Aufbruch oder Untergang?!
Die Linke steht am Scheideweg.
Die Diskussion in der Partei Die Linke über mögliche Fehler im Europawahlkampf hat begonnen. Von der Parteiführung wurde die Niederlage bislang ungenügend beantwortet. Im Kern benennt sie drei Gründe für die Halbierung des Wahlergebnisses. Erstens: Durch die Abspaltung des BSW Ende 2023 wurde die Partei geschwächt. Seitdem habe es Die Linke schwer, in der öffentlichen Berichterstattung durchzudringen. Zweitens: Die damit im Zusammenhang stehende Auflösung der Bundestagsfraktion wurde derart ungeschickt umgesetzt, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrschte, die Partei gäbe es nicht mehr. Drittens: Die Amtsniederlegung der Bundesgeschäftsführung Anfang 2024 hatte die Wahlkampfplanung erheblich zurückgeworfen.
Zweifelsohne hatten diese drei Entwicklungen Einfluss auf die Außenwahrnehmung und das Wahlergebnis, aber als alleinige Begründung reichen sie nicht aus. Aus unserer Sicht ist die Wahlniederlage hausgemacht, nicht zuletzt, weil es der Partei nicht gelingt, die tieferliegenden Klassenwidersprüche so zu bearbeiten, dass die Lohnabhängigenklasse in der Wahl der Linken eine Alternative zum herrschenden Diskurs sieht. Um aus der Krise herauszukommen, braucht es Sorgfalt in der Analyse und - frei nach Rosa Luxemburg - die Bereitschaft, offen zu sagen, was ist.
Der Klassenkompass
Die Schwäche in der Wahlanalyse des Parteivorstandes besteht darin, dass sie bei der Benennung von strukturellen Ursachen stehen bleibt. Was hingegen fehlt, ist eine politische Verortung der Partei in der gesellschaftlichen Krisensituation und die Auseinandersetzung mit der Rolle, die eine sozialistische Partei darin einnehmen müsste. Dadurch wirkt der Blick auf die politische Schwerpunktsetzung beliebig. So heißt es im Beschluss des Parteivorstandes: Die Wahlstrategie sei „nicht aufgegangen“. Man habe versucht, das Soziale in den Mittelpunkt zu stellen. Im Fokus der gesellschaftlichen Debatte hätten aber andere Themen wie Frieden, Migration und Sicherheit gestanden.
Diese Analyse offenbart nicht nur strategische Defizite, sie ist zudem ein Spiegel unserer Haltlosigkeit. Die Partei hat gesellschaftlich keine Wurzeln geschlagen, dadurch fehlt ihr die Verankerung, aus der heraus gesellschaftliche Widersprüche betrachtet und beantwortet werden könnten. „Das Soziale“ ist kein politisches Handlungsfeld unter vielen, sondern für die arbeitenden Klassen existenziell. Nicht zufällig war es daher für die klassenorientierte, sozialistische Arbeiterbewegung stets die Herzkammer politischer Schwerpunktsetzung. Das heißt, „das Soziale“ ist nicht nur unser wichtigstes Handlungsfeld, sondern gleichzeitig unsere Herangehensweise an gesellschaftliche Widersprüche und die Perspektive, mit der wir auf Themen wie Bildung, Frieden, Klima, Migration oder Sicherheit schauen sollten. „Das Soziale“ ist die Klassenfrage, die uns gesellschaftliche Entwicklungen betrachten, analysieren und danach fragen lässt, welche Auswirkungen diese auf die Klasse der Lohnabhängigen haben. Und es ist Ausgangspunkt linker Strategieüberlegungen, was die Lohnabhängigen brauchen, um handlungsfähig zu sein und sich gegen diese Auswirkungen zu erwehren.
