Neoliberale Reformen

Kapitalismus vs. Demokratie

Das Corona-Virus hat nicht nur eine gesellschaftliche Krise geschaffen, sondern auch das Brennglas auf die Auswirkungen der Klassenspaltung gelegt. Die öffentliche Infrastruktur ist derart erschöpft, dass sie den Belastungen einer Pandemie nicht gewachsen ist: Überlastete Pflegekräfte. Überfüllte Busse und Bahnen. Viel zu große Schulklassen. Personalmangel in den Kitas. Die politische Antwort auf das Virus erinnert daher nicht zufällig an die medizinischen Rezepte vergangener Jahrhunderte, als man Menschen in ihren Wohnungen einmauerte, um die Ausbreitung der Pest einzudämmen. Der Unterschied zu damals: Heute könnte ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem allen eine adäquate medizinische Versorgung bieten. Doch einer notwendigen Abkehr von der Profitlogik in Krankenhäusern werden autoritäre Antworten entgegengestellt: Ausgangssperre. Grundrechteeinschränkung. Militärische Mobilmachung. Digitale Überwachung. Notparlament. Ein Blick auf die Landkarte Europas verrät schnell: Die Maßnahmen gegen das Virus waren dort am drastischsten, wo der Abbau des Sozialstaates im Zuge der Eurokrise am härtesten durchgesetzt wurde: in Griechenland, Spanien, Italien, Frankreich. Und so lässt sich für die meisten europäischen Länder feststellen: Dem neoliberalen Umbau der letzten Jahre folgt nun ein autoritärer! Deutlicher denn je zeigt sich, wie sehr Demokratie und Sozialstaat einander bedingen.

 

Der Sozialstaat garantiert Freiheit und Gleichheit

 

Je mehr sich kapitalistische Krisen zuspitzen, desto offensichtlicher wird das Spannungsverhältnis von Kapitalismus und Demokratie. Für den Marburger Hochschullehrer Wolfgang Abendroth war deshalb das Bekenntnis zum Sozialstaat im Grundgesetz stets die Garantie dafür, dass Freiheit und Gleichheit nicht am Zwang ökonomischer Verhältnisse zerbrechen. Es manifestierte über Jahrzehnte die politische Grundrichtung der Bundesrepublik. Heute erleben wir, wie das Postulat des Neoliberalismus zum Mechanismus für autoritäre Zwangsmaßnahmen wird. Fast schon prophetisch lesen sich die Worte des KPD-Abgeordneten Max Reimann, der bei der Verkündung des Grundgesetzes 1949 sagte: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben“. Mehr als siebzig Jahre später ist die Leichtigkeit, mit der wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, mehr als besorgniserregend und gibt einen Vorgeschmack auf die Kompromisslosigkeit der vor uns liegenden Verteilungskämpfe.