden Jahrzehnten weiter von einer zentralen Bedeutung sein, ebenso wie die noch wichtiger werdenden metallischen und anderen Naturressourcen. Es war von jeher so, dass die kapitalistischen Staaten die Versorgung ihrer Wirtschaft und vor allem ihrer international operierenden Konzerne mit Ressourcen – und die Möglichkeiten und den Schutz von deren Handelsbeziehungen und Investitionen in anderen Ländern – mit ihrer ökonomischen, politischen und militärischen Macht durchgesetzt haben. Das ist der Kern von Imperialismus. Um Werte und Moralvorstellungen ging es dabei nicht nur nicht, sie wurden im Zweifelsfall im Gegenteil auf jede nötig erscheinende Weise aktiv verletzt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Wertebasierte Außenpolitik“ ist Geschwätz und Verschleierung fürs dumm gehaltene Volk, die dann gelegentlich peinlich auffliegt.
Linke haben demgegenüber natürlich auch moralische Kriterien, die sie an internationale Austauschbeziehungen anlegen. Sie machen Druck für die Beachtung von Mindeststandards in den Lieferketten der Unternehmen, und sie sind solidarisch mit Gewerkschaften und Linken, sozialen und Befreiungsbewegungen in anderen Ländern gegen koloniale und kapitalistische Unterdrückung und Ausbeutung und gegen imperialistische Beherrschung der Länder. Dabei ergibt sich oft das Problem, dass sich Eliten erfolgreicher Befreiungsbewegungen zu neuen herrschenden Klassen in den Ländern aufgeschwungen haben und sich große Teile der Rohstoffrenten aneignen. Ähnliches vollzog sich in rohstoffreichen ehemals staatssozialistischen Ländern im Zuge von deren Transformation zu kapitalistischen Ländern, insbesondere auch in Russland.
Das ändert aber nichts daran, dass mit diesen wie mit allen anderen Ländern wirtschaftlicher Austausch betrieben wird und Linke nichts grundsätzlich dagegen haben. Im Gegenteil, es geht darum, diese wirtschaftlichen Beziehungen im Sinne der Verbesserung der Lage der dabei Beschäftigten und der Mehrheit der Menschen in diesen Ländern zu nutzen, wozu auch schlicht gehört, dass diese Länder selbst möglichst großen Nutzen von diesen Beziehungen haben und diese für ihre Entwicklung nutzen können. Zugleich sollen diese Beziehungen so gestaltet werden, dass auch die Beschäftigten und die Mehrheit in den entwickelten Ländern, wie Deutschland, davon Nutzen haben und nicht nur die kapitalistischen Unternehmen und Finanzinvestoren. Dass in anderen Ländern Ausbeutungsverhältnisse oder Diktaturen herrschen, war nie (mit wenigen Ausnahmen, wo es aus den Ländern selbst gefordert wurde wie gegen das Apartheidsregime in Südafrika), weder für die Linke und die Arbeiterbewegung noch für die herrschenden Klassen, ein Grund auf Wirtschaftsbeziehungen zu verzichten. Und es sollte dafür auch kein Grund sein, weil die Leidtragenden eines solchen Verzichts, Boykotts oder von Wirtschaftssanktionen vor allem die Bevölkerungen in diesen Ländern sind, deren Wohlstand gemindert und deren Entwicklungschancen blockiert werden.
Aus Sicht der kapitalistischen Kräfte und Staaten der Zentren ist ein zentraler Punkt allerdings weiterhin, ob die anderen Staaten dem international operierenden Kapital der Zentren gegenüber geöffnet und abhängig oder mindestens stark beeinflusst sind, ob das Kapital möglichst ungehindert die Wirtschaft dieser Länder durchdringen und beherrschen und Profite machen und diese in die Zentren des Kapitals (bzw. davon abhängige Steueroasen) abziehen kann, oder nicht. Eine gewisse Aufteilung des Mehrwerts mit den Eliten der abhängigen Länder ist dabei normal und wird akzeptiert. Nicht akzeptiert wird dagegen, wenn diese Staaten (und ihre einheimischen Eliten) versuchen, ihre Wirtschaft, Ressourcen und den damit erzielten Mehrwert den ausländischen Konzernen zu entziehen, unter nationale Kontrolle zu bringen und ganz überwiegend national zu verteilen, und auch politisch nicht mehr mitzuspielen, was die kapitalistischen Zentren ihnen vorgeben.