Dass Die Linke nur noch von drei Prozent der abhängig Beschäftigten gewählt wird, zeigt: Das Verhältnis zwischen Klasse und Partei ist zerbrochen. Über die Gründe wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Unserer Einschätzung nach lag es keinesfalls daran, dass Die Linke die soziale Frage nicht stellt, sondern vielmehr daran, wie sie dies tut. Über Armut zu reden und die ungerechte Verteilung anzuprangern, ist richtig, aber das allein ist noch keine Klassenpolitik. Armut und Reichtum sind keine zufälligen Entwicklungen, sondern entstehen aus kollektiver Arbeit und der individuellen Aneignung des Mehrproduktes. Dies nur moralisch zu kritisieren, stärkt weder die Handlungsfähigkeit der Klasse, noch die der Partei. Die Linke wäre daher gut beraten, sich in die Tradition der sozialistischen Arbeiterbewegung zu stellen und die Welt der Arbeit sichtbarer zu machen - ihre harten Arbeitsbedingungen, aber auch die Stärke und den Stolz der Klasse. Leider tut die Parteiführung aktuell das Gegenteil: Anstatt die Geschichten der Klasse zu erzählen, statt ihre Kämpfe zu unterstützen und ihre Erfolge zu verteidigen, gibt es in der Linken - das hat der Mitgliederentscheid zum Bedingungslosen Grundeinkommen deutlich gezeigt - bei relevanten Teilen der Partei offensichtlich eine Distanz zur Welt der Arbeit, die nun auch Eingang ins Programm finden soll.
Diese Distanz führte in der jüngeren Vergangenheit auch immer wieder zu politischen Forderungen, die an den Interessen und Belangen der Lohnabhängigen vorbeigingen. So forderte die Parteiführung just in der Woche, in der Karl Lauterbach die Zeitenwende im Gesundheitssystem ausrief, „kostenlose Brillen für alle“. Eine richtige Forderung, aber keine Antwort auf die Widersprüche im Gesundheitssystem. In einer Zeit, in der sich an der dauerhaften Überlastung der Pflegekräfte nichts ändern wird, wenn der zuständige Minister das Gesundheitswesen militarisiert und die Verschmelzung von Militärmedizin und Katastrophenschutz vorantreibt, muss eine sozialistische Partei die Auswirkungen von Aufrüstung und Krieg auf die Pflege in den Blick zu nehmen und daraus ihre Forderungen entwickeln.
Partei und Klasse
Wir sagen: Die Verbindung zwischen Partei und Klasse ist verloren gegangen. Denn immer deutlicher zeigt sich: Die Partei kann zu wenig mit den arbeitenden Klassen anfangen, ihre Widersprüche schlecht einordnen und sie ohne Streiks nur schwer ertragen. Während sich die deutlich erfolgreichere Belgische Partei der Arbeit (PTB) beispielsweise eine Abteilung Gewerkschaftspolitik leistet - die übrigens den stolzen Namen „Welt der Arbeit“ trägt -, wurden derartige Vorschläge von den Parteiführungen der Linken stets abgeblockt. Statt eine hauptamtliche Struktur im Karl-Liebknecht-Haus aufzubauen, die Tarifbewegungen analysiert, die herausarbeitet, wo die Gewerkschaften Treiber gesellschaftlicher Debatten sind und wo sie Schwierigkeiten damit haben, oder die strategische Dialoge mit den Gewerkschaftsspitzen auf den Weg bringt, wird diese Arbeit einem innerparteilichen, ehrenamtlichen Zusammenschluss überlassen. Daran zeigt sich die mangelnde Ernsthaftigkeit der Parteiführung im Umgang mit Arbeitnehmerinteressen.
Diese mangelnde Ernsthaftigkeit setzte sich dann auch im Umgang mit dem Gewerkschaftsrat fort. Dem gewerkschaftlichen Beratungsgremium wurde nie die Rolle zugestanden, die notwendig gewesen wäre, um zu gemeinsamen Einschätzungen darüber zu kommen, wo die Gewerkschaften stehen und wo Die Linke sie unterstützen könnte. Sitzungen wurden halbherzig vorbereitet und Wünsche aus dem Gremium für die Tagesordnung bewusst sabotiert. So sollte beispielsweise diesen Mai auf Vorschlag von vier Mitgliedern des Gremiums die Frage beraten werden, warum sich die Gewerkschaften so schwer damit tun, über die Auswirkungen von Aufrüstung und Krieg zu diskutieren. Dieser Vorschlag ist bis zuletzt aktiv aus dem Vorsitzendenbüro behindert worden.
