Fataler rentenpolitischer Stillstand (II): Die Aktienrente
- Matthias W. Birkwald
- Michael Popp
Unter dem Label "Aktienrente" sollen jetzt der Deutschen Rentenversicherung zehn Milliarden Euro Steuergelder überwiesen und dann auf dem Kapitalmarkt gewinnbringend angelegt werden. In 20 Jahren würden dann vielleicht einmal nennenswerte Erträge entstehen, die dann wieder in die gesetzliche Rentenkasse zurückfließen sollen. Der IFO-Forscher Joachim Ragnitz rechnet vor, dass aktuell rund 41 Millionen Versicherte künftige Rentenansprüche haben. Mit zehn Milliarden Euro könnte man also jedem Rentner einmalig etwa 240 Euro auszahlen. Selbst bei überdurchschnittlich hoher Rendite bringt das keinem Rentner und keiner Rentnerin wirklich etwas.
Der Nutzen einer Aktienrente ist also mehr als fraglich, aber die FDP hat es geschafft, die Illusion zu nähren, dass die Kapitaldeckung besser funktioniere als das Umlageverfahren. Dass Ansprüche aus Rentenbeiträgen oder aus Aktien immer von den späteren Generationen erwirtschaftet werden müssen, wenn es an die Auszahlung der Rente oder eben des Aktiendepots geht, wird dabei gerne unterschlagen (Mackenroth-Theorem).
Kapitalgedeckte Vorsorge: teuer, risikoreich und mit ungewissem Ausgang
Alle hoch-industrialisierten Gesellschaften altern. Wenn dann in 20 oder 30 Jahren aus den Aktienpaketen wirklich Renten auszahlt werden müssen, bleibt es völlig offen, ob sich die Aktienbestände dann zu ausreichenden Preisen verkaufen lassen werden. Die Einführung eines kapitalgedeckten Vorsorgefonds mit einem kollektiven Puffer würde also viel Zeit und Geld kosten und sie bedeutet ein hohes Risiko bei offenem Ergebnis. Der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomergeneration könnte damit auf gar keinen Fall mehr abgefedert werden.
Oder hat eigentlich schon mal jemand gegengerechnet, wie viel Steuergelder die Bewältigung der Finanzkrise gekostet hat und was passieren würde, wenn die EZB nicht massiv in die Finanzmärkte intervenieren würde und so die Aktien- und Kreditmärkte am Laufen hält? Wollen die Menschen nicht lieber eine erfolgreiche Wirtschafts- und Arbeitsmarktmarktpolitik, die ihnen ein hohes Einkommen und damit auch einen Sparanteil sichert, den sie auf den Aktienmärkten anlegen können?
Junge und Mittelalte zahlen doppelt für das Aktienexperiment der Ampel
Die rentenpolitische Strategie ist aber klar: Auf keinen Fall will die Ampel mehr Beitrags- oder Steuergelder mobilisieren, um die gesetzliche Rente dauerhaft zu stabilisieren oder gar auszubauen, sondern sie so lange auf Kante fahren, bis die Rentenkasse leer ist und dann den lauten Aufschrei nutzen, wenn Beitragssatzsprünge drohen (2024/2025). Das Rentenniveau wird dann noch weiter in den Keller fallen, die jungen und mittelalten Versicherten werden gezwungen sein, selbst mit dem neuen Staatsriester bzw. Aktienkäufen fürs Alter individuell vorzusorgen.
Sie werden also doppelt zahlen für das Aktienexperiment der Ampel. Erst werden sie den Aufbau der Kapitaldeckung über Steuergelder finanzieren und dann werden sie auch noch den neuen Staatsriester oder ein Aktienpaket besparen müssen. Fein raus werden – mal wieder – die Unternehmen sein.
Viel sinnvoller wäre es gewesen, die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung umzubauen, in die beispielsweise auch Politiker:innen und Beamt:innen einbezogen worden wären. Hier haben sich SPD und GRÜNE von der FDP die Butter vom Brot nehmen lassen. Alle jetzigen und künftigen Rentner:innen sind also die Verlierer:innen der Koalitionsverhandlungen. Die Rentenkürzungspolitik der vergangenen 20 Jahre wird einfach fortgeschrieben - und mit der Wiedereinführung des Nachholfaktors werden die Renten im kommenden Jahr weniger stark steigen als bisher angenommen. Und das bei einer durchschnittlichen Rente von nur 1089 Euro netto vor Steuern.
Durch die Ausweitung der Minijobgrenze drohen außerdem viele der guten Effekte eines höheren gesetzlichen Mindestlohns wieder zunichte gemacht zu werden. Mehr als eine halbe Million sozialversicherungspflichtige Jobs werden durch Minijobs verdrängt. Geringfügig Beschäftigte bleiben oft im Niedriglohnsektor hängen, müssen unter ihrer Qualifikation arbeiten, sie erhalten oft keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Da die Wenigsten von ihnen Rentenbeiträge entrichten, bringt ein Minijob oft kaum etwas für die eigene Rente, aber er kostet die Sozialversicherungen mehrere Milliarden Euro im Jahr.
Politisch gewollte Verkürzungen: Rentenausgaben für Klimaschutz kürzen?
Insgesamt bleibt der Koalitionsvertrag aus rentenpolitischer Sicht also trotz dieser punktuellen Verbesserungen eine große Enttäuschung. Da die Wirtschaftsforschungsinstitute und die OECD ihre Wachstumsprognose nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamten Industriestaaten senken, sind auch konjunkturell keine sprudelnden Steuereinnahmen zu erwarten. Da im kommenden Jahr die Schuldenbremse wieder greifen soll, werden jetzt schon Konflikte um politisch verknappte Mittel konstruiert: Müssen die Rentenausgaben nicht gekürzt werden, damit mehr in den Klimaschutz investiert werden kann? In den kommenden vier Jahren – so sieht es aus – droht rentenpolitischer Stillstand.
Das heißt: Der Rente wird es mit der Ampel womöglich schlechter ergehen als unter Schwarz-Rot.
Darum: Wer eine gute und gerechte Rente mit einem lebensstandardsichernden Rentenniveau von 53 Prozent und einer echten armutsfesten, einkommens- und vermögensgeprüften Solidarischen Mindestrente will, muss beim nächsten Mal DIE LINKE wählen.