Dann werden solche Staaten zu Störenfrieden, Rivalen oder gar Gegnern erklärt und entsprechend behandelt, also ökonomisch, politisch, geheimdienstlich und militärisch unter Druck gesetzt und geschädigt und ggf. auch offen bekämpft. Für Russland gilt das, seit der Ausverkauf an den Westen unter Jelzin durch Putin und sein Machtsystem beendet und zunehmend den Interessen der USA widersprechende internationale Politik gemacht wurde. Für China gilt das, seit es zu einem ernstzunehmenden ökonomischen Konkurrenten herangewachsen ist, der perspektivisch die globale Vormachtstellung der USA gefährdet, und zugleich die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft wieder verstärkt.
Hier kommt dann die Struktur des kapitalistischen Staatensystems insgesamt ins Spiel (dazu vertiefend Peter Wahl). Auch die entwickelten Staaten der kapitalistischen Zentren spielen nicht alle in derselben Liga, sie haben ein dominierendes Zentrum, und das sind seit dem 20. Jahrhundert und unverändert die USA. Sie sind das Zentrum, bilden das Imperium, dem die anderen entwickelten westlich-kapitalistischen Staaten als untergeordnete Bündnispartner oder (außenpolitisch) halbautonome Vasallen angeschlossen sind (NATO, EU, Schweiz, Israel, Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur, Australien, Neuseeland …). Die USA sind der Hauptakteur, mit dem Dollar als faktischem Weltgeld und mit exterritorial angewendeten Sanktionen sowie mit CIA und Militär, und Organisator des Vorgehens ihres Blocks gegen Störenfriede, Rivalen und Gegner. Zugleich halten sie dabei die Bündnispartner/Vasallen unter Kontrolle und wirken Verselbständigungstendenzen entgegen.
Insbesondere ist es seit langem ein zentrales Anliegen der US-Politik, zunehmende Kooperation oder gar die Bildung eines übergreifenden Kooperationssystem zwischen Westeuropa und insbesondere Deutschland und Frankreich mit Russland zu verhindern (vgl. dazu Zbigniew Brzeziński, The Great Chessboard, deutsch: Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft, sowie hier zitiert Wesley Clark und George Friedman). All das hat sich im letzten Vierteljahrhundert in Europa in einer Politik gegen Russland abgespielt (als prowestliche Zeugen siehe Günter Verheugen oder Klaus von Dohnanyi). So wurde die Lage herbeigeführt, in der Putin seine Entscheidung zum Krieg gegen die Ukraine getroffen hat (vgl. Jürgen Wagner), die dadurch selbstverständlich nicht gerechtfertigt wird, sondern verbrecherisch ist. Anscheinend bestand aber bei den USA kein Interesse den Krieg durch Vereinbarungen zu verhindern und besteht auch kein Interesse ihn schnellstmöglich durch Verhandlungen zu beenden (vgl. Eric Bonse).
Die von Harald Wolf und Raul Zelik in ihrem Beitrag geäußerte Auffassung, „dass der russische Angriffskrieg weniger mit der NATO-Expansion als mit der inneren Entwicklung der ukrainischen Gesellschaft zu tun hatte“, halte ich für Unsinn. Die Ukraine ist ärmer und in keiner Weise attraktiv für russische Bürger:innen, es gab erhebliche Wanderungsbewegungen aus der Ukraine nach Russland und nicht umgekehrt. In Bezug auf die inneren Verhältnisse spielt die Ukraine als autoritärer Oligarchenkapitalismus in derselben Liga wie Russland, der Nationalismus und die Repression gegen Linke sind sogar noch stärker.