Auch in anderen Fällen wurden die Empfehlungen, wie mit bestimmten gewerkschaftlichen Fragen umzugehen ist, ignoriert. Trotz kritischer Anmerkungen aus dem Gremium zum „Aktionsplan Vier-Tage-Woche“ hielt die Parteiführung daran fest und präsentierte diesen wiederholt in Pressekonferenzen. Bei der Kritik aus dem Gewerkschaftsrat ging es im Übrigen keinesfalls um eine Absage an die Vier-Tage-Woche. Ganz im Gegenteil, die Debatte über die Vier-Tage-Woche hat den Gewerkschaften - vermutlich zeitlich begrenzt - die Deutungshoheit über die Arbeitszeitfrage zurückgegeben. Es ist richtig, dass Die Linke diese Debatte aufgreift und verstärkt. Nur wird das bloße Aufstellen der Forderung nach einer Vier-Tage-Woche weder der Komplexität der Arbeitszeitfrage gerecht, noch berücksichtigt sie die Interessen der Beschäftigten nach flexibler Arbeitszeitgestaltung, denn diese sind so vielfältig wie die Arbeitswelt selbst. Neben den Fragen von Schichtarbeit, zusätzlichen freien Tagen oder verkürzter Vollzeit zur vorübergehenden Betreuung von Angehörigen sollte diskutiert werden, warum es beispielsweise der durchsetzungsstarken IG Metall im letzten Jahr nicht gelang, die Forderung in der Stahlindustrie durchzusetzen. Wer also ein ernsthaftes Interesse an der Durchsetzung einer solchen Forderung hat, der kommt um die Betrachtung von Widersprüchen, Herausforderungen, Kräfteverhältnissen und die dafür notwendige gesellschaftliche Mobilisierung nicht herum. Einen Aktionsplan aufzustellen, ohne diese durchaus widersprüchliche Situation zu betrachten, ist aus unserer Sicht voluntaristisch und bar jeder politischen Ernsthaftigkeit.
Auch Ideen, die im Gewerkschaftsrat zur thematischen Weiterentwicklung diskutiert wurden, hatte die Parteiführung explizit nicht aufgegriffen. Zu nennen sei hier nur stellvertretend das Konzept der Arbeitskammern als Antwort auf die immer größer werdende Repräsentationslücke abhängig Beschäftigter im politischen Raum, die unterfinanzierte Infrastruktur und die Transformation in der Industrie. Die guten Erfahrungen der Arbeitskammern in Bremen und im Saarland bei der Gestaltung der Transformation hätten hier aufgegriffen und politisch verallgemeinert werden können – nicht zuletzt vor dem Hintergrund überdurchschnittlicher gewerkschaftlicher Organisationsgrade in diesen beiden Bundesländern. Hier hätte Die Linke ein Alleinstellungsmerkmal in der gewerkschaftlichen Debatte gehabt und mit Kompetenz glänzen können.
Dass die Repolitisierung der gewerkschaftlichen Diskussion nicht als zentrales Handlungsfeld in der Linken begriffen wird, hat mit einem Gewerkschaftsverständnis zu tun, das nur auf die betriebliche Rolle der Gewerkschaften schaut. Die gesellschaftliche Rolle der Gewerkschaften und ihr orientierendes und mobilisierendes Potenzial dagegen werden insbesondere von Parteiführung nicht zur Kenntnis genommen. So wird der qualitative Unterschied zwischen EVG und GDL bis heute in der Partei nicht verstanden. Eine Partei aber, die nicht sieht, dass es einen Unterschied im Kräfteverhältnis macht, wenn die Gewerkschaften sich nicht nur betrieblich, sondern stärker gesellschaftlich zu Wort melden, entwickelt folgerichtig auch keine Strategie, diese Rolle zu stärken und beschränkt sich ebenso folgerichtig auf die bloße Solidarisierung mit Streiks.
Die starke Konzentration auf die Organizing-Debatte, insbesondere in der gewerkschaftlichen Ausrichtung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ist ebenfalls Ausdruck eines solchen Gewerkschaftsverständnisses. Natürlich ist der Aufbau von Organisationsmacht eine wichtige Herausforderung der Gewerkschaften, und es ist ein Verdienst der RLS, diesen Diskurs über das Angebot der „Global Lectures“ befördert und global vernetzt zu haben. Letztlich aber wäre es die vorrangige Aufgabe einer sozialistischen Stiftung gewesen, nach dem Rückgang der politischen Bildungsarbeit insbesondere in IG Metall und ver.di die Generation junger, engagierter, kritischer Gewerkschafter für die gesellschaftsverändernde Rolle der Gewerkschaften zu gewinnen, statt mit dem starken Organizing-Fokus ihren betrieblichen Blick weiter zu verstärken.
