Wolkenkuckucksheim – Zur Kritik des BGE-Konzepts der LINKE BAG Grundeinkommen
Die Bundesarbeitsgemeinschaften Betrieb und Gewerkschaft, Hartz IV und Sozialistische Linke repräsentieren wichtige Teile der Partei DIE LINKE, die Forderungen nach einem BGE grundsätzlich falsch finden. Wir unterstützen das Grundsatzprogramm und treten für eine LINKE ein, in der Gegner:innen wie Anhänger:innen der BGE-Forderung einen Platz haben. Wir lehnen es aber strikt ab, dass DIE LINKE sich eine solche Forderung zu eigen machen soll. Das würde nicht nur den Gründungskonsens dieser Partei aufkündigen, sondern es vielen von uns auch unmöglich machen, DIE LINKE weiter zu unterstützen.
Die BGE-Befürworter:innen behaupten immer wieder, eine Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere der eher links Orientierten sei für ein BGE. Doch eine MDR-Umfrage zeigte 2020 auf, dass die meisten, die sich für ein BGE aussprechen, tatsächlich eine verbesserte Grundsicherung für Menschen meinen, die keine hinreichenden anderen Einkommen und keine größeren Vermögen haben. Und kaum jemand wäre bereit, für ein BGE auf andere Sozialleistungen zu verzichten oder höhere Steuern in Kauf zu nehmen. Faktisch gibt es keine gesellschaftliche Grundlage für ein BGE.[1]
Die BAG Grundeinkommen der LINKEN hat ein Konzept für ein bedingungsloses Grundeinkommen. (BGE) vorgelegt, auf das ausdrücklich im geplanten Mitgliederentscheid Bezug genommen wird. Es sieht (für 2017) ein BGE von monatlich 1180 Euro vor für alle Menschen mit Hauptwohnsitz in Deutschland ohne weitere Bedingungen vor, für Kinder bis 16 die Hälfte. Dieses BGE soll brutto etwa 1087 Mrd. Euro pro Jahr kosten. Nach Abzug der durch ein BGE ersetzten steuerfinanzierten Sozialleistungen verbliebe ein Nettofinanzbedarf von 988 Mrd. Euro pro Jahr. Das wären über 40 Prozent des Volkseinkommens. Zum Vergleich: Alle Städte und Gemeinden, Länder und der Bund gaben 2017 zusammen 1000 Mrd. Euro aus. Dazu kommen noch etliche weitere Forderungen.
Das Finanzierungskonzept[2]
Eine kritische Analyse zeigt, dass das Finanzierungskonzept nicht aufgeht und finanzpolitisch und ökonomisch abenteuerlich ist. Es werden diverse neue Abgaben erfunden, die eingeführt werden sollen:
- Eine BGE-Abgabe von 35 Prozent auf alle steuerpflichtigen Primäreinkommen der privaten Haushalte (Löhne, Gewinneinkommen, Vermögenseinkommen). Die im BAG-Konzept angesetzten Beträge für diese Einkommen sind unrealistisch, überhöht. Es wären etwa 115 Mrd. Euro geringere Einnahmen zu erwarten. Um die eingeplanten Einnahmen zu erzielen, wäre ein Abgabensatz von 42 Prozent erforderlich statt von 35 Prozent.
- Eine Sachkapitalabgabe in Höhe von 2,5 Prozent auf den Nettovermögenswert von Immobilien und anderem Sachkapital (Betriebskapital wie Maschinen etc.) privater Haushalte und Unternehmen, mit 500.000 Euro pro Kopf Freibetrag auf selbstgenutzte Immobilien soll 147 Mrd. Euro einbringen. Es wird nicht berücksichtigt, dass das Sachkapital in erheblichem Maße durch Kredite finanziert bzw. belastet ist. Besonders betroffen wären Wohnungsunternehmen und Bereiche mit teuren Bauten. Zum Vergleich: Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer erbrachten 2017 zusammen insgesamt 85 Mrd. Euro.
