»Trotz alledem!«
Vor 150 Jahren, am 13. August 1871, wurde Karl Liebknecht geboren
- Dr. Ronald Friedmann
Am 3. Dezember 1914 veröffentlichte der »Vorwärts«, damals die wichtigste Tageszeitung der SPD, auf der Titelseite eine knappe Erklärung des Vorstandes der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. In dieser Erklärung wurde festgestellt, »daß der Genosse Karl Liebknecht entgegen dem alten Brauch der Fraktion, der durch einen ausdrücklichen Beschluß für den vorliegenden Fall erneuert wurde, gegen die Kriegskreditvorlage gestimmt hat. Der Vorstand bedauert diesen Bruch der Disziplin, der die Fraktion noch beschäftigen wird, zutiefst.« Und die Redaktion des »Vorwärts« ergänzte: »Der Brauch der Fraktion bei den Abstimmungen besteht darin, daß entgegen dem Fraktionsbeschluß nicht gestimmt werden darf; den einzelnen Fraktionsmitgliedern steht frei, den Saal zu verlassen, ohne daß es den Charakter einer Demonstration annehmen darf.«
Der Hintergrund ist bekannt und bis heute ein legendärer Teil der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung: Am Tag zuvor, also am 2. Dezember 1914, hatte Karl Liebknecht entgegen den Festlegungen seiner Fraktion als einziger Abgeordneter des Reichstags gegen die Gewährung weiterer Kredite für die Kriegführung gestimmt und damit ein unübersehbares Zeichen gesetzt, dass es in der deutschen Linken noch immer Kräfte gab, für die der entschlossene Kampf gegen den imperialistischen Krieg keine hohle Phrase war, sondern eine Verpflichtung gegenüber den arbeitenden Menschen in aller Welt. Das furchtlose »Nein« von Karl Liebknecht, der seit vielen Jahren als engagierter Friedenskämpfer und Antimilitarist bekannt war, wurde deshalb von seinen Freunden und Anhängern mit großer Begeisterung und Dankbarkeit aufgenommen.
Karl Liebknecht wurde am 13. August 1871 in Leipzig geboren. Sein Vater war Wilhelm Liebknecht, einer der Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie. Der Vater war es auch, der seinen Söhnen Theodor und Karl nahelegte, Jura zu studieren und sich als politisch engagierte Rechtsanwälte niederzulassen. Erst nach dem Tod des Vaters im Jahre 1900 – etwa 150.000 Menschen begleiteten Wilhelm Liebknecht zur letzten Ruhestätte auf dem späteren Friedhof der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde – wurde Karl Liebknecht Mitglied der SPD und auch als Politiker aktiv. Von 1902 bis 1913 war er sozialdemokratischer Stadtverordneter in Berlin.
1907 wurde er im Rahmen der ersten Internationalen Konferenz der sozialistischen Jugendorganisationen zum Vorsitzenden des Verbindungsbüros gewählt. Angesichts des im deutschen Kaiserreich omnipräsenten Militarismus sah Karl Liebknecht die antimilitaristische Erziehung als ein zentrales Element der proletarischen Jugendarbeit. Folgerichtig veröffentlichte er noch im selben Jahr eine Broschüre mit dem Titel »Militarismus und Antimilitarismus«, die ihm umgehend eine Anklage wegen Hochverrat einbrachte. Trotz der Verurteilung zu 18 Monaten Festungshaft ging Karl Liebknecht als moralischer Sieger aus dem Prozess hervor. Er hatte sich selbst verteidigt und war dabei zum Ankläger geworden. Zahlreiche begeisterte Berliner Arbeiter gaben ihm deshalb zum Haftantritt ein Ehrengeleit.
Obwohl Karl Liebknecht noch immer in der Festung Glatz in Schlesien einsaß, wurde er 1908 als einer der ersten Sozialdemokraten – trotz des berüchtigten Dreiklassenwahlrechts – als Mitglied in das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt, dem er bis 1916 angehörte. Nach zwei vergeblichen Anläufen 1903 und 1907 konnte er bei den Reichstagswahlen 1912 den sogenannten Kaiserwahlkreis Potsdam-Spandau-Osthavelland gewinnen, der bis dahin eine Hochburg der Kaisertreuen gewesen war, und als einer der jüngsten Abgeordneten in das höchste deutsche Parlament einziehen.
Am 4. August 1914 hatte er sich noch der Fraktionsdisziplin gebeugt und mit der gesamten sozialdemokratischen Fraktion den ersten Kriegskrediten zugestimmt. Die unmittelbaren Reaktionen auf diesen Schritt veranlassten Karl Liebknecht, sich in den folgenden Wochen, Monaten und Jahren immer wieder öffentlich oder im Kreis Gleichgesinnter mit den Ursachen und Folgen dieses Tages, den er als tiefgehenden politischen und persönlichen Einschnitt empfand, zu befassen. Sein »Nein« bei der Reichstagsabstimmung am 2. Dezember 1914 war die notwendige Konsequenz.
