28 Jahre PKK-Verbot sind 28 Jahre zu viel
Und jährlich grüßt das Murmeltier, wenn tausende Menschen an einem verschneiten oder verregneten Samstag Ende November in der Hauptstadt gegen die Verfolgung der kurdischen Freiheitsbewegung hierzulande protestieren. Das mag nach Ritual aussehen, ist aber aktueller denn je. Denn nach wie vor werden KurdInnen in Deutschland wegen ihrer politischen Aktivitäten verfolgt – und das abseits medialer Öffentlichkeit und damit gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Es finden Einschränkungen grundlegender Rechte statt, die viele in Deutschland nicht für möglich halten würden. Grundlage hierfür ist das am 26. November 1993 durch den damaligen Innenminister Kanther ausgesprochene sogenannte Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und ihr angegliederte Organisationen. Ein Geschenk an den NATO-Partner Türkei, dessen Terror-Definition man einfach übernahm. Zudem konnten so auch die an die türkische Armee verschenkten NVA-Kriegsgeräte gerechtfertigt werden. Als Anfang der 1990er-Jahre Bilder von Newroz-Feierlichkeiten um die Welt gingen, die von türkischen Soldaten niedergemetzelt wurden, gab es Empörung, dass dabei auch deutsche Waffen zum Einsatz kommen könnten. Nach dem 26. November 1993 war es dann – schwuppdiwupp – Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus. Und das ohne, dass es dafür einen 11. September gebraucht hätte.
Hiesige Sicherheitsbehörden legen bei der Verfolgung politisch aktiver Kurden eine Kreativität an den Tag, die man in deutschen Beamtenstuben nicht vermutet hätte – es handelt sich um eine mehrdimensionale Repression, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckt und bei weitem nicht nur auf das Politische begrenzt ist. Wenn auch nicht massenhaft, so werden einzelne kurdische AktivistInnen immer wieder zu Haftstrafen verurteilt. Derzeit sitzen elf Menschen in Untersuchungs- beziehungsweise in Strafhaft. Insgesamt sind es seit 1993 mehr als 180 Menschen, die zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Die Anklagen basieren auf § 129a/b des Strafgesetzbuches, also der „Bildung terroristischer Vereinigungen“. Der Zusatzpunkt b wurde erst im Jahr 2002 aufgenommen, um auch die Unterstützung vermeintlicher ausländischer „terroristischer Vereinigungen“ in Deutschland anklagen zu können. Erfolgt eine Verurteilung ohne Haftstrafe, beinhaltet sie meist ein politisches Betätigungsverbot. Betroffenen werden grundlegende Freiheitsrechte entzogen. Sie dürfen nicht mehr auf Demonstrationen und politische Versammlungen gehen, dürfen den Landkreis, in dem sie wohnhaft sind, nicht verlassen und müssen sich regelmäßig bei der Polizei melden.
Auf niedrigerer Ebene gibt es zudem Anklagen gegen hunderte Menschen, weil sie auf Demonstrationen oder im Internet Symbole der kurdischen Freiheitsbewegung gezeigt oder sogar nur ein Foto von Abdullah Öcalan in der Hand getragen hatten. Den Prozessen vorgelagert sind häufig Hausdurchsuchungen zur angeblichen Beweissicherung, die einschüchternd wirken und politische Strukturen durchleuchten sollen. Diese Form der Repression trifft auch Menschen ohne kurdischen Hintergrund, die solidarisch an der Seite der KurdInnen stehen.
Zudem finden massive Eingriffe in die digitale Privatsphäre statt. So werden Nutzerprofile von tausenden Menschen in den Sozialen Netzwerken tagtäglich kontrolliert und überwacht. In manchen Polizeidienststellen gibt es eigene Beamte, die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit genau darauf verwenden: zu kontrollieren wer wo was postet. Finden sich dort dann kurdische Symbole, die Polizei und Staatsanwaltschaft für verboten halten, werden Ermittlungen eingeleitet. Bei Hassrede oder rassistischen Äußerungen im Netz vermisst man hingegen ein solch starkes Engagement. In diese staatliche Überwachungs- und Verfolgungspolitik reiht sich nahtlos eine konzerneigene Zensurpolitik von Meta & Co ein, die weltweit Inhalte der kurdischen Freiheitsbewegung zensieren, Accounts sperren, NutzerInnen löschen und mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren und somit die staatliche Verfolgung unterstützen.
