Der Grenzgänger
- European Parliament/Pietro Naj-Oleari
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Tempora mutandur.... Die Zeiten ändern sich. Als Dietmar Bartsch vor fünf Jahren, zum 75. Geburtstag, an Lothar Bisky erinnerte, da stellte er sein Porträt unter den Titel „Ein geradliniger Querdenker“. Damals ein Ehrentitel, heute ein politischer Kampfbegriff. Ja, und um das lateinische Sprichwort fortzusetzen: … und wir verändern uns in den Zeiten. Kaum mehr als die Hälfte der heutigen Mitglieder der Linkspartei war im Herbst 2013, als Lothar Bisky starb, schon Mitglied in seiner Partei. Grund genug, zu seinem 80. Geburtstag, am 17. August, an ihn zu erinnern.
Lothar Bisky war, gemeinsam mit Oskar Lafontaine, der erste Vorsitzende der Partei DIE LINKE. Er blieb das bis 2010. Die Partei hatte sich im Sommer 2007 aus der PDS und der WASG gegründet. Dass diese Fusion überhaupt zustande kam, ist eine der Leistungen Biskys. Er befürwortete schon 2005 den Antritt zur Bundestagswahl, mit einer gemeinsamen Liste beider Parteien. Für viele Mitglieder und Funktionäre der PDS war das wichtig, das Misstrauen der in Teilen ostdeutsch geprägten Partei gegenüber der westdeutschen WASG war doch beträchtlich. Aber ihrem Vorsitzenden Lothar Bisky, das war er seit 2003, vertraute und folgte die Partei. Es wurde eine Erfolgsgeschichte: Bei der Bundestagswahl 2005 erzielte die junge Partei 8,7 Prozent und zog mit 54 Abgeordneten in den Bundestag ein; eine starke Opposition gegen die von Angela Merkel geführte Große Koalition. 2009 konnte DIE LINKE mit 11,9 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei Bundestagswahlen erreichen.
Gründung der Europäischen Linken
Vertrauen brauchte es auch, als Lothar Bisky, gemeinsam mit seinem Freund und Genossen Fausto Bertinotti, dem charismatischen Chef der italienischen Partito della Rifondazione Comunista, 2007 den Vorsitz der 2004 gegründeten Partei Europäische Linke übernahm. Nach den bitteren Erfahrungen früherer Internationalen linker Parteien im 20. Jahrhundert garantierte Lothar Bisky gerade den kleineren Parteien einen Umgang auf Augenhöhe. Denn es war weithin bekannt, dass Bisky den Bruch mit dem Stalinismus, wie ihn sein enger Freund und Genosse Prof. Michael Schumann auf dem außerordentlichen Parteitag der SED/PDS im Dezember 1989 für die Partei verkündet hatte, entschlossen und kompromisslos durchzusetzen wusste. Bisky, mit großer Selbstverständlichkeit Europäer und Internationalist, führte seine Partei 2009 mit 7,5 % ins Europäische Parlament und übernahm den Vorsitz der linken Fraktion mit dem sperrigen Namen „Vereinte Europäische Linke/Nordisch Grüne Liste“, den er bis März 2012 behielt. Der Name der Fraktion wies auf die Aufgabe: Integration war Biskys Leistung, Vertrauen sein Kapital.
Damit kannte Lothar Bisky sich aus. Schließlich hatte er 1993 von Gregor Gysi den Job des Parteivorsitzenden der PDS übernommen. Eigentlich hatte Gysi, wie in der antiken Sage Atlas vom Chef der Götter Zeus die Himmelssphäre auf die Schultern gelegt bekam, Bisky listenreich dazu überredet. Lange sieben Jahre musste er die Last tragen. Für ihn eine Mühsal, für die Partei ein Segen. Es waren die besten Jahre der PDS, in den ostdeutschen Ländern wuchs die Partei in die Region zwischen 20 und 30 Prozent bei Landtagswahlen, erfolgreich bei Kommunalwahlen wurde sie und überwand 1998 unter seiner Führung erstmals die 5 Prozent - Hürde bei einer Bundestagswahl.
Mit Gysi im Hungerstreik
Lothar Bisky war von 1990 bis 2005 Mitglied des Landtags in Brandenburg und Fraktionsvorsitzender von Anbeginn bis 2004. Er war es, der den sogenannten „Brandenburger Weg“, einen in Deutschland nach dem Ende der DDR einzigartigen politischen Stil der Toleranz, des Respektes und der Liberalität mit etablierte, die Partei in den verfassungsgebenden Prozess einband.
Als Bisky das Amt von Gregor Gysi übernahm, ahnte er noch nicht, was Mitte der 90er Jahre parteiintern auf ihn zukommen sollte. Ende 1994 schien, nachdem der Ruin der PDS durch ungerechtfertigte Steuerforderungen des Berliner Finanzamtes von 67 Millionen D-Mark vom Gericht abgewendet war, ein Hungerstreik von Lothar Bisky, Gregor Gysi und drei weiteren Genossen begleitete den Prozess, die Existenz der Partei gesichert. Zu Biskys Überraschung nahmen das die Strömungen der Partei zum Anlass, ein ideologisches Hauen und Stechen zu beginnen. Der Kampf des Parteivorsitzenden Bisky um die Partei begann nun erst. Er hat ihn gewonnen.
Vom Westen in den Osten
Es gibt Menschen, die tragen mit Geduld die politische Last des Spitzenamtes und sehnen den Tag herbei, wo ihnen diese abgenommen wird. Der Partei ist das meistens nicht recht. Lothar Bisky hatte die Wende in die Politik gespült. Als Kriegskind am 17. August 1941 geboren, arme Leute in Hinterpommern die Eltern, fand er sich, unwillkommen den Einheimischen, doch dem Norden, dem Meer und dem Wind verbunden, in Schleswig-Holstein wieder. Mit 18 geht er, über Unrecht und Kapitalismus vom Leben belehrt, in die DDR. Studiert, wird Soziologe, Kommunikations-wissenschaftler, international eine Größe. Mitte der 80er Jahre kam er an die Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg, wurde deren Rektor. Ende September 89 stellte er die Vertrauensfrage, die Studentenschaft wollte ihn behalten. Bisky, der Cineast, schützte seine jungen Leute, ließ sie machen, zeigte ihnen die Welt, soweit dies ging. Wissenschaftler, das war sein Beruf. Einer, der noch als Parteivorsitzender Schriften von Niklas Luhmann las, lustvoll.
Der einzige wissenschaftliche Ertrag seiner parteipolitischen Laufbahn waren tiefe Einsichten in die Praxis denunziatorischer Kommunikation. Darauf hätte er gern verzichtet. Hinterlassen hat er lehrreiche Reden und Schriften, aber auch einen Moment der Schande des Deutschen Bundestags, als die anderen Parteien ihm das Amt des Vizepräsidenten verweigerten. Das politische Establishment hatte über seinen Tod hinaus ein sicheres Gespür, dass Lothar Bisky der bedeutendste deutsche linke Politiker nach der Wende war und blieb der Trauerfeier in der "Volksbühne" am Rosa-Luxemburg-Platz fern.
Dr. Harald Pätzolt ist Diplom-Philosoph und Bund-Länder-Koordinator der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.