Kampf gegen Rassismus
In der Partei führte dieser Blickwinkel in der Folge zu mitunter ausgesprochen klassenfremden Pressekonferenzen. Um Rassismus wirkungsvoller zu bekämpfen, forderte die Parteiführung beispielsweise in ihrer Pressekonferenz Anfang Juli die Umsetzung eines Sechs-Punkte-Planes: Unter den sechs Punkten waren die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, ein Bundespartizipationsgesetz sowie ein Demokratieförderungsgesetz. In einer Zeit also, in der der Staat seine Migrationspolitik verschärft und im Bildungsministerium politische Listen geführt werden, adressiert Die Linke ihren Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung lieber an den Staat, statt gewerkschaftliche Kampagnen wie „Mach meinen Kumpel nicht an“ oder „Respekt - Kein Platz für Rassismus und Diskriminierung“ zu stärken, indem beispielsweise die eigenen Mitglieder ermutigt werden, sich am Arbeitsplatz oder in der Gewerkschaft in diese Kampagnen einzubringen.
Nicht einmal die eigenen Konzepte wurden in diesem Zusammenhang präsentiert. Erst letzten Herbst hatte eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung erneut feststellt, dass rechtsextreme Positionen dort an Zustimmung verlieren, wo die betriebliche Mitbestimmung ausgeprägt und erfolgreich ist. Es sind Betriebs- und Personalräte sowie die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, die tagtäglich dafür eintreten, dass die Demokratie nicht am Betriebstor endet. Sie stärken damit nicht nur den Anspruch auf Mitbestimmung im Betrieb, sondern auch in der Gesellschaft. Wer die Erfahrung macht, dass er mitentscheiden kann, wer sich gehört und gesehen fühlt, wer das Gefühl hat, die Arbeitsbedingungen wirksam mitgestalten zu können, der entwickelt daraus den Anspruch, auch in der Gesellschaft mitentscheiden und mitgestalten zu wollen. Diese Erfahrung macht widerstandsfähiger gegenüber antidemokratischen Einstellungen. Die Linke verfügt seit einigen Jahren als einzige Partei über ein Konzept zur Reform der Betriebsverfassung, um Betriebsräte, aber auch Beschäftigte, noch stärker zu machen. In „Ahoi Mitbestimmung“, so der Titel des Konzeptes, gibt es unter anderem die Forderung nach einer „Demokratiezeit am Arbeitsplatz“, einem Rechtsanspruch für Beschäftigte auf monatlich zwei Stunden Befreiung von der Arbeitsverpflichtung zum gemeinsamen Austausch. Denn wird direkte Demokratie so im Betrieb erlebbar, stärkt das die demokratische Kultur in unserer Gesellschaft insgesamt. Darüber verliert die Parteiführung kein Wort. Sie lässt sich nicht mal zu der Aussage hinreißen, Bundesarbeitsminister Heil solle endlich Tarifbindung und Mitbestimmung stärken, statt folgenlose Ankündigungspolitik zu betreiben.
Stattdessen besteht der einzige Klassenbezug in diesem Sechs-Punkte-Plan in der Forderung, „alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu Anti-Diskriminierungsschulungen zu verpflichten“. Wenn die Stärkung emanzipatorischer Kämpfe um Mitbestimmung, Tarifbindung und Respekt am Arbeitsplatz gegen autoritäre Verpflichtungen eingetauscht wird, dann, scheint es, hat Die Linke den Weg der sozialistischen Arbeiterbewegung verlassen.
Friedensfrage
Unterm Strich führt der fehlende Klassenkompass dazu, dass Die Linke Nebenfragen bearbeitet und Klassenforderungen am Reißbrett entwirft, anstatt sie aus den tatsächlichen Widersprüchen abzuleiten. Das Aufstellen von voluntaristischen Aktionsplänen auf der Jagd nach Headlines ist Ausdruck unserer zunehmenden gesellschaftlichen Irrelevanz. Als Ende 2023 fünf Millionen Menschen ihre Wohnung nicht richtig heizen konnten, weil sie mit der Energiepreisentwicklung nicht mehr mithalten konnten, da forderte die Parteiführung ein Grunderbe in Höhe von 50.000 Euro für alle. Junge Menschen aus armen Verhältnissen sollten die gleichen Startbedingungen haben wie diejenigen aus privilegierten Verhältnissen: Die Reise durch Südamerika nach dem Abi, der Computer fürs Studium oder das Auslandssemester sollten nicht am Geld scheitern. Ein gutes Beispiel für die entrückte Klassenperspektive der Partei. Die Forderung nach einer Dönerpreisbremse während des Europawahlkampfes war ein weiteres Beispiel.