Der kaiserliche Staat rächte sich umgehend. Noch im Februar 1915 wurde Karl-Liebknecht, obwohl bereits 43 Jahre alt, als »Armierungssoldat« eingezogen. An der West- und der Ostfront musste er fortan beim Stellungsbau körperliche Schwerstarbeit leisten, politische Betätigung war ihm verboten. Allerdings erhielt er Urlaub, um an den Sitzungen des Reichstags und des Preußischen Abgeordnetenhauses teilnehmen zu können.
So konnte Karl Liebknecht bei der nächsten Abstimmung am 20. März 1915, diesmal gemeinsam mit Otto Rühle, ein weiteres Mal mit »Nein« stimmen.
Am 1. Mai 1916 wurde Karl Liebknecht erneut verhaftet. Als Redner auf einer Friedenskundgebung auf dem Potsdamer Platz in Berlin hatte er gefordert: »Nieder mit dem Krieg, nieder mit der Regierung!«
Im anschließenden Hochverratsprozess wurde er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in Luckau, rund 70 Kilometer südlich von Berlin, verbüßte. Am 23. Oktober 1918 wurde Karl Liebknecht im Zuge einer allgemeinen Amnestie entlassen. Er ging sofort nach Berlin, wo er sich umgehend der Spartakusgruppe anschloss, die sich in diesen Tagen neu zusammenfand.
Karl Liebknecht und seine Genossen, allen voran Rosa Luxemburg, hatten die große Hoffnung, dass die bevorstehende und zu diesem Zeitpunkt von den Herrschenden bereits nicht mehr zu verhindernde Revolution nicht nur den Sturz der Monarchie und die Errichtung einer bürgerlichen Republik bringen würde, sondern zu einer grundsätzlichen Umgestaltungen der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland führen würde.
Am 9. November 1918 verkündete Karl Liebknecht von einem Balkon des Berliner Stadtschlosses vor einer unübersehbaren Menschenmenge die sozialistische deutsche Republik. Doch führende Sozialdemokraten um den späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert hatten sich längst mit maßgeblichen Kräften des alten Regimes verbündet, um die Revolution abzuwürgen. Es gelang ihnen, die Arbeiter- und Soldatenräte, die in den Tagen der Revolution überall in Deutschland entstanden waren, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Mit der Entscheidung der Räte für die Nationalversammlung, die dann am 19. Januar 1919 gewählt wurde, war das Schicksal der Revolution besiegelt.
Auch die Hoffnung der Spartakusleute, die USPD, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei, von innen heraus zu einer revolutionären Partei zu machen, erfüllten sich. Um den Jahreswechsel 1918/1919 konstituierte sich der Spartakusbund daher als Kommunistische Partei Deutschlands. Auf dem Gründungsparteitag im Preußischen Abgeordnetenhaus sprach Karl Liebknecht über »Die Krisis in der USP[D]«. Gegen die Erwartungen und Hoffnungen von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg u.v.a. setzte sich auf dem Parteitag eine radikale Mehrheit durch, die die Teilnahme an den Wahlen zur Nationalversammlung grundsätzlich ablehnte und ausschließlich auf außerparlamentarische Formen des Kampfes orientierte.
Als sich Anfang Januar 1919 massenhafter spontaner Protest der Berliner Arbeiter gegen die Entlassung des beliebten Berliner Polizeipräsidenten Emil Einhorn durch die SPD-geführte Regierung formierte, hofften Karl Liebknecht und viele andere Linke an seiner Seite auf ein erneutes Aufflammen der Revolution. Doch die auf Berlin beschränkten bewaffneten Kämpfe, die in die Geschichte fälschlich als »Spartakusaufstand« eingingen, wurde blutig niedergeschlagen.
Am 15. Januar 1919 wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von Konterrevolutionären ermordet.
Am selben Tag war in der »Rote Fahne«, der Zeitung der neugegründeten Kommunistischen Partei, der letzte von Karl Liebknecht verfasste Artikel erschienen. Angesichts der Niederlage, die er und seine Mitkämpfer in den vorangegangenen Tagen erlitten hatten, bewies er ein weiteres Mal seinen unerschütterlichen revolutionären Optimismus: »Wir sind es gewohnt, vom Gipfel in die Tiefe geschleudert zu werden. Aber unser Schiff zieht seinen geraden Kurs fest und stolz dahin bis zum Ziel. Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!«
Dr. Ronald Friedmann ist Mitglied der Historischen Kommission der LINKEN.