Auch einige Linke beteiligen sich an Hochjubeln der „zivilisatorischen Errungenschaften bürgerlicher Gesellschaften“, „wie es sie hauptsächlich im globalen ›Westen‹ gibt“ (Alban Werner). Diese sind, abgesehen von der Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte und damit zugleich aber auch der Destruktivkräfte, in hohem Maße Errungenschaften der frühen, antifeudal-progressiven Etappe des Bürgertums und dann der Arbeiterbewegungen und demokratischen Bewegungen gegen das Kapital, sie sind permanent bedroht durch repressive und autoritäre Tendenzen, die sich oft und in vielen Ländern auch durchsetzen. Auch der Gipfel verbrecherischer Regime, der Faschismus, ist eine bürgerliche Herrschaftsform, die nur mit Unterstützung mindestens starker Fraktionen des Großkapitals an die Macht kommen kann.
Zudem darf nicht ausgeblendet werden, dass diese bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften von Beginn an zugleich Kolonialismus in übler Form betrieben haben, übergehend in die Beherrschung und oft auch in verbrecherischen Formen ablaufende Ausbeutung der weniger entwickelten Länder durch den modernen Imperialismus. Die hier überwiegend bestehenden gewalttätigen Verhältnisse und Regime sind die andere Seite der gleichen Medaille der kapitalistischen Herrschaft, die in den Zentren ihr schöneres Gesicht vorzeigt. Der Westen bekämpft Diktaturen nicht, sondern nutzt und unterstützt sie, wo sie westlich-kapitalistischen Interessen dienen. Er bekämpft nur solche Diktaturen, aber ebenso demokratische bzw. sich auf breite Zustimmung des Volkes stützende Staaten, die sich den westlich-imperialistischen Herrschaftsansprüchen entziehen und entgegenstellen. Dieses westlich-kapitalistisch-imperialistische System ist und bleibt global das Haupthindernis und der Hauptgegner eigenständiger Entwicklung der abhängigen Länder im Interesse ihrer Bevölkerungen – und damit auch von Linken in den kapitalistischen Zentren, die sich sozialem und demokratischem Fortschritt und internationaler Solidarität verschrieben haben.
Russland, China, die EU und Deutschland
Die Deformationen der Staaten, die sich dem entzogen haben und noch entziehen, angefangen mit der Sowjetunion und als spezieller Fall anschließend Russland, China, andere postkoloniale Staaten, deren Befreiungsbewegungen oft von der Sowjetunion unterstützt worden waren, sind ein gesondertes Thema. Auch hier kam es zu üblen Entwicklungen und Verbrechen, Stalinismus, autoritären Systemen, Interventionen und Kriegen. Die Abschottung und auch die repressiven Tendenzen haben einen (nicht den einzigen) Grund auch in dem Systemkonflikt und der Konfrontationspolitik und Förderung von Regime-Change-Bestrebungen durch den kapitalistischen Westen. Jedenfalls werden durch westliche Konfrontationspolitik die autoritären und repressiven Tendenzen in diesen Staaten verstärkt – und ebenso die in den westlichen Staaten, wie gegenwärtig deutlich wird.
Dabei sind zu unterscheiden einerseits Staaten, die an einem sozialistischen Anspruch festhalten oder ihn neu entwickeln, wie China, Kuba, später Venezuela oder Bolivien, und schon deshalb vor allem von der imperialistischen Hauptmacht USA als Gegner betrachtet und mit Sanktionen belegt werden. Andererseits solche Staaten, die lediglich nationale Kontrolle, also die der eigenen Kapitalisten und Eliten, über ihre Ressourcen und Entwicklung und internationale Politik wahren wollen, zuvorderst Russland, das dabei selbst eine imperiale Großmachtpolitik betreibt. (Die Bezeichnung „imperialistisch“ für Russland ist m.E. unpassend aus politökonomischen Gründen, das ist eine theoretische Diskussion, die wissenschaftlich und nicht nach politischer Opportunität geführt werden sollte. Russland ist kein hoch entwickeltes kapitalistisches Land mit umfangreichen Direktinvestitionen in anderen Ländern, sondern v.a. Rohstofflieferant.)