Das PKK-Verbot bringt auch gravierende Eingriffe in die Freiheit der Kunst und Literatur mit sich. Kunst- und Kulturveranstaltungen werden von städtischen Behörden oder der Polizei verboten, weil auf diesen angeblich für eine „terroristische Vereinigung“ geworben werde. Im Februar 2019 wurde der Buchverlag Mezopotamien und die Musikproduktionsgesellschaft Mir verboten. Tausende Bücher wurden beschlagnahmt, darunter kurdische Kinderbücher, Sprachbücher, aber auch ins Kurdische übersetzte Werke von Noam Chomsky, John Steinbeck und vielen anderen. Das größte kurdische Musikarchiv der Welt wurde ebenfalls konfisziert und befindet sich seitdem in irgendeinem Asservatenraum der Bundesrepublik.
Ein weiteres beliebtes Mittel auf der Klaviatur der Repression – mit dem Ziel politische Konformität zu erzwingen – sind Drohungen, den rechtlichen Aufenthaltsstatus von KurdInnen zu verändern. Das heißt: obwohl sie in ihrem Herkunftsland Folter und Haft, manchmal sogar den Tod, zu erwarten haben, bedrohen deutsche Behörden politisch aktive KurdInnen immer häufiger damit, ihnen das Aufenthaltsrecht zu entziehen. Damit droht ihnen eine Abschiebung in die Türkei. Oft wird auch einfach der Aufenthaltsstatus geändert: obwohl sie jahrelang eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung hatten, müssen sie nun alle paar Monate oder Wochen eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragen, immer mit der Furcht, einen negativen Bescheid zu bekommen und abgeschoben zu werden. Zugleich wird vielen KurdInnen, die seit Jahrzehnten hier leben oder sogar hier geboren wurden, die Einbürgerung verweigert, weil sie angeblich mit der PKK sympathisieren würden. In sogenannten Sicherheitsgesprächen müssen sie und ihre Kinder Auskunft über ihre Haltung zur kurdischen Freiheitsbewegung geben. Dabei ist neben der Ausländerbehörde, die Polizei und oft auch der Inlandsgeheimdienst (der sogenannte Verfassungsschutz) anwesend. In vielen Fällen wird die Einbürgerung wegen „Unterstützung einer terroristischen Organisation“ verweigert, auch wenn die Kinder hier leben, studieren und arbeiten.
Trotz all dieser Repression ist die Unterstützung für die kurdische Freiheitsbewegung in Deutschland ungebrochen. Selbst der Inlandsgeheimdienst muss in seinen alljährlichen Berichten zugeben, dass die Zahl der UnterstützerInnen in den Jahren 2005 bis 2020 von 11.500 auf 14.500 gestiegen ist. Auch wenn diese Zahl immer noch viel zu niedrig gegriffen ist, müsste sich der deutsche Staat eigentlich eingestehen, dass seine repressiven Maßnahmen ins Leere laufen und eine andere Politik nötig ist. Statt sich zum Komplizen des AKP-Regimes zu machen, könnte er mit einer Anerkennung der PKK Friedensgespräche auf Augenhöhe zwischen türkischem Staat und der kurdischen Freiheitsbewegung ermöglichen. Warum nicht auch auf deutschem Boden, auf dem Hunderttausende KurdInnen und TürkInnen leben. Schon allein deshalb müsste Deutschland Interesse an einer Lösung des jahrzehntelangen Konflikts haben.
Und genau an diesem Punkt ist die neue Ampel-Koalition gefragt. Wird sie die Appeasement-Politik der Großen Koalition gegenüber Erdoğan fortsetzen – zu der auch die Verfolgung kurdischer Menschen in Deutschland gehört – oder wird sie eine Außenpolitik betreiben, die sich wirklich an Menschenrechten orientiert? Und zwar nicht nur dann, wenn es gegen Russland oder China geht, sondern gegenüber dem NATO-Partner Türkei. Ein Blick in den Koalitionsvertrag macht da wenig Hoffnung. Die Türkei wird darin weiterhin als „wichtiger Nachbar der EU und Partner in der NATO“ bezeichnet. Die EU-Beitrittsverhandlungen sollen weder geschlossen noch weitergeführt werden. Die EU-Türkei-Dialogagenda soll jedoch mit Leben gefüllt werden. Alles Anzeichen dafür, dass dort wo Merkel und Maas aufgehört haben, einfach so weitergemacht wird, wie bisher. Mit all den furchtbaren Auswirkungen für kurdische MitbürgerInnen in diesem Land.