Die EU muss umsteuern
- Martin Schirdewan
Auch im Jahr 2020 hatten 80 Millionen Europäer:innen Schwierigkeiten, ihre Miete oder den Strom zu zahlen. Die Nachfrage nach Lebensmittelhilfen stieg in Frankreich um 30 Prozent. Die Armutsquote in der Bundesrepublik betrug 15,9 Prozent, der höchste Stand seit über 30 Jahren. Die Corona-Pandemie hat die soziale Spaltung verschärft. Die EU befindet sich am Scheideweg: Es braucht mutige Investitionen in die Zukunft, den digitalen Wandel, den Klimaschutz, die öffentliche Daseinsvorsorge und um die soziale Spaltung in der Gesellschaft zu bekämpfen.
Ein Rettungspaket in Höhe von 750 Milliarden Euro wurde auf EU-Ebene beschlossen. Zum Vergleich: die neue US-Administration unter Joe Biden hat für die kommenden acht Jahre massive Konjunkturpakete und eine Investitionsoffensive von bis zu 6 Billionen Dollar angekündigt. Das EU-Rettungspaketchen ist viel zu niedrig. Zudem wurde bis heute kein einziger Cent davon ausgezahlt, da die Zustimmung einiger nationaler Parlamente noch aussteht.
Unklarheit herrscht unter den Regierungen auch bei der Frage, wer für die Kosten aufkommt. Die Vorschläge der The Left im Europäischen Parlament hingegen sind durchgerechnet und gerecht: Wir wollen, dass digitale und multinationale Konzerne endlich ihren gerechten Anteil an den Kosten tragen. Durch die Einführung einer Digital- und einer Übergewinnsteuer, die garantiert, dass kein Konzern aus der Krise Profit ziehen kann. Superreiche sollen einmalig ein Teil ihrer Gewinne zum Wiederaufbau leisten. Jährlich werden weltweit über eine Billion Euro in Steuerhäfen gebunkert. Dadurch gehen den öffentlichen Kassen effektiv über 200 Milliarden Euro verloren. Deswegen fordern wir eine globale Mindestbesteuerung von Unternehmen in Höhe von 25 Prozent. Steuerschlupflöcher müssen ein für alle Mal geschlossen werden. Eine richtige Finanztransaktionssteuer der LINKEN, die alle Finanztransaktionen umfasst, würde zudem jährlich über 40 Milliarden Euro in die Kassen der europäischen Staaten spülen. Die Frage ist nicht, ob genug Geld für einen sozialen, digitalen und ökologischen Umbau vorhanden ist. Die Frage ist, ob er politisch gewollt ist.
Gesellschaften befinden sich immer im Wandel. Die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, soziale Bewegungen und Hatespeech im Netz, Menschen, die Steuern zahlen und Megakonzerne, die sich mit dem Handel persönlicher Daten unvorstellbaren Reichtum und Macht aneignen, aber nahezu keine Steuern zahlen, all dies bahnt ihm den Weg. Wie die zukünftige Gesellschaft aussehen wird, ist politisch umkämpft. Wie der Weg künftig im Digitalen aussehen soll, wird gerade in der EU verhandelt:
Ich setze mich für DIE LINKE im Ausschuss dafür ein, dass Big-Tech-Unternehmen wie Facebook oder Google zerschlagen werden können, da sie eine Macht besitzen, die in real life vom Kartellamt längst verboten worden wäre. Wir unterstützen Plattformarbeitende in ihrem Kampf für mehr Selbstbestimmung und gerechte Löhne wie auch Journalist:innen, Autoren und Künstler:innen in ihrem Streit um gerechte Entlohnung. Wir streiten für ein Internet, in dem jede Userin ihre Meinung frei äußern darf, Hatespeech und Drohungen keinen Raum haben; das aber nicht von einem Anbieter, sondern transparent und demokratisch reguliert wird. Wir wollen, dass künftig nicht mehr jeder mindestens drei Messenger auf seinem Handy hat, sondern alle von ihrem Lieblingsmessenger auf den Lieblingsmessenger der anderen Nachrichten schicken kann.
Die EU benötigt ein Umdenken und soziale, ökologische und digitale Visionen von links.
Martin Schirdewan ist Ko-Vorsitzender der Fraktion The Left GUE/NGL im Europäischen Parlament und Mitglied im Parteivorstand der LINKEN.