Diese Konferenz kann Europa verändern
Große EU-Konferenzen stehen nicht in dem Ruf, besonders aufregend zu sein. Schon gar nicht, wenn sie mindestens ein Jahr dauern, aus vielen Teilen bestehen, in verschiedenen Staaten stattfinden und unterschiedlichste gesellschaftliche und politische Kreise zusammenführen. Und allzu oft steht am Ende dieser Marathonberatungen das erwartbare – sprich: das gewünschte – Ergebnis.
Mit solchen Erwartungen, Zweifeln und Befürchtungen hat natürlich auch die EU-Zukunftskonferenz zu kämpfen. Feierlich eröffnet wurde sie am 9. Mai, dem Europatag; Mitte Juni fand die erste Plenartagung an. Dabei betritt die auch COFE oder CoFoE (Conference on the Future of Europe) genannte Konferenz sowohl demokratiepolitisch als auch europarechtlich Neuland.
Die Geschichte dahinter ist schnell erzählt: Ursula von der Leyen hatte im Herbst 2019 bei ihrem Amtsantritt als Präsidentin der Europäischen Kommission (und dem vorausgegangenen undemokratischen Gerangel um ihre Wahl) Großes versprochen: Eine Konferenz solle Politik, Zivilgesellschaft und Bürger*innen zusammenbringen, um den Integrationsprozess zu überdenken und auszuloten, wie die Europäische Union künftig aussehen könnte und zu verändern ist. Erstmals überhaupt soll diese Zukunftskonferenz eine Verschränkung von repräsentativer und partizipativer Demokratie in einem gemeinsamen Format ermöglichen. Im Zentrum sollen die Menschen aller 27 EU-Mitgliedstaaten stehen, mit ihren Erfahrungen, Sorgen, Fragen, aber vielmehr noch ihren Ideen und konkreten Vorschlägen zu Perspektiven der EU.
EU-Regierungen verzögerten Beginn der Konferenz
Die beiden anderen Säulen der Zukunftskonferenz sind eine interaktive Internet-Plattform (https://futureu.europa.eu) für den Dialog und die bereits genannte Plenarebene, bei denen Abgeordnete sowohl des EP als auch der nationalen Parlamente, Vertreter*innen der EU-Institutionen und der Zivilgesellschaft zusammentreffen. Der Zeitplan ist mehr als ambitioniert - die französische EU-Ratspräsidentschaft beabsichtigt bereits im kommenden Frühjahr Ergebnisse vorzulegen.
Über ein Jahr hatte der Rat, also das Gremium der Regierungen, den Beginn von COFE verzögert – aus Angst, der Ruf nach grundsätzlichen Änderungen an der EU, gar nach neuen Europäischen Verträgen, könnte zu mächtig werden. Nun läuft COFE, die interaktive Webseite ist aktiv, nach dem Sommer werden die Foren der Bürger*innen starten. Gut, werden jetzt viele von euch sagen, das Anliegen ist richtig. Beschäftigen wir uns aber jetzt erst einmal mit dem Wahlkampf und mit "Europa" erst nach dem 26. September. Aber: Bundestagswahl und Kampf um eine bessere EU sind zwei Seiten derselben Medaille.
Ohne die EU können wir Deutschland nicht sozialer machen
Nehmen wir den Lissabonner Vertrag. Dieses "Grundsatzprogramm" bestimmt praktisch die gesamte Politik und das Handeln der EU und ihrer Mitgliedsstaaten – ob nun bei Wirtschaft, Sozialem, Handel oder Außenpolitik. Der Vertrag von Lissabon, der vor über zehn Jahren in Kraft getreten ist, wird den Anforderungen unserer Zeit bei solch zentralen Themen wie soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, Migration, Gesundheitsfürsorge, Zugang zur Bildung oder die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele – um nur einige Herausforderungen zu nennen – längst nicht gerecht. Daher ist es für uns als THE LEFT im EU-Parlament klar, dass die Frage nach einer grundlegenden Veränderung, sprich Erneuerung des Integrationsprozesses verlangt. Wir greifen dabei die Ideen des Kommunisten Spinelli des freundschaftlichen Zusammenlebens der Menschen auf unserem Kontinent wieder auf - jenseits der Enge nationaler Grenzen und Egoismen im Manifest von Ventotene, das die demokratische und tabufreie Überarbeitung der EU-Verträge auf dem Tisch der Zukunftskonferenz fordert.
Deutschland sozialer, gerechter, ökologischer zu machen, das geht nicht ohne die Europäische Union. Und umgedreht stimmt ebenso: Die EU wird schwerlich anders, besser, demokratischer und friedliebender, wenn es nicht Impulse dazu aus der Bundesrepublik als dem wirtschaftlich stärksten Akteur im EU-Binnenmarkt gibt. Eine LINKE, die sich Veränderungen der deutschen und europäischen Politik auf die Fahnen geschrieben hat und mit ihren konkreten Vorschlägen in diese Richtung gesellschaftliche Zustimmung erfährt – auch in Wahlen – ist eine gute Voraussetzung dafür. Unser Kampf jetzt und in der Vergangenheit für eine Sozialunion und die Verankerung des Sozialprotokolls im Primärrecht macht dabei sehr konkret deutlich, dass linke Politik die Bundesrepublik und auch Europa verändern muss. Nutzen wir die EU-Zukunftskonferenz, um auf diesem Weg voranzukommen!