- Eine Primärenergieabgabe soll jährlich 95 Mrd. Euro einbringen. Diese würde letztlich in höhere Preise überwälzt und so nach eigenen Angaben des BAG-Konzepts monatliche Mehrbelastungen von durchschnittlich knapp 100 Euro pro Person bedeuten.
- Eine Microabgabe auf Finanztransaktionen soll etwa 85 Mrd. Euro im Jahr einbringen. Anders als bei einer Finanztransaktionssteuer, wie sie DIE LINKE fordert, die aber maximal 30 Mrd. Euro einbringen würde, würden hier überwiegend der normale Zahlungsverkehr und Interbankentransaktionen belastet. Es wäre daher mit einer weitgehenden Überwälzung der Steuer in die Preise und einer entsprechenden Minderung der Kaufkraft der Einkommen zu rechnen.
- Gleichzeitig soll die Einkommensbesteuerung reformiert werden zu einem Stufentarif mit fünf Prozent bis 2360 Euro monatlich, 15 Prozent für Einkommen darüber bis 4720 Euro monatlich, und 24 Prozent für die Einkommensteile darüber, ohne Freibeträge und Absetzungen. Nach eigenen Aussagen des Konzepts wäre dies mit jährlichen Mindereinnahmen von etwa 70 Mrd. Euro verbunden. Nach meiner groben Rechnung auf Basis der Einkommensteuerstatistik wären es eher etwa 100 Mrd. Euro Mindereinnahmen.
- Die Rentenversicherung soll völlig umgebaut werden und auch für Beamte gelten. Dafür wäre aber eine längere Übergangsphase von über 50 Jahren nötig, weil die erworbenen Ansprüche nicht angetastet werden dürften. Auch die Pensionen müssten vorerst weitergezahlt werden. Gegenüber den Kalkulationen im BAG-Konzept ergäbe sich hier eine Finanzlücke von über 200 Mrd. Euro im Jahr.
- Die Kranken- und Pflegeversicherung soll auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt und durch eine paritätisch zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern aufgebrachte Abgabe von 16 Prozent auf alle Primäreinkommen finanziert werden. Auch hier werden aus dem gleichen Grund wie bei der BGE-Abgabe die Einnahmen überschätzt, um gut 50 Mrd. Euro.
Zusammengefasste Ergebnisse der Überprüfung
- Es besteht eine gigantische Finanzlücke gegenüber den Kalkulationen des BAG-Konzepts von zunächst etwa 400 Mrd. Euro im Jahr, die erst nach Jahrzehnten allmählich geringer würde. Auch dann betrüge sie aber zu heutigen Werten noch etwa 200 Mrd. Euro jährlich.
- Die Abgabenbelastungen der Erwerbseinkommen müssten tatsächlich durchgehend etwa 16 Prozentpunkte höher sein als im BAG-Konzept. Bei niedrigen Löhnen blieben von einem zusätzlich verdienten Euro nur weniger als 32 Cent netto übrig, bei Erwerbseinkommen über 2360 Euro monatlich weniger als 22 Cent, bei über 4720 Euro nur noch weniger als 13 Cent.
Die im BAG-Konzept alternativ zu einer monatlichen Auszahlung des BGE aufgeführte Variante eines BGE als negative Einkommensteuer würde nichts Grundsätzliches ändern. Es würde lediglich bei dem Teil der Bevölkerung mit Erwerbseinkommen die Steuer mit dem BGE verrechnet. Die Wirkung wäre ähnlich wie, wenn die Abgaben und die BGE-Zahlung jeweils am selben Tag auf dem gleichen Konto gebucht würden.
- Die Abgabenbelastung der Unternehmen würde massiv erhöht. Die Gesamtbesteuerung der Kapitalgesellschaften würde mehr als verdoppelt, es ergäbe sich eine durchschnittliche Besteuerung der Unternehmensgewinne von 75 bis 90 Prozent. Ein großer Teil der Unternehmen würde dauerhaft nach Steuern Verluste einfahren.