Mit letzteren Staaten gibt es in Bezug auf ihre inneren Verhältnisse für Linke keinen Grund zu einem besonderen Verhältnis, wir unterstützen dort soziale und linke oppositionelle Kräfte – allerdings linke, nicht rechte und proimperialistische! Allerdings achten Linke die Souveränität und Selbstbestimmung aller Nationen bzw. Staaten und mischen sich nicht mit illegitimen Mittel ein, unterstützen insbesondere auch keine Wirtschaftssanktionen, die nicht von der UN beschlossen sind um ggf. besonders krassen Fällen von Völkermord und anderen Verbrechen entgegenzuwirken. In Bezug auf die internationale Politik stehen Linke ungeachtet von Kritik an den inneren Zuständen in den Ländern gegen Interventionen, gegen Versuche des von außen betriebenen Regime-Change, und gegen Kriege und Wirtschaftskriege des Westens gegen diese Länder. Angriffskriege sind in jedem Fall zu verurteilen, egal ob sie von Russland oder den USA oder „NATO-Partnern“ wie der Türkei, von angeblichen Demokratien oder Diktaturen angefangen werden.
In diesem Sinne setzen sich Linke in den entwickelten Ländern wie Deutschland kritisch mit den Auswirkungen und externen Bedingungen der hier herrschenden kapitalistischen Wirtschaftsweise in anderen Ländern der Erde auseinander. Das betrifft neben den ökonomischen und Migrationsaspekten auch die von oben dargestellten imperialistischen Herrschaftsbeziehungen, ökonomisch wie politisch. Es ist in diesem Zusammenhang geradezu absurd, wenn von einigen eine angebliche „Externalisierung von Sicherheit“ gesehen wird in dem Sinne, dass Deutschland und die EU sich hier sozusagen der Militärmacht der USA bedienten um ihre Sicherheit zu gewährleisten – und deshalb jetzt selbst stärker aufrüsten müssten. Die militärische Macht und Präsenz der USA in Europa dient ausschließlich eigenen Interessen und Kontrollbedürfnissen und keineswegs einem vermeintlich uneigennützigen Schutz Europas vor Bedrohungen durch andere, insbesondere durch Russland.
Eine größere Eigenständigkeit der deutschen und EU-Sicherheitspolitik wäre aus linker Sicht durchaus geboten. Allerdings müsste es dabei in erster Linie um eine Eigenständigkeit gegenüber den USA gehen, die zu entwickeln und durchzusetzen wäre. Zu fordern ist eine Verabschiedung der US-Truppen aus Deutschland und Europa, zu allererst ihrer Atomwaffen und ihrer Basis in Ramstein, die für US-Militäreinsätze und Drohnenmorde in Asien und Afrika eine zentrale Rolle spielt. Eine eigene Fähigkeit der EU-Staaten zur ggf. gemeinsamen Landesverteidigung ist dabei geboten, aber durch die vorhandenen Militärpotenziale im Grundsatz gegeben. Nicht geboten ist dafür globale Einsatzfähigkeit und weitere Aufrüstung.
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird allerdings genutzt, um ganz im Gegenteil Ansätze einer größeren Eigenständigkeit der EU-Staaten wieder zu schleifen und die Unterordnung der EU-Staaten unter die US-Außenpolitik mehr denn je zu befestigen und zu vertiefen. Dass die EU-Kommission dabei demokratiewidrig ihre Kompetenzen überschreitet, geht auch im Getümmel unter. Die geplante Aufrüstung der Bundeswehr und der anderen EU- und NATO-Staaten dient nicht der Landesverteidigung, sondern macht nur Sinn als Drohpotenzial oder schlimmstenfalls für offensiven Einsatz gegen Russland, sowie für die Beteiligung an Interventionen in anderen Teilen der Erde, und zur Entlastung des US-Militärs, damit sich dieses stärker auf die Konfrontation gegen China im asiatischen bzw. pazifischen Raum konzentrieren kann.
Die Rhetorik der „Zeitenwende“ soll diesem Kurs einen Anschein von Unvermeidlichkeit geben, als wäre dies der erste Krieg seit vielen Jahrzehnten, was nicht der Fall ist, auch nicht in Europa, der Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien ist erst 23 Jahre her. Linke müssen dieser Aufrüstungs- und Konfrontationspolitik scharfe Opposition entgegensetzen, nicht nur wegen der damit verbundenen Verschwendung von Ressourcen, die für soziale und ökologische Zwecke fehlen, und Naturzerstörung, sondern auch aus außenpolitischen Gründen. Mehr denn je ist für die Bewältigung der globalen Herausforderungen – Klimaschutz und Schutz der irdischen Natur insgesamt, Entwicklung der ärmeren Länder und Verhinderung von Kriegen – internationale Zusammenarbeit erforderlich. Dafür müssen sich Linke einsetzen.