Aus diesem fehlenden Klassenkompass resultiert schließlich auch das mutlose Schweigen der Partei zu Aufrüstung und Krieg. Man wolle nicht zum Treiber einer Abrüstungsdebatte werden, sondern „zu Krieg und Frieden nur sprechfähig“ bleiben, heißt es beispielsweise zum Strategieplan des Parteivorstandes zur Bundestagswahl 2025. Es war also kein Zufall, sondern Ergebnis einer bewussten politischen Schwerpunktsetzung, dass ausgerechnet in der Woche, in der die NATO auf ihrem Gipfel in Washington die Stationierung von weitreichenden US-Raketen in Deutschland beschloss, die Parteiführung hierzu schwieg und stattdessen einen Menstruationsurlaub forderte. Was auch immer sie dazu bewogen hatte, aber einer Analyse gesellschaftlicher Widersprüche folgte diese Forderung wohl kaum. Die Bundesregierung setzt die Zeitenwende gegen eine Bevölkerung durch, die seit 80 Jahren im Frieden lebt und durch die nicht nachlassende Kriegsrhetorik zunehmend verunsichert wird - und Die Linke redet über Menstruationsurlaub? Alberner und noch mehr an dem vorbei, was viele Menschen umtreibt, geht es wirklich nicht.
Die Ampel treibt als sogenannte Fortschrittskoalition - mit ihrem selbsternannten Friedenskanzler an der Spitze - Deutschland immer weiter in den Krieg gegen Russland hinein. Die Idee, dass ein Krieg zwischen den NATO-Ländern und Russland ein Dritter Weltkrieg wäre, kommt ihnen dabei nicht in den Sinn. Und dass die atomar bestückbaren Mittelstreckenraketen eine atomare Eskalation zumindest nicht mehr ausschließen, scheint die Ampel ebenfalls völlig auszublenden. Mit dieser militaristischen Ausrichtung fällt die Bundesregierung den abhängig Beschäftigten in den Rücken. Sie ist eine Gefahr für die Menschen in der Bundesrepublik. Eine antimilitaristische Abwahlkampagne gegen die Ampel, damit unsere Kinder nicht in den Krieg geschickt werden, sondern die Möglichkeit zu einem Leben im Frieden haben, müsste eine sozialistische Partei diskutieren und erwägen. Mit derartigen Überlegungen hätte die Parteiführung die soziale Frage jedenfalls mehr im Blick, als mit aberwitzigen Aktionsplänen und Forderungen, die Die Linke zum Gespött der Republik machen. Mit ihrem mutlosen Schweigen beteiligt sich die Parteiführung daran, den abhängig Beschäftigten in den Rücken zu fallen.
Kein mutloses Schweigen mehr
Will die Partei eine Zukunft haben, ist ein politischer Neuanfang unumgänglich. Dazu braucht es neue politische und strategische Weichenstellungen. Wer in der Zeitenwende mit sozialen Forderungen erfolgreich sein möchte, kommt nicht drumherum, diese aus den Widersprüchen des Aufrüstungsdiskurses abzuleiten. Schon jetzt wird sichtbar, dass sich dieser zu einem Generalangriff auf die Lohnabhängigen verfestigt: Jeder Euro, der für die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr ausgegeben wird, der fehlt für gute Bildung, für den Ausbau des ÖPNV, für gute Renten und eine ausfinanzierte Kindergrundsicherung, die ihren Namen verdient. Zwischen 400 und 600 Milliarden Euro kosten die Dekarbonisierung von Industrie und Gesellschaft in den nächsten zehn Jahren. Wo soll dieses Geld herkommen, wenn alles in die Rüstung gesteckt wird? Debatten zur Einschränkung des Streikrechtes oder Maulkörbe für Hochschullehrer, die sich mit ihren propalästinensischen Studierenden solidarisieren, deuten bereits erste Ansätze zum autoritären Umgang des Staates mit Protest an. Diese Einschränkung demokratischer Grundrechte wird sich mittelfristig auch negativ auf das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit auswirken.