- Völlig absurd wird es, wenn die Gesamtbelastung von Unternehmern und Selbstständigen betrachtet wird. In der Summe ergäben sich bei guten Einkommen über 80 Prozent Steuern und Abgaben , bei hohen Einkommen fast 90 Prozent. Zur Abgabenbelastung der Einkommen käme noch die Sachkapitalabgabe plus Vermögenssteuer hinzu, sodass in sehr vielen Fällen Gesamtbelastungen deutlich über 100 Prozent herauskämen.
- Die Kaufkraft der Einkommen würde zusätzlich durch überwälzte Energieabgabe und Zahlungsverkehrsteuer um durchschnittlich etwa 150 Euro pro Person im Monat reduziert. Die preisbereinigten verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte würden dadurch um etwa 8 Prozent vermindert, das BGE also um über 90 Euro monatlich.
- Die Quote der Sozialleistungen zum Bruttoinlandsprodukts würde sich von 30 Prozent auf 62 Prozent mehr als verdoppeln. Die Staatsquote am Bruttoinlandsprodukt würde sich von 44 auf 77 Prozent erhöhen. Für das zusätzlich geforderte Zukunftsinvestitionsprogramm kämen weitere etwa drei Prozentpunkte hinzu, also dann 80 Prozent.
Verteilungswirkungen und Fazit
Alle Beispielrechnungen im BAG-Konzept über vermeintliche Verteilungswirkungen, Gewinner und Verlierer eines solchen BGE sind daher Makulatur. Das Bruttoeinkommen, ab dem per Saldo ein Minus herauskäme, läge nicht wie von der BAG behauptet bei 6500, sondern bei etwa 3000 Euro monatlich oder noch deutlich niedriger. Den meisten Beschäftigten würde ein BGE in die eine Tasche hineingesteckt und mindestens ebenso viel aus der anderen Tasche durch höhere Abgaben wieder herausgezogen. Gleichzeitig wäre der preisbereinigte Realwert des BGE erheblich niedriger als die angegebenen 1180 Euro.
Die Mehrheit der Erwerbstätigen würde verlieren. Die extrem hohen Abgabenbelastungen (dazu käme ja auch weiterhin noch die Mehrwertsteuer) würden starke Anreize ausüben, statt regulärer Erwerbstätigkeit Zuverdienste durch „informelle“ Tätigkeiten zu erwirtschaften, also zu Schattenwirtschaft, Schwarzarbeit, Steuer- und Abgabenhinterziehung. Diese würden die Finanzierungsgrundlage des Sozialstaats und auch des BGE selbst untergraben.
Nötig wären flächendeckend massiv verschärfte Kontrollen, mit dem damit verbundenen finanziellen und personellen Aufwand. Das ist aber alles eine rein theoretische Betrachtung, weil eine solch hohe Abgabenbelastung der Einkommen und insbesondere der Unternehmen im Kapitalismus weder politisch durchsetzbar noch ökonomisch umsetzbar wäre.
Eine höhere Besteuerung hoher Einkommen, großer Vermögen und Unternehmensgewinne sind zu Recht Programm der LINKEN. Doch selbst mit unseren sehr weitreichenden Forderungen käme nur ein kleiner Bruchteil der für die BGE nötigen Summen zusammen. Im Kapitalismus, erst recht bei freiem internationalem Kapitalverkehr und auf der anderen Seiten Personenfreizügigkeit, ist ein soziales oder „emanzipatorisches“ BGE nicht möglich. Ein BGE ginge immer zulasten der Mehrheit, der Lohnabhängigen und selbständig Arbeitenden. Das Konzept der BAG Grundeinkommen geht nicht mal auf dem Papier auf, in der Realität schon gar nicht.
[1] Vgl. S. 8 und 15 hier: https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/mdrfragt/befragungsergebnisse-grundeinkommen-100-downloadFile.pdf
[2] Eine ausführlichere Fassung mit weiteren Infos zu den Rechnungen findet sich in der Broschüre der AGen Betrieb und Gewerkschaft, Hartz IV und Sozialistische Linke ab S. 20: https://grundeinkommen-kritik.org/