Zur politischen Stellung der LINKEN
Vor dem Hintergrund der neueren politischen Entwicklungen, einerseits der wieder stärkeren Betonung sozialer Ziele durch die SPD und andererseits des Krieges Russlands gegen die Ukraine fordern einige eine politische Neuorientierung der LINKEN. Antineoliberalismus und Pazifismus als angebliche bisherige Kernpunkte, hätten sich überholt, von einigen wird das noch verbunden mit falschen und diffamierenden Unterstellungen, Linke seien „putin-freundlich“ und würden den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht ausreichend kritisieren.
Die grundsätzliche Position der LINKEN war aber immer weitergehend, für die Überwindung des Kapitalismus und imperialistischer Verhältnisse, durch demokratischen Sozialismus sowie Abrüstung, kollektive Sicherheit und gemeinsame Entwicklung. Im Erfurter Parteiprogramm kann man das nachschlagen. Zudem ist die Abkehr der SPD und Grünen vom Neoliberalismus nur vordergründig und partiell. Außerdem ist der Neoliberalismus weiterhin in gesetzlichen Regelungen, Freihandels- und Investitionsschutzabkommen und insbesondere den EU-Verträgen festgeschrieben und wird von SPD und Grünen nicht infrage gestellt. Zugleich nehmen sie in der Außenpolitik zunehmend eine pro-imperialistische und militaristische Position ein.
In beiden genannten Punkten werden letztlich unterschiedliche politische Grundorientierungen deutlich. Die einen wollen sich (wie Linke traditionell) auf die sozialen Interessen der arbeitenden Klasse hierzulande und in anderen Ländern und gegen das große Kapital und gegen imperialistische Politik orientieren. Selbstverständlich geht es dabei auch um den sozial-ökologischen Umbau im Kampf gegen die Klimakrise und hängen Kapitalismus und damit Klassenfrage und ökologische Krise zusammen. Wer dabei jedoch reale Widersprüche zwischen Beschäftigten und sozialen Interessen einerseits und ökologischen Forderungen andererseits ausblendet oder leugnet, wie es bei Wolf und Zelik erscheint, macht es sich viel zu einfach.
DIE LINKE BAG Betrieb und Gewerkschaft hat Recht, wenn sie betont: „Will DIE LINKE die Debatte um die Rettung des Klimas auf der Höhe der Zeit führen, darf sie diese Widersprüche in der Diskussion nicht ausblenden, sondern muss nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen fragen und diese Widersprüche in den Kontext des Klassenkonfliktes einordnen. Dazu gehört es auch, die Vision einer linken Industriepolitik zu entwerfen, die Industrie nicht abbauen, sondern nachhaltig umbauen möchte. Ohne industrie- und schließlich auch energiepolitische Impulse wird die sozial-ökologische Transformation nicht zu schaffen sein.“
Andere neigen anscheinend zu einer Anpassung und Unterordnung unter einen grünlich-sozialliberalen Mainstream einer vor allem kulturell und moralisch agitierenden Linken, die keine Opposition zur kapitalistischen Herrschaft bildet. Die Frage ist, ob diese beiden Tendenzen, die es immer schon gab, wobei in letzter Zeit die zweite Tendenz zunehmend aggressiv gegen die erste auftritt, weiterhin in einer Partei zu halten und kompromissfähig sind. Im Sinne der im Programm der LINKEN formulierten Ziele sollte es versucht werden.
Die erstere, sozialistische Tendenz ist immer gefährdet durch Linksradikalismus und Sektierertum, die in der Partei auch deswegen unter Kontrolle gehalten wurden, weil die realistisch-radikalen Kräfte dabei von den eher sozialliberalen unterstützt wurden. Die grünlich-sozialliberalen Tendenzen sind letztlich nur ein subalternes Anhängsel oder Korrektiv von SPD und Grünen ohne wirklich eigenständige Orientierung und Perspektive; das reicht nicht für eine linke, sozialistische Partei. Sie würde den radikalen Problemlagen, die mit dem kapitalistischen Charakter der Gesellschaften und den imperialistischen internationalen Verhältnissen verbunden sind, nicht gerecht.