Richtig bleibt: Der desolate Zustand der Partei Die Linke ist nicht allein auf individuelles Führungsversagen zurückzuführen, sondern muss eingebettet werden in die aktuelle gesellschaftliche Krisensituation. Aber wollen wir als Partei überleben, dann dürfen sich Parteiführung und Parteivorstand nicht länger mutlos zu den zentralen Widersprüchen der Zeitenwende und ihren ganz konkreten Auswirkungen auf die arbeitenden Klassen ausschweigen, sondern müssen aus diesen Widersprüchen eine sozialistische Politik entwickeln. Das heißt: Mit den Menschen über Wirklichkeit und Utopie diskutieren und sie für die systemsprengende Idee gewinnen, dass eine echte Lösung von sozialer Ungleichheit, drohendem Klimakollaps und Krieg das Außer-Kraft-Setzen der engen Grenzen kapitalistischer Profitmaximierung erforderlich macht.
Erneuerung der Partei
Die Linke muss erneuert werden. Dabei muss es um mehr als nur darum gehen, Wahlen zu gewinnen. Es muss auch darum gehen, die Partei in den Widersprüchen unserer Zeit so aufzustellen, dass sie zum Stärksten wird, was die (scheinbar) Schwachen haben. Statt mutlos zu diesen Widersprüchen zu schweigen, muss Die Linke an ihnen wachsen und zu ihrer Auflösung beitragen.
Dazu muss der strategische Dialog gestärkt werden. Es ist bedauerlich, dass die Bemühungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung, strittige Fragen strategisch und flügelübergreifend miteinander zu diskutieren, von der Parteiführung bisher weitestgehend ignoriert wurden. Es stellt sich nicht zuletzt deshalb die Frage, wofür es eine Parteiführung noch braucht, die offenbar über den Status des Krisenverwalters nicht hinauskommen möchte, die weder einen eigenen qualifizierten Strategieprozess einleitet, noch sonderlich daran interessiert ist, wenn andere dies tun. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, ein solches Dialogformat aufzusetzen, um das aus dem Takt geratene Verhältnis von politischer Einheit und politischer Klarheit neu auszubalancieren.
Fest steht: Die Gesellschaft steht vor großen Umbrüchen. Klimakollaps, Krieg und harte soziale Einschnitte liegen in der Luft. Die arbeitenden Klassen brauchen eine Partei, die an ihrer Seite steht und die sich dafür um gewerkschaftliche Verankerung bemüht und die politische Schwerpunktsetzung mit analytischer Ernsthaftigkeit betreibt. Ein politischer Neuanfang in der Partei macht daher aus unserer Sicht drei Schritte notwendig: Erstens: Eine politische Richtungsentscheidung, die das mutlose Schweigen aufbricht und die Welt der Arbeit wieder zum Bezugspunkt linker Schwerpunktsetzung macht. Zweitens: Den Umbau des Apparates zur Behebung der strategischen Defizite sowie die Etablierung einer Abteilung für Gewerkschaftspolitik. Und drittens: Einen personellen Neuanfang an der Spitze.
Aktuell erweist sich der Parteivorstand als nicht in der Lage, der Partei den Weg aus der Krise zu ebnen. Dabei ist ihm weniger vorzuwerfen, dass er keine Antworten auf die gesellschaftlichen Widersprüche hat. Wir haben es mit einer hochkomplexen multiplen Krisensituation zu tun, die uns vor neue strategische Fragen stellt. Die Beantwortung dieser Fragen ist schwierig, aber sie stellt sich nicht von allein ein, sondern es braucht den ernsthaften, gut vorbereiteten und für alle verbindlichen Austausch mit den Beratungsgremien der Partei - mit den Landesvorsitzenden, mit den Zusammenschlüssen, mit der Internationalen Kommission, mit dem Ältestenrat oder mit dem Gewerkschaftsrat, aber auch mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Gruppe im Bundestag.
Strategieprozesse müssen verzahnt werden. Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche Einschätzungen müssen einen Raum haben, wo sie diskutiert werden. All das tut die aktuelle Parteiführung nicht und treibt die Partei mit eben dieser Untätigkeit immer weiter in die existenzielle Krise. Sie sollte deshalb einen geordneten und die Partei stärkenden Prozess für die Suche nach einer neuen Parteiführung auf den Weg bringen. Dabei geht es weniger um den bloßen Austausch der Köpfe, sondern darum, mit einer neuen Parteiführung den Strategieprozess als kollektive Aufgabe zu begreifen und diesen längst überfälligen Prozess endlich einzuleiten.