Auch die inneren Widersprüche in der LINKEN müssen ausgehalten werden und die verschiedenen Lager müssen sich gegenseitig als Teile einer pluralen LINKEN akzeptieren, berücksichtigen und zusammenarbeiten. Die SL hat es zuletzt in ihrer Bundestagswahlauswertung formuliert: „Auseinandersetzungen müssen auf eine Weise geführt werden, die nicht ausgrenzt und spaltet und die auf persönliche Angriffe und Diffamierungen verzichtet. Wir setzen uns dafür ein, hier einen Neuanfang zu starten und ungeachtet politischer Differenzen in einzelnen Punkten respektvoll und konstruktiv zusammenzuarbeiten und dies vor allem auch öffentlich zu demonstrieren.“ So wie andere plurale Parteien auch damit umgehen.
Wie sehen vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen, also der Ampel-Koalition und des Krieges, die politischen Bedingungen für DIE LINKE aus? Wenn sie sich nicht politisch unterwerfen und damit bedeutungslos machen soll, muss sie eine klare, konsequente und offensiv vorgetragene Gegenposition gegen die herrschende Politik einnehmen. Das betrifft zuallererst die Außen- und Sicherheitspolitik: Ablehnung der Aufrüstung und Kriegspolitik, Einsatz für schnellstmöglichen Frieden durch Verhandlungen und für alle tragbare Kompromisse, für Aufrechterhaltung und Wiederaufbau wirtschaftlicher, kultureller und politischer Beziehungen zu Russland, Zusammenarbeit mit allen Ländern und insbesondere auch China für wirtschaftlichen Nutzen aller Beteiligten, Klimaschutz und gemeinsame Entwicklung.
Aber auch innenpolitisch muss DIE LINKE für die Bundesebene die Lage zur Kenntnis und annehmen, dass sie auf absehbare Zeit nur Opposition sein kann. Grundsätzlich ist es möglich und in der Programmatik der LINKEN verankert, dass sie Opposition gegen Kapitalismus und insbesondere Neoliberalismus möglicherweise auch verbinden kann und will mit der Beteiligung an Koalitionen und Regierungen. Bedingung ist allerdings, dass so ein Politikwechsel und eine Verbesserung der Lage der Menschen und Durchsetzung linker Ziele ermöglicht wird. Heute müsste es insbesondere um eine sozial gestaltete und gesteuerte Transformation zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft gehen sowie um mehr soziale Sicherheit für Beschäftigte und gefährdete Gruppen und Abbau der massiven Ungleichheit, zu Lasten der Superreichen, und um Schutz und Ausbau demokratischer Rechte, Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, auch in der Wirtschaft.
Die Parteien der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP haben sich allerdings gefunden und verfolgen ein gemeinsames Projekt einer öko-kapitalistischen und halbwegs sozial abgefederten Modernisierung, das solchen weitergehenden Zielsetzungen eine Absage erteilt. Verbunden wird es mit politischer Formierung und Verengung des als legitim berücksichtigten Meinungsspektrums insbesondere in der Außenpolitik. Wie weit die soziale Flanke trägt und hält wird sich dabei erst in den kommenden Jahren erweisen, wenn die Verteilungsauseinandersetzungen sich durch ökonomische Belastungen und Krisen sowie den Übergang starker Jahrgänge in den Altersruhestand verschärfen werden. Für DIE LINKE ist bei diesem Projekt kein Platz, sie wird nicht gewollt. Und sie darf da auch nicht mitmachen (wollen), sondern muss dagegen auf ihren sozialen und politischen Ansprüchen beharren und Druck von unten organisieren.
Die Position und Aufgabe der LINKEN ist daher notwendigerweise auf Bundesebene auf absehbare Zeit, aller Voraussicht nach über die laufende Legislaturperiode erheblich hinaus, in der Opposition. Diese Rolle muss sie bewusst und offensiv annehmen und entsprechend agieren, im Bundestag und als Partei in der Gesellschaft.